Skulptur . Weimar . 2011. Beate Debus - Timm Kregel

Rede zur Ausstellungseröffnung

Kuratorin Elke Gatz-Hengst bei der Begrüßung
Neben Herrn Oberbürgermeister Stefan Wolf im Dorotheenhof
Im Verlauf der Laudatio; alle Fotos dieser Seite: Gereon Lamers

Romantikhotel Dorotheenhof Weimar, 22. Mai 2011

Sehr geehrte Damen und Herren,

am gestrigen Abend haben wir in der Galerie Profil bereits einen Teil des Werkes von Beate Debus kennen gelernt, nämlich die Kopfdarstellungen. Als wesentliche Merkmale dieser Kunst war uns dabei die schwarz-weiß-Färbung aufgefallen, aber auch das Ringen der Künstlerin um die Darstellbarkeit von Bewegung und Emotion. Beide Gestaltungselemente finden wir hier in den großen Holzskulpturen wieder. Man kann auch sagen, sie nehmen von hier überhaupt erst ihren Ausgang.

Im Werk von Beate Debus nehmen die „Ganztorsi“, wie die Künstlerin sie selber nennt, den wohl größten Raum ein – neben ihren Reliefs und Zeichnungen und neben der nun einsetzenden Arbeit am Thema „Kopf“. Die Ganztorsi werden durch die Köpfe ergänzt, denn – Sie sehen es – die Torsi sind, so sehr sie in ihrer Form an den menschlichen Körper erinnern, stets ohne Kopf gestaltet. Es ist nurmehr ein Spannungspunkt, ein Treffpunkt aufstrebender Linien, der die Figuren an ihren Scheitelpunkten zusammenhält.

Wie in den Köpfen, so finden wir auch in den großen Figuren die auffällige Färbung des geflämmten, geschwärzten Holzes im direkten Nebeneinander mit entweder naturbelassener, also hellbrauner Färbung oder sehr häufig dem Weiß, das durch die Bearbeitung der Figurenteile mit Schlämmkreide entsteht. Faszinierend, wie die auf so unterschiedliche Art behandelten Teile der Skulptur akkurat benachbart werden, wie sie das in der Ecke des Doppeltanzes hier vorne sehen können. Wie ist das zu leisten, da doch die Skulpturen immer tatsächlich aus einem einzigen Baumstamm gefertigt werden? Nun, zuerst schwärzt Beate Debus das Holz – zum einen, um die Teile der Figur zu unterscheiden, zum anderen aber auch, um ihre Bearbeitungsspuren im Holz besser sichtbar zu machen – , danach schleift sie die Teile der Skulptur, die weiß werden müssen, erneut ab und schlämmt sie mit Kreide ein.

Wie werden die Färbungen im Schaffensprozess motiviert? Diese Frage führt uns zu dem zweiten wesentlichen Element in der Kunst von Beate Debus: dem bereits angesprochenen und gestern bei den Köpfen beobachteten Ringen der Künstlerin um die Darstellbarkeit von Gefühlsregung und deren Zu-Tage-Treten in der räumlichen Bewegung. In der Entwicklung der künstlerischen Biographie von Beate Debus kommt die Färbung der Skulpturen in dem Moment ins Spiel, als die Arbeiten sich immer mehr von der Figürlichkeit entfernen, die das Werk von Beate Debus mit weiblichen Torsi und Paardarstellungen bis in die 90er Jahre hinein bestimmt hat.

Auch die figürlichen Darstellungen von Beate Debus waren schon kubistisch inspiriert – der Kubismus ist ja eng mit der Idee der Darstellbarkeit von Bewegung verknüpft, denken Sie an eines der ersten kubistischen Bilder: Marcel Duchamps Nu descendant un escalierAkt, eine Treppe hinabsteigend (1912), in der mehrere Momentaufnahmen einer Bewegung in ein und derselben Darstellung übereinandergelegt sind. Der Kubismus war also m.E. im Werk von Beate Debus schon immer grundlegend. Seine Elemente verselbständigen sich jedoch mehr und mehr bis zur völligen Abstraktion von der menschlichen Gestalt.

An dieser Stelle nun kommt die Färbung zum Tragen, die uns die ineinander verschlungenen Skulpturen beim Betrachten zu gliedern hilft. Stellen Sie sich die hier gezeigten Werke einmal einfarbig oder rein holzfarbig vor – es wäre sehr schwierig, etwas zu erkennen, gegenläufige Bewegungen auszumachen, zu sehen, wo eine Stütze ist, wo sich ein anderer Teil der Skulptur auflagert. Daher ist ja auch die Bronze, die unten in der Schillerstraße vor dem Wittumspalais steht, genau wie die Holzskulpturen eingefärbt, und zwar so perfekt, daß man glaubt, sie sei aus Holz. Also ich musste neulich erst mal dran klopfen, um wirklich zu glauben, daß es eine Bronze ist.

Die Färbungen also machen das sichtbar, was in der Literatur zu Beate Debus immer mit Begriffen wie „Dualität“ oder „Polarität“ beschrieben wird. Meist durch die Einfärbung, aber auch durch ein Gegeneinander von glatter und rauer Oberfläche, von Rasterung und geschliffenen Teilen wird diese Dualität markiert. Das Ineinandergreifen und Aufeinander-Angewiesen-Sein von Haltgebendem und Fortstrebendem, von Erdgebundenem und Raumeroberndem, der Balanceakt von Identität und Veränderung, von Eigenem und Anderem wird hier im Kräftemessen der Bildhauerin mit den Naturgesetzen der Schwerkraft und der Materialbeschaffenheit mit jedem Werk neu ausgelotet.

Der Tanz – eine wunderbare Skulptur, bei der man, finde ich, förmlich das Tango-Paar der Golden Twenties vor sich sieht – der Tanz zeigt besonders schön die beiden Elemente von Halten und Fallenlassen. „Basisform und aktive Form“ nennt Beate Debus die Teile ihrer Skulpturen, denen sie innerhalb jedes Werkes ihre je eigenen Grenzen setzen, die sie markieren und bestimmen muß.

Wenden wir uns nun dem Werk des Bildhauers Timm Kregel zu. Auch ihn habe ich vor einigen Jahren mit der Kettensäge in der Hand kennen gelernt, als er sich den Park von Schloss Belvedere zum temporären Atelier erkor und die alten „Buchen von Belvedere“ in seine Kunstwerke verwandelte. Wie anders treten uns seine Arbeiten heute gegenüber!

Schon vor drei Jahren hatte er begonnen, mit Studenten in einer Aluminiumgießerei zu arbeiten. Für die Skulptur . Weimar . 2011 hat er viele uns aus der Orangerie bekannten Werke um- und neu geschaffen. Denn auch wenn wir die hölzernen Vorbilder des Kabinett, des Gefährts oder des Erdkreises orbis terrae kennen, so erkennen wir sie doch im Aluminiumguss kaum wieder.

Godzos Weg heißt die 2002 geschaffene, aus vielen kleinen Holzstücken aufgebaute Plastik, die das formale Vorbild für orbis terrae abgab: Eine runde Scheibe, aufgehängt zwischen vier langen Beinen. Im Vergleich beider Werke treten die Besonderheiten der Aluminiumplastik klar hervor.

Orbis terrae, das nun bis September auf dem Theaterplatz unten in der Stadt aufgestellt ist, gibt auf den ersten Blick kaum etwas anderes zu erkennen als eine grobe Struktur aus ins Relief gehobenen konzentrischen Kreisen und senkrecht verlaufenden, nach außen strebenden Linien – sieht also erst mal aus wie die Scheibe von Kabinett II/1 hier im Park. Während Godzos Weg wie eine kleine Mauer aus Holzstücken aufgebaut zu sein scheint, liegt orbis terrae ein Netz aus kleinen Rechtecken zugrunde, das an die Rasterung eines Globus durch die Längen- und Breitengrade erinnert.

Auf den zweiten Blick gibt orbis terrae aber noch weit größere Rätsel auf, wird das grundlegende Raster doch durch glatte, flächige Elemente gestört. Wir beginnen also, genauer hinzusehen und glauben, Buchstaben unterscheiden zu können: Tatsächlich: Da steht doch AQUA und man sieht einen Fisch. Gegenüber ist ein Adler zu erkennen und die Schrift AER, Luft. Daneben steht auch noch ganz deutlich „OCCIDENS“. Man beginnt, „ORIENS“ zu suchen und findet den Schriftzug (im Genitiv, als „ORIENTIS“) auch gleich auf der gegenüberliegenden Seite neben dem Fisch.

Die Scheibe scheint also auf weit mehr zu deuten als nur auf sich selbst. Die Himmelsrichtungen werden aufgerufen und die vier Elemente. Luft und Wasser hatten wir schon. Wo ist die Erde? Der Schriftzug TERRA erscheint, wenn man die Scheibe umrundet und auf der Rückseite liest. IGNIS, das Feuer, allerdings fehlt. Ich sehe es in der gesamten Scheibe wie in einer Sonnenscheibe symbolisiert. Ohnehin kann das Werk trotz seines programmatisch wirkenden Titels nicht einfach auf eine Darstellung des Erdkreises festgelegt und reduziert werden. Der Titel wurde dem fertigen Werk nachträglich gegeben, und so stecken denn auch weitere Bedeutungen in seiner Form: Es sind beispielsweise nicht neun konzentrische Kreise, die die Scheibe strukturieren, sondern sieben. Eine heilige Zahl natürlich auch das, aber eben eine Zahl, die sich der einfachen Gleichung konzentrische Kreise = Breitengrade des Globus widersetzt. Im Verein mit den wie Speichen angeordneten zentrifugalen Linien verweist die Sieben als Glückszahl vielmehr auf das große, sich immer weiter drehende Rad der wankelmütigen Göttin Fortuna. Die vier Beine, zwischen denen die Scheibe ruht, verweist dann noch einmal auf die Vierzahl von Elementen, Winden und Himmelsrichtungen. Wankelmut und irdisches Dasein, das Rad der Fortuna und den Globus in Verbindung zu bringen, steht übrigens in der bewährten Tradition frühneuzeitlicher Emblematik. Lassen wir orbis terrae also getrost in all seiner Doppel- und Vieldeutigkeit stehen!

Kommen wir noch einmal auf die der Scheibe eingearbeiteten Figuren Fisch, Adler und Elefant zurück. In die Überarbeitung von Godzos Weg flossen Tierreliefs mit ein, die Timm Kregel für die Auftragsarbeit einer Marktplatzgestaltung geschaffen hatte. Sie wurden für den „Erdkreis“ orbis terrae zu Gestaltungselementen, die die völlig veränderte Gesamtaussage des Kunstwerks erst nach und nach gemeinsam hervorbrachten. Das spiegelt viel von Timm Kregels Arbeitsweise wider. Kregel arbeitet intuitiv und experimentell. Obwohl er sehr gebildet ist, etwa was christliche Symbolik, biblische Geschichten und Mythologie anbelangt, entstehen seine Werke – auch die immer wiederkehrenden Auftragsarbeiten zu Kirchengestaltungen – nicht aus einem rein intellektuellen Antrieb oder Entwurf heraus.

So ist auch der „Köcher“, das „Füllhorn“ vor dem Schillerhaus – der Werktitel ist Fülle – , so sind der Narwalzahn Kabinett III/ 1 auf dem Beethovenplatz oder Kabinett II/ 1 hier im Park, so sind Gefährt und Fast die vier als immer wieder neue Experimente entstanden. Die Kabinett-Stücke haben wieder hölzerne Vorbilder, ebenso wie das Gefährt. Für Fast die vier wurden, soweit ich sehe, der hölzerne Paug (2001) und Das Geflecht (2000) überlagert. Ich glaube, Timm Kregel „macht“ seine Werke weniger, als daß er sich ganz in den Dienst ihres Werdens stellt. Man möchte sagen, es ist ein eher mütterlicher denn ein klassisch männlicher Zugang zur eigenen Arbeit, den man bei Timm Kregel erlebt. So kragt das Füllhorn an seiner Spitze oben schräg aus. Hier war für den Künstler die Herausforderung zu bestehen, zwei Teile des Werkes nach dem Guss zusammenzuschweißen, also das Werk richtiggehend aufzubauen. Als er das Füllhorn technisch bewältigt hatte, wusste Timm Kregel, daß auch noch größeren Arbeiten nichts mehr im Wege stehen würde.

Am Werk Fülle ist übrigens noch einmal sehr schön die Liebe Timm Kregels zur Zahlensymbolik abzulesen. Die Sieben als Glückszahl auf dem Rad der Fortuna haben wir schon erwähnt, und während der orbis terrae nichts anderes als vier Beine haben kann, lebt die Fülle ganz von der Zahl drei: Die gesamte Plastik ist ein gigantisches Tetraeder, also eine lang gestreckte, dreiseitige Pyramide. Die Stützen, die ins Relief gehobenen Streben, die das Werk mit seinen vegetabilen Strukturen in die Höhe ziehen – alles läuft in einer Dreizahl aus, gipfelnd in den dreimaldrei – also den neun Fingern, die sich an der schräg auskragenden Spitze in den Himmel recken.

Timm Kregel experimentiert. Er ist auf dem Weg. Und auf was für einem Weg! Fast so weit wie der von Godzo, einer kleinen Ortschaft auf dem Kloto Plateau in Togo, Afrika, fast so weit wie der von Godzo um den ganzen Erdkreis.

Vielen Dank!

Dr. Cornelie Becker-Lamers, Weimar