Eins und doppelt

Matschinsky-Denninghoff in der Erfurter Galerie am Fischmarkt

Meterhohe Metallskulpturen, gigantische Wucherungen aus Chromnickelstahl, verschlungene Rohrbündel metallener Makkaronihaare, die sich scheinbar jenseits aller Naturgesetze von Körperschwerpunkten und Gravitation meterweit und hoch über der Landschaft in den Raum ergießen: Das ist die Kunst, die das Künstlerpaar Matschinsky-Denninghoff mit seinen Skulpturen von Saarbrücken bis Berlin, von Deutschland bis Japan berühmt gemacht hat.

Einen Einblick in den Schaffensprozeß von der perspektivischen Kohlezeichnung über das Modell aus Messing und Zinn bis zur fertigen Skulptur ermöglichen nun die Exponate einer Ausstellung in der Erfurter Galerie am Fischmarkt.

Und mehr: Eine Auswahl von Malerei und Zeichnungen Martin Matschinskys und Brigitte Matschinsky-Denninghoffs verdeutlicht die Unterschiedlichkeit zweier Handschriften, die im gemeinsamen skulpturalen Werk stets schlüssig in einer einzigen künstlerischen Aussage aufgehoben sind. So ist der Titel der Ausstellung "Eins und doppelt" denn auch kein Thüringer Tribut an sein Goethe-Jahr, sondern benennt den Versuch, den Balanceakt zweier Künstler-Individuen zwischen eigener Identität und gemeinsamem Ausdruck sichtbar zu machen: "Eins und doppelt" hieß die Ausstellung schon, als sie im vorigen Frühling in Schweinfurt eröffnet wurde.

Seit über 40 Jahren arbeitet das Künstlerpaar zusammen: Brigitte Matschinsky-Denninghoff (Jahrgang 1923), in ihren Zwanzigern Assistentin von Henry Moore und Antoine Pevsner und Gründungsmitglied der Gruppe ZEN 49, brachte Martin Matschinsky (Jahrgang 1921) nach dessen Fotografen- und Schauspielerausbildung 1955 ebenfalls zur Bildhauerei. Von "Spitzen (Form in Zinn Nr. 1)" aus dem Jahr 1955 bis "Giverny" (1999) zeigt die Ausstellung alle Stadien der Entwicklung dieses gemeinsamen Werks, dessen großes, hundertfach bearbeitetes Thema die Gestaltung der Linie ist und das ein Gleichgewicht von Organischem und Unverrückbarem, von wuchernder Üppigkeit und asketischer Beschränkung, von Naturgesetz und natürlicher Freiheit mit jeder Arbeit neu ausbalancieren zu wollen scheint.

Das geht los mit dem "Leichten Turm" (1955), dessen starre Linien schon in der "Entfaltung II" (1959) weicher ausschwingen. Die 70er und 80er Jahre sind bestimmt von Werken wie der "Hommage an Giacometti" (1977), "Genesis" (1982), dem "Rebstock" (1987) oder "Omega" (1989), in denen die ungehemmte organische Linienführung bis ins Gigantomanische gesteigert wird: Die eingangs beschriebenen Skulpturen, die aus vergleichbaren Modellen für den öffentlichen Raum entstehen, werden über sechs Meter hoch und liegen über einem inneren Blindgerüst, das die asymmetrischen Wucherungen scheinbar schwerelos im Raum schweben läßt.

Parallel zu diesen Arbeiten entstehen aber Werke wie "Malekula" (1965), "Halle" (1969) oder "Haus" (1987), in denen starrer Rahmen die Metallgeschwulste zerschneiden oder zu halten versuchen. In den 90er Jahren wird dem ruhigen Schwung des Rohrbündels durch Eingriff in seine Geschlossenheit zu Leibe gerückt: "Wirbel" (1991), "Komet" und "Figur" (1994) zeigen berstende, von einer eigenen, inneren Energie gesprengte Formen, die im "Turmbau 2" (1994) und "Luftgeist" (1995) in die völlige Auflösung jeder harmonisch-organischen Entwicklung mündet.

Diese Auflösung wird in den jüngsten Arbeiten "Tempel I" (1997), "Kreuz II" und "Zelle" (1998) wieder abgefangen: Die Figur souveräner Einzelfäden ist hier in einen Kubus eingeschrieben und so von geometrischer Exaktheit gehalten und begrenzt. "Giverny" (1999) freilich überstreckt den Kubus bereits wieder ins Rechteck und schafft damit ein Ungleichgewicht, das das Spiel um die Balance erneut anstößt.

Cornelie Becker-Lamers

 

Die Ausstellung war vom 11. April bis zum 9. Mai 1999 in der Galerie am Fischmarkt (heute: Kunsthalle Erfurt) zu sehen.

Der Text erschien unter dem Titel Das Spiel um die Balance in der Thüringer Allgemeinen (TA) vom 13. April 1999, S. 4.