Timm Kregel

Rede zur Ausstellungseröffnung

Vertretung des Freistaates Thüringen beim Bund, Berlin (-> Fotos von der Eröffnung)

Mittwoch, 2. November 2011, 19.00 Uhr

 

Sehr geehrter Herr Stehfest, lieber Timm Kregel

meine sehr geehrten Damen und Herren,

Timm Kregel ist mit dem Kunstpreis der artthuer 2010 ausgezeichnet worden, Herr Stehfest hat es eben erwähnt. Mit in 2010 über 130 Bewerbungen war die Konkurrenz zwischen den Künstlern hoch. Die Jury, der Leute wie der Direktor der Kunsthalle Erfurt, aber auch langjährige institutionelle Förderer der bildenden Kunst in Thüringen angehörten, kam dennoch zu einer überraschend klaren und eindeutigen Entscheidung.

Was wurde ausgezeichnet?

Ich kann aus Zeitgründen nicht die eine DIN A4 Seite lange Begründung der Jury vorlesen – obwohl das auch interessant wäre – möchte aber doch einen Ausschnitt daraus zitieren, weil dies einen sehr guten Einstieg bietet, um nachfolgend auf die wesentlichen Besonderheiten in der Kunst, aber auch in der Arbeitsweise Timm Kregels einzugehen.

„Timm Kregel arbeitet seit Jahren kontinuierlich in traditionellen Genres der bildenden Kunst wie der Zeichnung, der Druckgrafik und der Skulptur. Als sein Markenzeichen [...] kann die sensible Bearbeitung von Holz gelten (konnte bis 2010, muß man heute sagen) […]. Dabei nahm er die sich im Holz […] abzeichnenden Wachstumsprozesse auf und verallgemeinerte sie, indem er Formen erfand, die in zahlreichen Variationen auf Knospendes, Empor­strebendes und sich Verzweigendes verweisen.“ (Sieht man auch hier an einigen Werken sehr gut)

Seit Timm Kregel den Aluminiumguß für sich entdeckt hat,

„bevorzugt (er) Assoziationen, die aus der Spannung zwischen Gewachsenem und Gebautem resultieren. Er führt gleichsam eine Konstruktion vor, die sich nahe an den ursprünglichen organischen Prozessen orientiert, jedoch seine im Holz erprobte Formensprache nicht einfach in die neue Technik und das neue Material überführt. Vielmehr beweist er auch hier seine ausgeprägte Sensibilität für die genuine ästhetische Wirkung bestimmter Materialien.“

Die Begründung fährt noch fort, dass mit dem Kunstpreis der artthuer auch die besondere Beharrlichkeit anerkannt werden soll, mit der Timm Kregel „die eigenen Formvorstellungen an den Bedingungen der jeweils verwendeten Bearbeitungsmethoden und -materialien ausrichtet, sie dabei verändert und entwickelt.“

Also: Kregel arbeitet in traditionellen Genres. Wenn er in Holz arbeitet, nimmt er die dort ablesbare Idee des Wachsens und der organischen Entwicklung auf und lässt sie in die neu erfundenen Formen seiner phantastischen – phantasiegeborenen – Werke einfließen. Seit er Aluminiumgüsse produziert, lebt diese Kunst von der Spannung, die die organischen Formen in metallener Konstruktion hervorbringen (denken Sie an die Fülle im Vorraum oder an Kabinett III unten im Hof, sehen Sie aber auch die wie verzweigten Arme des Buchenbechers, Rebrads, der Reiserspuren draußen oder das Geäst, das den Nordgang zu umranken scheint.) Im neuen Material baut Timm Kregel die Holzskulpturen zwar zum Teil nach, aber im Nachbau ist das Vorbild häufig kaum wiederzuerkennen, so sehr hat sich das Werk dem neuen Werkstoff – dem Metall – angepaßt. Ausgezeichnet wurde von der Jury daher explizit auch die Beharrlichkeit, mit der Timm Kregel seinen Formenkanon verfolgt und zugleich nach den inhärenten Bedeutungen des Materials variiert.

Menschen, die selber nicht künstlerisch tätig sind oder nicht viel mit Kunst in Berührung kommen, fragen sich häufig, wie ein solches Ringen um die richtige Form zu begreifen ist, wie es einen Menschen sein Leben lang fesseln kann. Nun – den genuin künstlerischen Schaffenstrieb kann man sicherlich nicht erklären – der ist da oder er ist nicht da. Aber wir können sicher, indem wir nun ganz ausgewählt ein Werk Timm Kregels betrachten, erkennen, welch unterschiedliche Inhalte dieselben Formen je nach Kontext und Verarbeitung plötzlich sichtbar werden lassen. In unterschiedlichen Materialien selber scheinen unterschiedliche Bedeutungen aufgehoben zu sein, der Kontext unterschiedlicher künstlerischer Elemente beeinflusst die Aussage eines Kunstwerks nicht nur am Rande, sondern im Kern.

Sehen Sie bitte an der rückseitigen Wand den Holzschnitt Wechsel. Er ist in den letzten Tagen und Wochen erst entstanden und ich habe ihn auch heute Mittag zum ersten Mal gesehen. Ich kenne aber wesentliche Elemente des Drucks aus früheren Werken: Wir sehen – wie im Kompass angeordnet – die vier Himmelsrichtungen benannt, wir sehen wir Tiere, die symbolisch für die ebenfalls genannten vier Elemente stehen: Elefant, Fisch, feuerspeiender Drache und Adler für die Erde, das Wasser, das Feuer und die Luft bzw. Norden, Westen, Süden und Osten. Wir lesen die lateinischen Namen Terra, Aqua, Ignis und Aer bzw. astrologische Bezeichnungen wie „septentrio“ für den Norden. In septentrio steckt septem – die Sieben. Es bezeichnet das Siebengestirn – wir nennen es den Großen Wagen, das das ganze Jahr über im Norden zu sehen ist und daher zum Synonym für diese Himmelsrichtung wurde. Zudem sehen Sie die kleine Dreiecke auf der Spitze oder einer Seite liegend. Es sind dies die alchimistischen Symbole der vier Elemente.

Die lateinischen Namen und die alten Symbole verweisen auf ein wesentliches Element im Schaffen Timm Kregels. Statt Norden und Osten zu sagen, wählt er die astrologischen Begriffe der Himmelsrichtungen – Sie wissen, Oriens ist der Sonnengott, oriri heißt lateinisch sich erheben – occidere entsprechend fallen, sich herabsenken. Timm Kregel ist an der Erinnerungstiefe des Kulturellen Gedächtnisses gelegen, wenn er Themen zur Darstellung bringt. Er will für uns einen Horizont aufreißen, der uns in ein archaisches Umfeld lebendiger ritueller Bräuche oder das Wissen uralter, ur-menschlicher Kulturen versetzt. (Hier wäre auch zur Bootsmotivik bei Kregel einiges zu sagen – aber bleiben wir bei unseren Tieren.)

Die Tiersymbole mit den vier Elementen entstanden ursprünglich für eine Auftragsarbeit in Bad Frankenhausen – eine Kunst-am-Bau-Arbeit. Sie erscheinen vor dem Druck hier in vier einzelnen Prägedrucken, vor allem aber auch in orbis terrae, das unten im Hof aufgebaut ist: Ein großer Kreis, aufgehängt zwischen vier stelzenartigen Beinen.

Das Vorbild für orbis terrae – und nun kommen wir noch einmal auf das Variieren und Weiterbauen der Formen zu sprechen – das Vorbild für orbis terrae ist Godzos Weg, eine aus kleinen Holzstücken wie eine Mauer aufgebaute Holzskulptur aus dem Jahr 2002 – im Grunde in orbis terrae kaum wiederzuerkennen. Und das liegt wiederum an den in orbis terrae verwendeten Figuren. Orbis terrae ist nicht wie eine Mauer aufgebaut, sondern – ähnlich der Schattensonne hier im Flur – aus konzentrischen Kreisen und senkrecht nach außen strebenden Linien. Diese Struktur wird gestört durch die glatten Flächen, wo drei der vier Tiere hier eingebracht sind mit den Bezeichnungen der Elemente und der Himmelsrichtungen. Die Tierreliefs machen die Skulptur allererst zum Erdkreis. Die Anzahl der konzentrischen Kreise allerdings ist nicht neun – wie die Breitengrade eine Hemisphäre, sondern sieben – eine Glückszahl, die wiederum die Bedeutung der Scheibe als Rad der Fortuna, der wankelmütigen Glücksgöttin, mitschwingen lässt.

Kehren wir noch einmal zu Wechsel zurück. Was ist hier im Schaffensprozess außerdem passiert?

Sie sehen, im Gegensatz zu einer Zwischenstufe von einfarbigen Prägedrucken, die ich vorhin erwähnte, überlagert der Holzschnitt in schwarz eine blau eingefärbte Zeitungscollage von – aufgelisteten Aktienkursen (Sie sehen, im Titel Wechsel schwingt hier dessen pekuniäre Bedeutung mit). Hier sehen wir sehr schön die Bedeutung, die das Material selber schon mit sich bringt: Stellen Sie sich diese Aktienkurse in Stein gemeißelt vor – sofort würde die Assoziation etwa eines römischen Epitaphs mitschwingen – die Werkaussage wäre sofort ein völlig veränderte! Nein, es ist eben bewusst die Tagespresse, die hier als Hintergrund fungiert, die Tagespresse als Inbegriff des Temporären und Vergänglichen.

Wir haben hier die bewusst uralte Wissenstraditionen abrufende Darstellung der vier Elemente und der vier Himmelsrichtungen, die eine aktuelle Auflistung von Aktienkursen in der Tagespresse überlagert und überdeckt. Die uralte Weisheit setzt sich – und sei es nur in diesem einen Werk – gegen die Schnellebigkeit postmoderner Cleverness durch. Welch beruhigende Botschaft! Und wie passend in das Werk Timm Kregels, das in all seinen Variationen mit seiner von der Jury ausgezeichneten „Beharrlichkeit“ immer wieder eines umkreist: nämlich die in den Gegenständen unseres Alltags so häufig überlagerten, aber doch so wesentlichen archaischen Grundlagen einer Kultur des Menschen. 

Damit möchte ich schließen und biete an, mit einem Kreis von interessierten Zuhörern einzelne Werke abzuschreiten, die wir im Einzelnen genauer betrachten und in Ruhe auf uns wirken lassen können, wo wir Verwandtschaften oder Veränderungen der Werke untereinander feststellen und die jeweiligen Bedeutungen ausloten können.

Haben Sie zunächst vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

 

Dr. Cornelie Becker-Lamers, Weimar