Skulptur . Weimar . 2006

Als achte Veranstaltung in der Reihe Skulptur . Weimar sind von 18. Juni bis 30. September 2006 Werke dreier Bildender Künstler im Stadtraum Weimar und dem Park des Dorotheenhofes zu sehen: Wir begegnen zwei monumentalen Buchstaben von Georg Malin (Liechtenstein) in der Schillerstraße und am Goetheplatz. Vor dem Wittumspalais ist ein „Weltohr“ platziert. Die Präsentation Malins feiert das heuer 15jährige Bestehen des Kulturkreises Liechtenstein-Weimar. Im Dorotheenhof präsentiert G. Angelika Wetzel (Stuttgart) Werke aus ihrer Arbeit an der Urform des Eies. An der Seite ihrer Großplastiken sehen wir dort zwei Exponate Willi Weiners (Stuttgart).

Die ausgewählten Skulpturen zeigen die Künstler in einem Erkenntnisinteresse vereint. In der Sprache der zeitgenössischen Kunst und mit den Mitteln moderner Technik ringen sie ihren Materialien eine immer neue Gestalt ältester geistig-geistlicher Inhalte ab: Treiben etwa Angelika Wetzel seit den 80er Jahren die Urmythen von Gebären und Wandlung zu immer neuen Arbeiten an der Urform des Eies an, so sind es für Georg Malin die Heiligen Zeichen, die er in seiner gigantischen Buchstabenreihe als Bausteine der Erinnerung und damit als Grundlage aller Kultur vor Augen führt. Wie Malin verwendet auch Willi Weiner Stahl, den Werkstoff des Industriezeitalters, um die seit Jahrtausenden beobachteten kosmologischen Wahrheiten in seiner „Ekliptik“ in Szene zu setzen.

Alle drei Künstler realisieren ihre Arbeiten auf hohem intellektuellen Niveau: Denn selbst die so urwüchsig und gewissermaßen handlich wirkenden Arbeiten Angelika Wetzels beispielsweise gehen gerade nicht von den Händen, sondern vom Kopf aus. In detaillierten graphischen Vorarbeiten führt die Künstlerin die Eiform zunächst auf Kegelschnitte verschiedener Winkelmaße zurück. Die so entstandenen Ellipsen werden durch Geraden mittig zerschnitten und schließlich mithilfe von Schablonen in die dreidimensionale Form von Granit,- Marmor- oder Bronzeplastiken gebracht. Auch „Horn“ oder „Lanze“, wie das phallische Gegenstück zum gebärenden Prinzip bei Wetzel heißt, entstehen im Gedankenspiel. Durch die Vorstellung einer Rotation der Urform wird aus dem Ei selbst seine längliche Komplementärform hergeleitet: „Identische Massen“ (1996) heißt die Pastellzeichnung, die die Doppelskulptur „Paar“ (1996, Marmor) auf dem Papier vorformuliert. Das „Paar“ ist als Ei und Lanze eine frühere Erscheinungsform der 2003 in Granit entstandenen Plastik „Ei und Horn im Gleichgewicht“. Die auf Fotografien wie Schmeichelsteine wirkenden Formen der Wetzelschen Kunstwerke sind im Kern Emanationen einer „Liebe zur Geometrie“, zu der die Künstlerin sich bekennt.

Georg Malin, der Doktor, kommt von der Philosophie und Kulturgeschichte her. Er ist Historiker, Archäologe und Denkmalpfleger, Kurator und Kunstwissenschaftler – all dies im Nebenberuf zu seiner seit 1955 freischaffend ausgeübten Tätigkeit als Bildhauer. In seiner künstlerischen Arbeit vollzieht er den Weg der Moderne zur absoluten Kunst noch einmal nach. Die Reduktion der plastischen Formen auf das Universalsymbol des Würfels bestimmt dabei sein Schaffen der letzten zwei Jahrzehnte. Ausgehend vom „X“ entwickelt er die Buchstabenwürfel als Reihe „Kosmischer Zeichen“ (so der Titel einer 1991 gefertigten „O“-Skulptur), in denen die reine Form in die metaphysische Aussage mündet. Die Buchstaben verschlüsseln nun Ideen wie das „A“ den Anfang aller Laute, das „T“ ein Gotteszeichen. So hat Malin bei einer seiner Kirchenrestaurierungen (Gnadenkapelle Kloster Einsiedeln 1995-97) den Altar als den griechischen Buchstaben „tau“ gestaltet. „Tau“ ist dem ägyptischen „Anch“ als Zeichen des Ewigen Heils verwandt und findet schon im Mittelalter auch in Kreuzesdarstellungen Verwendung. Altar wie Buchstabe bilden Schnittstellen zwischen Leben und Tod: der Altar als Reliquienschrein und ursprüngliche Grabstätte wirkmächtiger Toter – die Schrift als Möglichkeit, Leben wiedererlebbar zu machen und Tote sprechen zu lassen. Wir sehen in Weimar in der 1990 geschaffenen „O“-Skulptur die erste von mehreren, bis zu viereinhalb Meter hohen und fünfeinhalb Tonnen schweren Kosmischen Zeichen Georg Malins.

Willi Weiner stellt uns in seiner zur Jahrtausendwende entstandenen „Ekliptik“ eine Art Stonehenge aus Cortenstahl vor. Bereits der Titel des Werkes verrät die kosmische Dimension, die als intellektueller Hintergrund den Schaffensprozeß begleitete. „Ekliptik“ nennt die Astrophysik die Umlaufbahn, auf der die Erde die Sonne umkreist. Dabei wandert die Erde durch die zwölf Sternzeichen, in denen die Sonne – von der Erde aus gesehen – im Verlauf des Jahres steht. In die 2,80 Meter hohe und knapp 40 cm starke Skulptur sind zwölf Röhren geschweißt, durch die in verschiedenen Winkeln, jeweils nur einzeln beobachtbar, der Himmel sichtbar wird. Das Kunstwerk ist keine Messstation, es möchte nicht zum Sterndeuten auffordern und kann nur deshalb ja auch den Standort wechseln. Die Sichtröhren erinnern aber bewusst an Bauwerke und Gerätschaften, die die Menschheit im Laufe der Kulturgeschichte zur Beobachtung des Himmels entwarf, um durch die Berechnung von Jahreszeiten und Mondphasen das Leben im Einklang mit der Natur planbar zu machen und zuverlässiger zu gestalten. Nur so konnte Zeit-Raum für die Verfeinerung unserer Kulturtechniken entstehen.

So werden die Grundlagen der menschlichen Kultur – die Beobachtung des natürlichen Lebensraumes (Weiner), die Reflexion des eigenen Herkommens und Weiterlebens (Wetzel) und die Speicherung und Weitergabe erworbener Erfahrung (Malin) – von den Künstlern der Skulptur . Weimar 2006 in ihrer zeitgenössischen Ästhetik für heutige Betrachter anschaulich, anschlussfähig und im Wortsinne begreifbar gemacht.

Cornelie Becker-Lamers