Neue . Skulptur . Weimar . 2014 . Biennale Weimar - Holzdorf . Beate Debus . Ulrich Eißner . Konstanze Feindt Eißner . Juli - September

Rede zur Ausstellungseröffnung

Kulturbahnhof Weimar, 6. Juli 2014

Sehr geehrte Frau von Garnier, liebe Elke Gatz-Hengst, liebe Beate Debus, lieber Ulrich Eißner, liebe Konstanze Feindt Eißner, sehr geehrte Damen und Herren,

die sechs Figuren mit Hund von Ulrich Eißner, die für die diesjährige Skulpturenausstellung hier aufgebaut worden sind, sind sehr präsent und haben uns längst neugierig gemacht. Dennoch glaube ich, es ist psychologisch besser, wenn ich in meiner Einführung zunächst über die Kunst von Beate Debus spreche, die wir hier nicht vor Augen haben, weil sie im Stadtraum um das Wittumspalais herum aufgebaut ist.

Dort - am Wittumspalais - sehen wir zwei raumgreifende Bronzearbeiten, deren Zweifarbigkeit sie jeweils als Doppelfigur kenntlich machen. Und auch die Titel der Werke: "Gegenläufiger Tanz" und "Exzentrischer Tanz" verweisen auf die Interaktion zweier Figuren, die in den Skulpturen jeweils eingefangen ist. Die Bronzearbeiten - 1,46 bzw. 2,10 m hoch - wurden im vergangenen Jahr gegossen, aber auf einen Bronzeguß von Arbeiten für den Außenraum hat Beate Debus sich nur verlegt wegen der besseren Witterungsbeständigkeit des Materials. Eigentlich ist Beate Debus Holzbildhauerin, und zwar, wenn man die Lehr- und Studienzeit mitrechnet, seit vollen 40 Jahren. Seit 1980 ist sie freischaffend tätig. Man kann ihre Werke nur aus der Bearbeitung des ganzen Baumstammes heraus verstehen und so werde ich nun über die hölzernen Vorbilder der beiden Bronzeskulpturen am Wittumspalais sprechen, sie stammen aus den Jahren 2008 im Fall des "Gegenläufigen Tanzes" bzw. 2010 im Fall des "Exzentrischen Tanzes".

Beate Debus hat sich zu Beginn der 90er Jahre von der figürlichen Darstellung abgewandt, die bis dahin mit weiblichen Torsi und Paardarstellungen ihr Schaffen bestimmt hatte. Damals wie heute schuf und schafft sie ihre Werke in einem Stück aus dem ganzen Baumstamm, dem sie heute in der Regel mit der Kettensäge zu Leibe rückt. Mehr und mehr aber verschwindet wie gesagt die Abbildlichkeit der Körper aus ihrem Werk zugunsten einer Konzentration der Darstellung auf die Idee der Bewegung, der Balance, der Dualität und Polarität, die dem Zusammenspiel zweier Körper - dem Tanz - oder auch dem Ausbrechen eines Körpers in Werken wie dem "Wandflüchter" oder "Aufbäumen" zugrundliegt. Der Kopf verschwindet aus den dadurch völlig entindividualisierten Figuren, was bleibt ist nurmehr ein Spannungspunkt, ein Treffpunkt aufstrebender Linien, der die Figuren an ihren Scheitelpunkten zusammenhält. Der Kopf verlangt im Laufe des Schaffensprozesses denn doch sein Recht und so ist in den letzten Jahren eine Fülle gesonderter Kopfdarstellungen entstanden, in denen Beate Debus die Idee der Bewegung als innere Bewegung der Gedanken, seelisches Movens äußerer Aktivität in der Ausarbeitung der Augenpartie, der Stirn oder der Öffnung des Schädels bildkünstlerisch zum Ausdruck bringt. Mehr und mehr werden in ihrer Kunst der letzten Jahre auch die ganzen Körper geöffnet und auch hier der freie Raum als Voraussetzung jeder Bewegung thematisiert. Es entstehen Figuren, die den Blick auf das Skelett des Brustkorbes freigeben, in dem die Rippen sich wie die Finger einer Hand um das Rückgrat legen. Die Sichtbarmachung der Wirbelsäule - häufig als wie auch immer verschobenes oder verformtes Kreuz dargestellt - der Wirbelsäule als Stütze, der Schultern als Joch verlegen den Fokus der Arbeit immer mehr auf die Reflexion der Voraussetzungen von Bewegung.

Nachdem wir diese grobe Schneise durch die Werkentwicklung bei Beate Debus geschlagen haben, wenden wir uns noch einmal konkret den beiden Doppelfiguren unserer Ausstellung zu. Mit Gegensatzpaaren wie der Stütze und dem Raumgreifenden, dem Halten und dem Sich-Fallenlassen, dem Erdgebundenen und dem Aufstrebenden wird letztlich die Frage von Identität und Veränderung in das Bild eines Tanzes gefaßt, in dem zwei Körper aufeinander angewiesen sind (denken Sie an die Tanzfiguren des Tango). Identität und Veränderung - keines ergibt Sinn ohne das jeweils andere, ein Absprung gelingt nur von einem gut gegründeten Fundament aus - viele Situationen lassen sich bildhauerisch thematisieren, die das ständige Fallen und Fangen, Balancieren und Moderieren unseres Lebensvollzugs verdeutlichen, und Beate Debus lotet sie in immer neuen Kombinationen von, wie sie selber sagt, "Basisform und aktiver Form" aus.

Häufig hält Beate Debus die Idee zu einer neuen Skulptur - ob Kopf oder Körper - in einer Zeichnung fest und bringt schon hier die Mehrfarbigkeit ein, die dem Betrachter ermöglicht, die verschiedenen Teile der Skulptur zuzuordnen. Ich sage Mehrfarbigkeit, denn in den geöffneten Körpern tritt neben das Weiß und das Schwarz auch das Rot, das auf Blut und Verletzlichkeit verweist. Die Doppelfiguren aber sind stets in schwarz-weiß gehalten und machen so die Gliederung und Zugehörigkeiten der verschlungenen Körperteile nachvollziehbar. Die Schwarz-Weiß-Färbung geschieht im Holz durch Flämmen und Schlämmen, nämlich durch das Abflämmen - Verbrennen - der schwarzen Teile und das Einreiben mit Schlämmkreide der weißen Teile. In der Bronze muß die Färbung wiederkehren, wie gesagt um den Aufbau und damit die Verständlichkeit der Doppelfigur sicherzustellen. Und so färbt Beate Debus auch die Bronzen in Schwarz und Weiß ein, mit einer chemikalischen Mischung nach eigener Rezeptur, die sie auch immer selber aufbringt.

Der "Gegenläufige Tanz" und der "Exzentrische Tanz" am Wittumspalais unten in der Stadt also zwei Skulpturen, die die Dichotomien von Stand und Bewegung, Halt und Aufbruch, Identität und Veränderung ins Bild setzen, den Freiraum als Voraussetzung der Bewegung reflektieren und im künstlerischen Eingriff in die Integrität des ganzen Baumstammes zeigen, daß Veränderung und Bewegung als Befreiung nicht zu haben sind ohne die Verletzung einer angestammten, gewachsenen Form.

Kommen wir nun zu der Skulpturengruppe hier im Kulturbahnhof. Wir sehen hier in den nächsten Monaten die "Stützen der Gesellschaft", die Ulrich Eißner 2012 geschaffen hat, aber noch weiter ergänzt: In Arbeit sind derzeit die Figuren eines Priesters mit einem Kind an seiner Seite. Ulrich Eißner wurde 1962 in Chemnitz geboren und zum Bildhauer wie auch zum Theaterplastiker ausgebildet. Schon früh hat er als Bühnenbildner und Requisiteur am Theater Chemnitz und der Semperoper Dresden gearbeitet - eine Arbeit, die er auch nach dem Studium zunächst wieder aufnahm, bevor er 2005 eine Professur für Theaterplastik an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden antrat. Eißners Gesamtwerk zeichnet sich durch eine außergewöhnliche Vielfalt sowohl in der Wahl seiner Arbeitsmaterialien als auch seines formalen Zugriffs aufs künstlerische Sujet aus. Er arbeitet seine figürlichen Reliefs, Portraitbüsten, Tierskulpturen oder Figurengruppen u.a. in Stein, verschiedenen Arten von Holz, in Terracotta oder in Porzellan, in Gips, Bleiguß, Polymerbeton, Bronze und sogar in Schnee. Er zeichnet mit Kreide und Kohle, Graphit und Rötel, fertigt Aquarelle und Holzschnitte - Ulrich Eißner stehen alle künstlerischen Mittel zur Verfügung, die ihm zum Ausdruck eines aktuellen Werkes am passendsten erscheinen. Das künstlerische Handwerkszeug, das hebt er selbst hervor, hat er durch seine Schwerpunktwahl der Theaterplastik noch, wie man so schön sagt, nach "alter Schule" gelernt. Aus der Theaterplastik kommt Eißners Sensibilität für eine besondere figürliche Verständlichkeit seiner Skulpturen. Aus der Bühnenbildnerei hat er auch für seine Kunst im Öffentlichen Raum profitiert, da er gelernt hat, so zu arbeiten, daß die Erkennbarkeit des künstlerischen Inhalts auf weite Distanz - aus dem Zuschauerraum bzw. quer über einen freien Platz - gesichert ist. Ulrich Eißner kann für den Außenraum bis zu viereinhalb Meter hoch und plakativ arbeiten ebenso wie in zwei Handspannen hohen Büsten in Porzellan Mimik und Charakter eines Gesichts portraitgenau herausarbeiten.

Für unsere Ausstellung hat er uns sechs Figuren der noch fortzuführenden Gruppe "Stützen der Gesellschaft" mitgebracht. Sie sind aus Polymergips - einem Werkstoff, der Haltbarkeit und Handhabbarkeit in idealer Weise vereint. Ulrich Eißner lernte die Vorzüge des Polymergips vor einigen Jahren anläßlich einer Innenraumgestaltung für das Museum Dresdner Zwinger kennen, als er für Exponate aus Porzellan einen stabilen, aber geschwungen gestalteten Untergrund bauen sollte (und gebaut hat). Die "Stützen der Gesellschaft" ist als übermannshohe Figurengruppe aus einer wesentlich kleineren Porzellanarbeit hervorgegangen, nämlich einem Schachspiel, das Ulrich Eißner anläßlich der Schachweltmeisterschaft 2008 entworfen hat. Natürlich mußten die Figuren mit wachsender Größe ein wenig modifizert werden, aber im wesentlichen sind die Gestalten erhalten geblieben und wir erkennen den Springer, dargestellt als Soldaten mit Gasmaske, den Läufer als Businessman oder Manager, den Turm als Polizisten mit Helm und Schild, Dame und König als Urlauberpaar in Badehosen (sie haben einen Hund hinzubekommen, der im Schachspiel nicht vorkommt), und last but noch least einen Endverbraucher mit zwei Einkaufsbeuteln, der den Bauern darstellt und in seiner Haltung sofort an das sprichwörtliche Bauernopfer denken läßt.

Der Titel "Stützen der Gesellschaft" - auch die Schachfiguren heißen schon so - spurt unseren Blick sofort in Richtung einer gesellschaftskritischen Ausrichtung des Werkes. Sie wissen, es ist der Titel eines Theaterstückes von Henrik Ibsen, der hier entlehnt ist, eines Theaterstückes, das Vermögen und Ansehen der Hauptfigur, des Konsul Bernick - der "Stütze der Gesellschaft" - als Produkt skrupelloser Geschäfte und sozialer Intrigen entlarvt. Was zeigen uns Eißners "Stützen der Gesellschaft"? Sehen wir uns die Augenpartie der Figuren an, so stellen wir fest, daß zu keiner der Figuren ein gedachter Blickkontakt möglich ist. Der Bauer hält, völlig erschöpft und ausgelaugt, den Kopf gesenkt, beinahe so auch die Dame. Soldat und Polizist haben das ganze Gesicht verdeckt, der Polizist hat gar leere Augenhöhlen, wie er da so steht und bei einer Demonstration vielleicht den Staat vor seinen Demonstranten beschützt. Businessman und König tragen Brillen - Sonnenbrille oder Taucherbrille, wissen wir nicht - jedenfalls Brillen, die uns ebenfalls ihre Augen verdecken und bei denen uns der Verdacht beschleicht, sie könnten dazu bestimmt sein, nicht besser zu sehen, sondern die Umwelt nicht ganz so genau wahrzunehmen: Sonnenbrille oder Taucherbrille schützen ja den Nutzer dieser Brillen vor den Einflüssen der Umwelt - dem zu grellen Licht der Wahrheit.

Der einzige, der wirklich guckt, ist tatsächlich der Hund. Zu ihm ist eine Kontaktaufnahme möglich. Die "Stützen der Gesellschaft" also: Eine beißende Satire auf die Zustände in unserem Land.

Ich möchte an dieser Stelle schließen und danke Ihnen bis hierher für Ihre Aufmerksamkeit. Weitere Skulpturen erwarten uns im Park des Landgutes Holzdorf, wohin wir jetzt von der Erfurter Bahn eingeladen werden, mit dem Zug zu fahren. Und wir sind wirklich eingeladen: Die Besucher der Vernissage fahren umsonst. Also - bis gleich in Holzdorf, ich freue mich!

Dr. Cornelie Becker-Lamers, Weimar