Universen lebendiger Stille. Goldarbeiten von Kuno Vollet

Rede zur Eröffnung der Ausstellung

Galerie Kunstraum Jena, Freitag, 14. November 2014, 19 Uhr

Lieber Kuno Vollet, meine sehr geehrten Damen und Herren,

"Universen lebendiger Stille" - der Titel der Ausstellung, die ab heute in der Galerie Kunstraum zu sehen ist - stammt von der Kunstwissenschaftlerin Lena Naumann. "Universen lebendiger Stille" ist der Titel ihrer Untersuchung zu den Goldarbeiten Kuno Vollets, die sie als "Sakralwerke der Moderne" bestimmt, als "Ikonen einer überkonfessionellen Spiritualität", als "Altarbilder für Menschen, die sich einer das Irdische transzendierenden Seinsebene bewußt sind."

Wer sich zum Werk von Kuno Heribert Vollet äußert, findet immer so hohe Worte. Die Verknüpfung seiner Kunst mit der Sphäre des religiösen oder spirituellen speist sich dabei aus zwei Quellen: Aus dem bevorzugten Material, das Kuno Vollet verwendet - Gold - und aus seiner Arbeitsweise, die sich von seiner jahrzehntelangen Praxis der Transzendentalen Meditation nicht trennen läßt. Auf beide Punkte möchte ich zu sprechen kommen. Beginnen wir mit dem Material.

In dem Buch "Goldworks", das ganz druckfrisch vorliegt und im mundus-Verlag anläßlich der Kunstmesse Art Innsbruck 2015 erscheint, sind neben den Abbildungen der Kunstwerke und Stichpunkten zur Biographie Kuno Vollets auch kunstwissenschaftliche Texte versammelt, die das Werk sehr fundiert untersuchen. Aus einem der Texte, "Universen lebendiger Stille", habe ich eben zitiert. Das erste, was der kunstwissenschaftlichen Forschung zum Thema Gold einfällt, ist in jedem Fall der Goldgrund mittelalterlicher religiöser, also christlicher Kunst. Sie alle kennen Altarretabeln, die Heilige oder die Gottesmutter vor goldenem, zum Teil kunstvoll strukturiertem Hintergrund zeigen. Dieser Goldgrund zur Darstellung der göttlichen Sphäre findet bis an die Schwelle zur Renaissance Verbreitung, um uns das Nur-Licht-Sein des Universums nachempfinden zu lassen. Gold gehört in die Sphäre des Religiösen - natürlich auch bereits im Falle etwa ägyptischer Tempel oder Grabbeigaben - Gold gehört in die Sphäre des Religiösen, da es die Ewigkeit symbolisiert. Tatsächlich ist es rein chemisch so, daß dem Gold schwer beizukommen ist. Es ist unauflöslich - außer im sogenannten "Königswasser", einer Mischung aus Salzsäure und Salpetersäure. Dem normalen Sterblichen ist es nicht möglich, Gold etwas anzuhaben. So wurde es nicht nur aufgrund seines unbeschreiblichen Glanzes zum Symbol der Unsterblichkeit, mit dem den Göttern gehuldigt wurde, das aber auch Herrscher gerne für sich beanspruchten. Auf dies alles nimmt Goldgrund Bezug, wie wir ihn aus der mittelalterlichen Sakralkunst kennen: Glanz, Licht, Gottesherrschaft, Ewigkeit, in die uns die Heiligen vorangegangen sind.

Auch im Werk von Kuno Vollet verweist das Gold auf die Sphäre des Göttlichen, wenn auch nicht im christlichen Sinne. Lena Naumann schreibt in dem bereits zitierten Aufsatz: "In [Kuno Vollets] Bildern dient das Gold einer transzendenten Idee, die wiederum durch kein anderes Material adäquater zum Ausdruck gebracht werden könnte als durch das göttlichste aller Metalle."

Wie ist dies nun konkret im Werk Kuno Vollets zu verstehen? Nachdem eine Nürnberger Kunstausstellung den Heranwachsenden nachhaltig für die Schönheit des Goldes begeistert hatte, entschied er sich für ein Studium der Malerei, Design, Druckgrafik und Keramik an der Kunsthochschule Kassel und kam Anfang der 70er Jahre mit der vedischen Philosophie und den meditativen Praktiken eines indischen Yogi in Berührung. Diese Begegnung prägt Kuno Vollet bis heute. Er erlernte die Transzendentale Meditation, die ein Verschmelzen des individuellen Bewußtseins mit der Sphäre des Göttlichen anstrebt.

Und damit kommen wir zum zweiten Punkt, durch den die Kunst Kuno Vollets als Gegenstand gewordene spirituelle Erfahrung beschrieben wird: Das ist die Arbeitsweise des Künstlers. Zwar entstehen die Werke nicht in der Trance der Meditation - das wäre bei der handwerklichen Komplexität der geschichteten Bilder wohl auch kaum möglich. Doch Kuno Vollet regeneriert seine schöpferische Kraft täglich zweimal wie in Gebetsstunden in der meditativen Praxis und überträgt die Ruhe, die er dort findet, für uns spürbar in sein Werk. In den Goldarbeiten komponiert er strikt ungegenständlich Materialien und Farben, Flächen, Linien und Formen. Ich möchte diese Werke am liebsten als konkrete Kunst bezeichnen, da sie die Voraussetzungen der Malerei wie die Bildfläche, die Farben, die Linien und die illusionäre Schaffung des dreidimensionalen Raums in der Fläche zum Gegenstand haben. Gerade das Blattgold wird regelrecht in Szene gesetzt.

Ausgangspunkt der Arbeiten ist meist ein Stück Holz. "Fragmente 4" zeigt, daß auch dieses Material, also der Malgrund!, Eingang in die inhaltliche Aussage des Werkes finden kann: Das Holz ist zu einem Teil verkohlt. Eine alte Planke, deren antike Anmutung sichtbar bleibt und so vom Künstler mit für die Bildaussage genutzt wird. Das Blattgold - Vollet verwendet niemals Goldfarbe - das Blattgold wird nun entweder direkt auf das Holz aufgebracht. Meist ist dies aber der zweite Schritt. Eine Leinwand tritt hinzu, die mit verschiedenen Farbschichten bearbeitet wird. Die unterschiedlichen Trocknungszeiten der Farbschichten bewirken eine Spurenbildung, ein Reißen und Brechen der Oberfläche, das ein Moment des Zufälligen und Spontanen in diese Malerei hineinbringt. Zudem verleiht sie dem Werk den Anschein der Erinnerungstiefe antiker Funde. Zugleich ist - aber das nur am Rande - das Krakelee, dem wir hier regelmäßig begegnen, auch eine kleine Hommage des Künstlers an sein Studium der Keramik, für welche das Krakelee der Lasuren ja so typisch ist.

Bleiben wir bei der Malerei: Die Leinwand wird auf das Holzstück aufgebracht, und zum entstandenen strukturierten Untergrund treten nun durch gezielte Manipulationen weitere haptische Effekte hinzu: So wird etwa Sand aufgebracht, die farbigen Quadrate werden plaziert oder alte Blätter collageartig im Bildraum angeordnet. Nun wird das Blattgold aufgebracht, dessen hauchfeine Schicht die unterschiedliche Beschaffenheit des Untergrundes weiterhin an die Oberfläche des Werkes treten läßt: Ein vielschichtiges Werk ist entstanden, dessen Relief das Licht in tausenderlei Weise zurückwirft und so das Gold in allen seinen Facetten zum Leuchten bringt. Ein Werk, das bewußt Alterungsprozesse inszeniert und als "Fragment aus allen Epochen und Zeiten", wie der Künstler selbst sagt, der überindividuellen Dimension der Kultur und der Schöpfung ein Denkmal setzt. Und dabei geht es Kuno Vollet sowohl um die überindividuelle zeitliche Dimension der Kultur wie ihrer überindividuellen Vielfalt.

Weitere Elemente können in einem solchen Werk konkrete Sinnhorizonte aufreißen. Wir erkennen Kreislinien und Scheiben, die die Form des Heiligenscheins, des auratischen Nimbus der Erleuchteten zitiert (Der Heiligenschein ist ja keine Erfindung der christlichen Kunst). Und wir erkennen vereinzelt Buchstaben in den Arbeiten: klar definierte Zeichen, die uns auf die Spurensuche nach eindeutigem Sinn schicken. Die Buchstaben in Frakturschrift treten als Ornamente in den Bildern auf - sie sehen von allem andern abgesehen auch einfach schön aus - und sie sollen zur Wortbildung anregen, zur Initialensuche, zum Assoziieren. "Fragemente 4", das Werk auf dem verkohlten Holz, zeigt einen Schriftzug, der auf den ersten Blick sogar "Gott" zu benennen scheint. Da steht freilich nicht "Gott", weil der erste Buchstabe kein "G" ist, sondern ein "C". Aber etliche von uns werden zunächst "Gott" gelesen haben und sich fragen, warum da eigentlich nicht wirklich "Gott" steht. Ich denke, diese Bemerkung: Da müßte doch jetzt "Gott" stehen, ist beispielsweise eine der Erkenntnisse, die die Goldarbeiten Kuno Vollets vermitteln wollen.

Bedenken wir von hier aus noch einmal das Stichwort von den "Sakralwerken der Moderne und Ikonen einer überkonfessionellen Spiritualität", als welche Lena Naumann die Goldarbeiten Kuno Vollets charakterisiert hatte. Was sagen sie uns über Religiosität und Spiritualität in der heutigen, säkularisierten Zeit? Auffällig ist natürlich das Fehlen nicht nur jeglicher Personen, sondern jeglicher Gegenständlichkeit. Und zwar nicht mal nur im Sinne der Abstraktion, also einer Ungegenständlichkeit, die sich immer noch vom Gegenständlichen herschreibt, sondern im Sinne der konkreten Kunst, die sich bewußt darauf beschränkt, Malgrund, Materialien, Farben und Formen zu komponieren und nicht nur in ihrer dienenden Funktion - zur Darstellung von etwas anderem - sondern in ihrem Eigenwert - bis hin zum Malgrund - in ihrem Eigenwert ästhetisch erfahrbar zu machen. Damit passen Kuno Vollets Werke in unsere Zeit - der wirtschaftliche Erfolg spricht da für sich -, der ein personalisiertes Gottesbild völlig fremd geworden ist. Geblieben aber ist doch etlichen von uns, gerade mit dem Fortschritt der Naturwissenschaften, ein Gespür dafür, daß wir die Schöpfung ausschnittsweise wohl untersuchen, manipulieren und kombinieren können, daß uns aber nur ein winziger Teil der Realität, der Dimensionen, der Zeitlichkeit und der Materie begreiflich sind. Manch Unvorstellbares wie Paralleluniversen ist für Mathematiker sogar berechenbar, das heißt aber noch nicht, daß es uns erkennbar und anschaulich werden könnte. In ihrer Großartigkeit und im Rätsel ihrer Entstehung - warum und zu welchem Ende? - können wir heute die Schöpfung weder ergründen noch beherrschen. So spiegeln die Goldarbeiten Kuno Vollets das Bewußtsein einer Welt, die dem kleinen Ausschnitt des für uns Wahrnehmbaren jenseitig ist und für uns heute weder sichtbar noch erfahrbar werden kann. Die Werke Kuno Vollets wecken in der unbeschreiblichen Schönheit ihres Glanzes, ihrer Farbigkeit und ihrer zufälligen Strukturen dieses Bewußtsein auch in uns Betrachtern, das Bewußtsein von einer Welt jenseits der Welt, die uns heute vielleicht noch rätselhafter ist als dem Maler, der vor 600 Jahren eine Heiligendarstellung auf Goldgrund schuf.

Dr. Cornelie Becker-Lamers