Elfriede Jelinek, Nancy Spero und die Kunst als Dekor
Wäre die Blutspur der rote Faden, der sich durch die weibliche Ästhetik zieht? „Es rinnt und rinnt und rinnt und rinnt“ (KL, 45): Draculas Vermächtnis[1].
„Schwarz von Blut ist, was geschrieben steht“[2]. Schwarz aber ist Blut nur als venöses; venerisches: das generös fließende Blut verflossener Fruchtbarkeit: „so wäre die Schrift die Frau.“[3] Als verfemter Teil unserer verminten Ausschlußkultur wäre das Feminine uns die Gefahr, die Rettung ist: So suggeriert – zwischen tanzender Göttin und ‘tanzender Feministin’[4] – das Et in Arcadia ego Cixous’scher Poesie. Die Frau würde ihr Blut aussenden, um mitzuschreiben, wenn vom Heterogenen das Erogene als sein Echo widerhallt.[5] Das Blut zu mischen, wäre als „starke Kommunikation“ unter Frauen jenseits von „encore“ und „assez“ ein Weg zur Souveränität, die der patriarchale Ausschluß aus der Sprache verwehrt.[6] Denn denken heutige Feministinnen nur noch Drachinnen – der periodische Feuerschlag wird als Bild des Blutens dechiffriert –, offenbart sich nichts Geringeres als der brennendes (Dorn-)Busch als menstruierender Schoß. „Wohin, Mutter, / vergabst du die Macht, / über Meer und Sturm zu gebieten?“[7] (Das Vergeben freilich ist nun as der Mode.)
Der zweite Weg zur Souveränität wäre die Kunst, und wie Tinte aus der Spalte einer Feder – auch die Feder ist „weder eine noch zwei“ – entflösse sie dem „Auslaufmodell Frau“[8]: Pandora oder ‘Sonnen-Vulva’[9]? Jedenfalls aber „hat die Sache System“, wie Gabriele Riedle feststellt: Jelineks assoziativ-dekorative Wortvermehrung zeige „verblüffende Parallelen“ zur Stempelkunst Nancy Speros,
„die Meter um Meter endlose Wände und ebensolche Papierbahnen mit Frauenfigürchen vollklebt und vollstempelt. Folgt, so haben sich Kunstgeschichtsschreiberinnen im Gegensatz zur Kolleginnenschaft aus der Literaturkritik nun schon zu formulieren durchgerungen: Kunst von Frauen sei exzessiv und kenne keine (Scham-)Grenzen, keine Schicklichkeit, kein Maß.“[10]
Cixous läßt grüßen.
Wie dort aber fragt sich auch hier, ob sinnentleertes Dekor in Wort und Bild zur Untermauerung einer Dichotomisierung von ‘männlicher’ und ‘weiblicher’ Ästhetik genutzt werden kann oder sollte. Die „Umwandlung des Erogenen ins Halluzinogene“[11] streben schließlich auch andere an. All jene, die auch gegen den Herrschaftsdiskurs, gegen den Einzigartigkeitskult einer Kunstproduktion in der Tradition des Genie-Gedankens oder einfach ‘stream-of-conciousness’-Literatur schreiben, unter dem Stichwort einer ‘écriture efféminine’ für uns zu vereinnahmen[12], scheint mir diskutabel überhaupt erst nach Klärung der Frage, was in einer nahezu entsexualisierten Gesellschaft ‚weiblich’ und ‚männlich’ noch bedeuten. Nach weitgehendem Verlöschen geschlechtsspezifischer Wissenstraditionen[13] verweisen die Begriffe nurmehr auf die Biologie, die unbestreitbar und auch im Kulturbetrieb nach wie vor soziale Folgen hat, die aber mit derselben Sicherheit nicht die Bücher schreibt. ‚Weibliche Ästhetik’ könnte, wo der Begriff aufrechterhalten werden soll, nur noch eine Widerstandsform bedeuten: gemäß Jelineks Satz von dem ihr verübelten „phallischen Anspruch“, überhaupt Bücher zu schreiben[14]. Eine spezifisch weibliche Schreibweise wird der Begriff nicht bestimmen können. Nancy Speros Stempelproduktionen und Elfriede Jelineks assoziierendes Weiterschreiben haben – wie oben (Kap. 2.1.2) gezeigt – zweifellos Vorläufer in der ‚dekorativen’ Sprach- und Bildbehandlung etwa durch die konkrete poesie. Es bietet sich daher an, solche Verfahren nicht metaphysisch aufzuladen, sondern zu vermuten, daß auf diese Weise schlicht und unergreifend (heute) KUNST entsteht ... oder meinetwegen: sich vollzieht, um doch eine Konnotation der weiblichen Sexualität eher zu ermöglichen als die der anderen, der männlichen ...
[1]Friedrich Kittler, Draculas Vermächtnis. Technische Schriften, Leipzig 1993, [Titelaufsatz] S. 11-57. Der Text reflektiert die historischen Voraussetzungen weiblicher literarischer Produktion.
[2]Eva Meyer, Den Vampir schreiben. Zu „Krankheit oder moderne Frauen“, in: Gegen den schönen Schein, S. 98-111, S. 98.
[3]Jacques Derrida, Sporen. Die Stile Nietzsches, in: Nietzsche aus Frankreich, hg. von Werner Hamacher Frankfurt a.M. - Berlin 1986, S. 131-168, S. 137.
[4]Heide Göttner-Abendroth, Die tanzende Göttin. Prinzipien einer matriarchalen Ästhetik, 41988. „Die ‘herrenlose Feministin’ weiß um ihre Unkastrierbarkeit. Sie hat nichts zu verlieren, und so tanzt sie.“ (Drucilla Cornell, Das feministische Bündnis mit der Dekonstruktion, in: Dekonstruktiver Feminismus. Literaturwissenschaft in Amerika, hg. von Barbara Vinken, Frankfurt a.M. 1992, S. 279-316, S. 291, vgl. auch das Zitat aus Derrida, Choreographies, ebd. S. 285.)
[5]Zur Frau als „die Erogenität des Heterogenen“ vgl. Hélène Cixous, Le Rire de la Méduse, in: L’Arc, 61, S. 39-54, S. 51; übersetzt zitiert bei Moi, Sexus, S. 138.
[6]Batailles Konzept der an die Möglichkeit der Kommunikation gebundenen Souveränität werde ich in Kap. 4.1.1 erläutern. „Encore“ bezieht sich auf Riedles „Mehr, mehr, mehr!“, das Lacans „Encore“ als dem „nicht-phallischen“ „Mehr-Genießen“ der Frau entspricht, s.u. Kap. 6. „Assez“ - „genug!“ - meint feminisitsche Aktionen wie „PorNo“.
[7] Isolde – „(wild vor sich hin)“ – in Richard Wagner, Tristan und Isolde, I, 1, zu Beginn.
[8]Der Begriff stammt von Dorothee Hackenberg, Auslaufmodell Frau. Nancy Spero und die unermeßlichen Hüftweiten weiblicher Kunst, in: die tageszeitung, 21.3.1990, zitiert bei Riedle in TuK, S. 97 und 103, Anm. 11f.
[9]Der Begriff spielt mit Georges Batailles Begriff des „Sonnen-Anus“ und der Idee aus der Allgemeinen Ökonomie, nach der aller Energie-Austausch auf der Erde sich nach dem Bild der ständig Überschüssiges verschwendenden Sonne vollzieht. Vgl. Georges Bataille, Die Ökonomie im Rahmen des Universums, in: Ders., Die Aufhebung der Ökonomie, München 1985, S. 289-298; Ders., Der Sonnen-Anus, in: Der Pfahl. Jahrbuch aus dem Niemandsland zwischen Kunst und Wissenschaft, VI, München 1992, S. 23-28. Vom „Sonnen-Anus“ nehme ich nur den Titelbegriff. Bekanntlich beschreibt der Text die Abhängigkeit des Koitus von der Erdrotation: ‘Coriolis’ im Bett, sozusagen.
[10]Riedle in TuK, S. 97. Mit den „(Scham-)Grenzen“ spielt sie auf den Titel eines Aufsatzes an: Elfriede Jelinek, Schamgrenzen? Die gewöhnliche Gewalt der weiblichen Hygiene, in: FrauenMacht. Konkursbuch 12 (1984) S. 137-139.
[11]Pawel Pepperstein, Rapport „NOMA - NOMA“, in: Ilya Kabakov, NOMA oder Der Kreis der Moskauer Konzeptualisten [Katalog zur Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle vom 10.12.1993-6.2.1994] Hamburg 1993, S. 8-18, S. 11.
[12]Wie Margret Eifler es gegen Theoretikerinnen wie Teresa de Lauretis durchaus vertreten möchte: „Warum écriture efféminine nicht als die männliche Variante des progressiven Willens anerkennen?“ (Vgl. Margret Eifler, Postmoderne Feminisierung, S. 27-35, Zitat S. 30)
[13]Die mir immer schon Peter Berglars frühe Formulierung einer ‘Weiblichen Ästhetik’, nämlich seinen „dunkel-geheimnisvollen Glanz magischen Seherinnentums, [...] die durchdringende, bannende Stimme uralter Weisheit und vorgeschichtlichen [vorgeschichtlichen?!] Matriarchats“ als zynische Äußerung erscheinen ließen: Wo soll es her kommen, das dunkle Wissen, zwei Jahrhunderte nach der Hexenverbrennung? Das hätten sie sich, sozusagen, eher überlegen müssen. (Annette von Droste-Hülshoff, mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt von Peter Berglar, [= rowohlts monographien 130] Reinbek 1967, S. 9).
[14]Elfriede Jelinek im Gespräch mit Sigrid Löffler, „Ich mag Männer nicht, aber ich bin sexuell auf sie angewiesen“, in: Profil 13 (1989) S. 83-85, S. 84.