A. Paul Weber (1893-1980). Grafik aus dem Nachlaß des Sammlers Erich Arp

Rede zur Ausstellungseröffnung

Kunsthandlung in der Marktstraße Erfurt am 12. Dezember 2006

Sehr geehrte Damen und Herren,

ab heute macht uns die Kunsthandlung in der Marktstraße mit dem Werk Andreas Paul Webers bekannt. Wir lernen damit einen der bedeutendsten und sicherlich einen der produktivsten Grafiker, Karikaturisten und Buchillustratoren des 20. Jahrhunderts kennen. Sein Gesamtwerk wird auf über 3000 Lithographien, mehrere Hundert Holzschnitte, über 200 Ölbilder, mehrere tausend Handzeichnungen und eine unübersehbare Anzahl von gebrauchsgraphischen Arbeiten wie Firmensignets oder Exlibris beziffert. Mit der heutigen Ausstellung kehrt Weber endlich einmal wieder in seine Heimat zurück, denn wie Sie gelesen haben, wurde er 1893 in Arnstadt geboren und besuchte nach seinem Realschulabschluß die hiesige Kunstgewerbeschule.

Der Lebenslauf vermittelt allerdings den Eindruck, daß die autodidaktische Schule, in die Weber sich selber schickte, für die Entwicklung seiner Arbeit tiefgreifender war als jede staatliche Bildungsanstalt. Wichtig für seine frühe Entwicklung war auch seine Mutter, eine Fabrikantentochter, die ihren Sohn auf literarischem und künstlerisch-handwerklichem Gebiet förderte.

Die Mitgliedschaft A. Paul Webers in der Wandervogelbewegung prägte - ebenfalls schon in der Jugend - ein sehr inniges Verhältnis zur Natur und zum nationalen Gedankengut. Weber gehörte der Wandervogelbewegung von seinem 15. Lebensjahr bis zu seiner Volljährigkeit 1914 an, einer Volljährigkeit, die mit dem Kriegsdienst an der Ostfront begann. Die eigentliche Militärzeit aber konnte Weber aufgrund seiner künstlerischen Begabung auf zwei Jahre verkürzen, denn ab 1916 war er als Zeichner und Karikaturist für eine Armeezeitschrift tätig und wurde zuletzt zum Sitz der deutschen Obersten Heeresleitung nach Spa in Belgien versetzt.

In die frühen 20er Jahre fallen dann die ersten Erfolge als Buchillustrator. Die Themen suchte sich A. Paul Weber vor allem in der frühneuzeitlichen Schwankdichtung, bei Hans Sachs, Till Eulenspiegel (einen Tyll haben wir hier – wir werden auf die Figur des Narren bei Weber noch zu sprechen kommen) und in den Fabeln wie dem Reineke Fuchs. Insbesondere an den Fabeln schulte Weber sein Gespür für Sprachbilder, die er in echte Bilder umsetzen konnte. Den schlauen Fuchs, die diebische Elster, die listige Schlange, den störrischen Esel kennen wir. Weber aber hat den Bildervorrat solcher Tierdarstellungen beständig erweitert. Wir sehen hier einige Zeichnungen, die menschliche Eigenschaften in Tierbilder fassen. Es ist auffällig, daß Weber die Tiere so geschickt darstellt, daß es tatsächlich lediglich als Überzeichnung einer menschlichen Darstellung wirkt, wie man sie aus Karikaturen kennt. Die Morgenpost etwa, die Sie auf der Einladungskarte sehen, zeigt eine ältere Dame, die neugierig einen Brief liest. Nase und Haar sind Schnabel und Gefieder einer Henne, doch behält die Gesamterscheinung durchaus ihren menschlichen und in diesem Fall sehr sympathischen Charakter. Der introvertierte Igel, der in der Rübenfuhre seinen Karren nach Hause fährt oder hier – als Illustration des Märchens vom Hasen und dem Igel denkbar – der Swinegel, der stillvergnügt auf seinem Platz sitzt – aber auch hier der fischige Bourgeois bei Tisch in Das war zuviel – grundsätzlich behalten die Dargestellten ihren menschlichen Charakter. (In Fabeln sind es Tiere oder Pflanzen, die als Menschen dargestellt sind. Weber stellt Menschen als Tiere dar, ohne ihnen das Allgemein-Menschliche zu nehmen. Es ist eine andere Ausrichtung als gewöhnliche Fabelillustrationen.)

Der Rückgriff auf eingeführte Strategien der Darstellung ließ Weber in Karikaturen der 20er Jahre auch auf die Muster antisemitischer Stereotype zurückgreifen – dies gehört zur Kehrseite seiner tief verankerten deutschnationalen Einstellung. Die Darstellungen wurden ihm nach dem Zweiten Weltkrieg vorgeworfen, doch haben sie ihm vermutlich zunächst einmal das Leben gerettet, als er 1937 ein halbes Jahr lang in Fuhlsbüttel in Gestapohaft einsaß. Für die Nationalsozialisten stellte A. Paul Weber vermutlich ein echtes Problem dar: Einerseits musste man ihn festsetzen, denn er gehörte seit 1928 dem antifaschistischen Widerstandskreis um Ernst Niekisch an. Die Illustrationen dieser Zeit, die Weber für verschiedene, im Laufe der 30er Jahre verbotene Widerstandsblätter schuf, stehen im Zeichen todernster Warnungen vor Hitler und vor einem kommenden Krieg. Ernst Niekisch veröffentlichte 1932 beim Wiederstandsverlag Berlin die Schrift „Hitler – ein deutsches Verhängnis“ und bat Weber um passende Illustrationen. Das Titelblatt zeigt denn auch den Tod – einfach den Totenkopf - in eindeutiger Pose (mit emporgerecktem rechten Arm), emporgehoben von einem Volk, das genauso dasteht. Die Zeichnung Das Verhängnis, eine Illustration aus derselben Kampfschrift, zeigt ein Volk, das bergan strömt, um hinter der Bergkuppe in einen riesigen Sarg zu stürzen. Der Sarg trägt ein Hakenkreuz und ist damit wiederum eindeutig gekennzeichnet. Wie Lemminge läuft ein ganzes Volk freiwillig in seinen Untergang. Zeichnungen wie diese also waren für Webers Verhaftung verantwortlich. Andererseits aber muß man wohl zu guter Letzt zu dem Schluß gekommen sein, daß Webers Talent auch zu nutzen sein könnte, er kam jedenfalls wieder frei. In einer Sammlung von später sogenannten Britischen Bildern – wiederum ein Wortspiel: es sind eigentlich die „Kritischen Bilder“ – stellte Weber die Unmenschlichkeit und Ungerechtigkeit imperialistischer Kolonialpolitik bloß. Er tat dies am Beispiel des British Empire mit seinen vielen Kolonien rund um die Welt, und dies passte wiederum dem Regime des Dritten Reiches als Pamphlet gegen den Kriegsgegner England sehr gut ins Konzept. Von den rund 200 Zeichnungen wurden knapp ein Viertel 1941 im Nibelungenverlag herausgegeben.

Nach dem Krieg arbeitete Weber als satirischer Zeichner für den „Simplicissimus“. Auch der „Griffelkunst-Vereinigung“ lieferte er bis zu seinem Lebensende Grafiken, insgesamt über 150 Blätter. Ab 1959 gab er im Selbstverlag das Jahrbuch „Der Kritische Kalender“ heraus, in dem er seinen Zeichnungen literarische Ausrisse und Texte der Tagespresse zur Seite stellte. Bis zu Webers Tod 1980 wurden in diesem Kalender noch einmal rund 600 Arbeiten veröffentlicht.

Es ist eine überschaubare Anzahl von Themen, die im Werk A. Paul Webers immer wiederkehren. Weber muß eine sehr geschlossene und konsequente Persönlichkeit gewesen sein muß, was sich auch in der Konsequenz seiner künstlerischen Einmischung niederschlägt. Ein seit seiner Jugend (Wandervogelbewegung) stets wiederkehrendes Thema ist die Natur, die jedoch meist als gefährdete, fast schon zerstörte Natur ins warnende Bild gesetzt wird. So ist unser Blatt Holzfäller Tod eben tatsächlich eine Lithographie zum Thema Umweltschutz – keine der bei Weber auch zu findenden Variationen zum Thema menschlichen Sterbens: Die zeichnerische Vorlage zum Holzfäller Tod entstand bereits 1946 und richtete sich gegen Abholzungen durch die Britische Besatzungsmacht (seit 1936 lebte Weber ja in Schretstaken bei Mölln, nach dem Krieg also in der Britischen Besatzungszone). Selbstverständlich hat das Blatt angesichts immer bedrohlicher werdender Umweltschäden an Aktualität bis heute nur hinzugewonnen. In die Reihe der Umweltschutz-Bilder gehört auch der Sterbende Hecht aus dem Jahr 1957. Es ist wahrscheinlich eines der Blätter, die am deutlichsten Zeugnis von der ungeheuren Konsequenz und Thementreue Webers ablegen. Man muß sich den zeitlichen Kontext vor Augen führen: Die Bundesbürger schwelgten mitten im Wirtschaftswunder, seit drei Jahren war man Fußballweltmeister, seit zwei Jahren hatte man wieder ein Heer und war Mitglied der NATO, im Jahr 1957 selber unterzeichnete man mit Frankreich, Italien und den BeNeLuxländern die Römischen Verträge als Grundlage der Europäischen Gemeinschaft – kurz: Die Stimmung im Lande war alles andere als dazu angetan, sich über Umweltschäden und eine mögliche Selbstbeschränkung etwa in Energiebedarf und Lebensführung Gedanken zu machen. Es passt zu A. Paul Weber, daß er seiner Gesinnung auch in solchen Zeiten mit gleichbleibender Eindringlichkeit Ausdruck verlieh.

Ein weiteres Blatt zum Thema Naturzerstörung ist besonders geeignet, die Strategien von Webers Darstellung einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Es ist das Blatt Fortschritt. Dargestellt ist ein Flugplatz – falsch! Dargestellt ist der Wald. Die Stadt, gemeinhin als Zentrum bezeichnet, und ihr Flugplatz sind an den Rand der Darstellung gerückt. Im Zentrum des Blickes liegt das sonst Marginalisierte: eben der Wald, die Peripherie, die man glaubt, schadlos der entgrenzten Mobilität opfern zu können. Eindringlich und anrührend wird die Darstellung durch zwei Anthropomorphisierungen. Im Wald, eng verwoben und eins mit der Natur, sitzt ein kleiner Waldschrat, der sich die Ohren zuhält. Er verliert sein Zuhause, und das Mitleid des Betrachters ist sofort auf seiner Seite. Das nicht Abbildbare, nämlich der Lärm, wird durch die Geste des Waldschrats darstellbar gemacht. Der Eindruck des Verwobenseins mit der Natur entsteht durch die feine Strichelung, aus der Weber die überwiegende Zahl seiner Zeichnungen zusammensetzt. Das Waldmännlein ist die erste Anthropomorphisierung des Blattes. Die zweite ist natürlich der Bagger, dessen Scharniere wie Augen gezeichnet sind. Seine Schaufel hat Zähne, mit denen er sich ins Unterholz frisst – wieder ein Sprachbild, das Weber zur Darstellung genutzt hat.

Neben dem Thema Umwelt ist es die Menschenmasse und – ihr gegenübergestellt – der Narr, der thematisch viele Bilder Webers bestimmt. Ich habe vorhin bereits ein Massen-Bild geschildert, nämlich den Weg des deutschen Volkes in den Sarg, den die Nationalsozialisten bereitgestellt haben. Wir finden die Masse in unserer Ausstellung in ähnlichem Sinne auf etlichen Bildern wieder: Das alte Lied zeigt einen Rattenfänger, dem die gesichtslose Masse willenlos folgt. Der Schaumschläger ist derjenige, der die Masse benebelt. In den Humorlosen schlägt die dumpfe Masse in eine brutale Lynchprozession um, die einen Narren – in diesem Fall das traditionelle Bild für den, der die Wahrheit sagt – aufspießt und tötet. Ebenso brutal zeigt und das in der ersten Runde die Masse hasserfüllter Zuschauer, die über das frühe Ende eines Kampfes in Aufruhr gerät. Die vielen düsteren Darstellungen der gefährdeten, verführten, in Fluten oder dem sprichwörtlichen „Sumpf“ untergehenden Masse sind es denn auch, die Webers Zeichnungen vor allem als „Kunst im Widerstand“ in Erinnerung hält. Er zeichnete in den 60er Jahren (Schwarz und Weiß) gegen die südafrikanische Apartheid ebenso an, wie er 30 Jahre zuvor gegen das nationalsozialistische Regime angezeichnet hatte. Als roter Faden zieht sich der künstlerische Kampf gegen Gefangenschaft und Unterdrückung durch Webers Werk – gegen die Unterdrückung gleichermaßen von Menschen wie von Tieren und von der Natur.

Ich wünsche Ihnen einen interessanten Abend. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Cornelie Becker-Lamers, Weimar