Skulptur . Weimar . 2012 . Michael Ernst. Kinetische Objekte. Metallskulpturen
Rede zur Ausstellungseröffnung
Romantikhotel Dorotheenhof Weimar, 3. Juni 2012
Sehr geehrte Frau Miehe, sehr geehrter Herr Weiß, liebe Elke Gatz-Hengst, lieber Michael Ernst, sehr geehrte Damen und Herren,
die bereits vierzehnte Skulptur . Weimar hat Elke Gatz-Hengst von der Galerie Profil Weimar in diesem Sommer auf die Beine gestellt, die vierzehnte Ausstellung plastischer Werke im öffentlichen Raum, im Stadtraum Weimars, im Kulturbahnhof und hier in diesem wunderschönen Park des Dorotheenhofes. Wenn Sie sich an die Künstler der letzten Jahre erinnern: Es waren durchweg hochkarätige Expositionen - denken Sie an Georg Malin, an Prof. Hans Joachim Albrecht, Günter Ullmann, Anne-Katrin Altwein, Beate Debus und und und. Alles phantastisch! Aber dieses Jahr präsentiert die Skulptur . Weimar etwas ganz Besonderes, das tatsächlich in diesem Format noch nicht dabei gewesen ist, nämlich kinetische Kunst, also bewegliche Plastiken, groß angelegte kinetische Werke für den öffentlichen Raum: Michael Ernst, den wir Ihnen in diesem Jahr vorstellen, Michael Ernst, in Thüringen aufgewachsen, in der Welt zuhause, seit einiger Zeit wieder in Thüringen ansässig, Michael Ernst hat in der kinetischen Kunst für den öffentlichen Raum seinen Arbeitsschwerpunkt.
Nun werden Sie sagen: Was erzählt sie da? Der Ichthysaurus bewegt sich doch gar nicht. Da haben Sie vollkommen Recht. In der Tat hat Michael Ernst immer auch statische Plastiken neben den kinetischen geschaffen, und die Rücksicht auf die Kunstwerke hat die Kuratorin und den Künstler bestimmt, relativ viele statische Arbeiten gerade auch im Stadtraum mit aufzustellen. Denn in puncto Vandalismus ist kinetische Kunst weitaus gefährdeter als traditionelle statische Plastiken. Der Arbeitsschwerpunkt von Michael Ernst liegt dennoch in immer weiteren Experimenten mit beweglichen Skulpturen und wir können hier genügend davon betrachten, um den Sinn dieser Arbeiten zu verstehen.
Lassen wir ganz kurz den Werdegang von Michael Ernst revuepassieren. Michael Ernst (Jahrgang 1973) ist ausgebildeter Kunstschmied, arbeitete nach einem Studienaufenthalt in Japan auch zunächst im väterlichen Betrieb und bildete sich über Arbeitsaufenthalte in Schottland, Frankreich und vor allem mehrmals in Portugal letztendlich autodidaktisch zum Metallbildhauer, zum Künstler aus. Das heißt, die tätige Mitarbeit an entstehenden Kunstwerken, an Kunst am Bau oder Kunst im öffentlichen Raum, ließ ihn Problemlösungen erarbeiten, die bald zu eigenen künstlerischen Ideen führten. So fertigte er für die 8 Meter hohe Großplastik "Zephirus" des portugiesischen Ateliers Ferro Design bewegliche Flügel von 12 Metern Spannweite. Das war 2001. 2002 gründete Michael Ernst sein Atelier "mobiles Eisen" - Sie bemerken die Alliteration mit den eigenen Initialen - und ist seither als freischaffender Künstler selbständig. Die Form der Flügel, die er für Zephirus geschaffen hatte, beschäftigte Michael Ernst weiter und ist in der Reihe "Wings" beispielsweise auch in dieser Ausstellung hier zu finden - unten in der Stadt vor dem Schillermuseum und am Beethovenplatz - aber übrigens auch hier im Park bei den beiden kleinen Figuren, "Engel". Ganz ursprünglich liegt dem Flügelmotiv wohl die Idee zugrunde, eine Pflugschar zu schmieden: Michael Ernst hat 1989 seine Ausbildung begonnen, und das Bibelzitat aus dem Buch Micha, man wird "Schwerter zu Pflugscharen" machen, war sehr präsent.
Nun zunächst zu den statischen Arbeiten, die hier im Park ausgestellt sind. Ich hatte schon erwähnt, daß der Vater von Michael Ernst ebenfalls Kunstschmied ist und übrigens für die Restaurierung von Messing- und Kupfergegenständen nach wie vor einen hervorragenden Ruf genießt. Hier hat Michael Ernst sicherlich die Idee einer Handwerkerehre aufgesogen, die sich allenthalben in seinen Arbeiten widerspiegelt. Alle Werkteile sind prinzipiell in der eigenen Schmiede am Kohlenfeuer mit Hammer und Amboß von Grund auf geschmiedet, und wenn Michael Ernst über die Oberfläche spricht, die mit ihren charakteristischen Strukturen und Narben einen am geschmiedeten Eisen so typisch archaischen Eindruck erwecke, dann spürt man die Liebe und Faszination, die für den Künstler von diesem Handwerk ausgeht. Neben den "Engeln" sind die "Steckfiguren" solche massiven geschmiedeten Arbeiten, die ohne Schweißnähte auskommen. Die Figuren sind aus einem Stück geschmiedet und die Köpfe, die sie in ganz charakteristischer Weise gesenkt halten, sind nicht angefügt, sondern lediglich nicht ganz abgeschrotet. Schmiede haben einen Schrotkeil, den sie im Amboß feststecken können und über dem mit dem Schmiedehammer ein Arbeitsstück abgeschrotet - also gekürzt wird. Der Nacken der Steckfiguren spiegelt genau die Form dieses Schrotkeils wider. Die Steckfiguren heißen Steckfiguren, weil sie nicht verschweißt, sondern verkeilt sind - wiederum ein Element des grundhaft Handwerklichen. Schweißnähte bringen eine andere Oberfläche mit sich - müssen ja geglättet werden - stören also die Ästhetik von Schmiedearbeiten, wie sie Michael Ernst vorschweben. So verkeilt er die Figuren, was sie auch veränderbar bleiben läßt.
Sowohl den Flügelformen als auch den Schrotkeilkerben und den Keilverbindungen begegnet man im Werk Michaels Ernst häufiger. Betrachten wir zum Beispiel den "Ichthysaurus". Der Name "Ichthysaurus" ist, wie der Künstler mir erläutert hat, in diesem Fall ein zusammengesetztes Kunstwort auch Ichthys (griechisch: der Fisch) und Saurus für die Ur-Echsen. Denn das Kunstwerk "Ichthysaurus" changiert zwischen einem Fisch mit emporgereckter Schwanzflosse und einem Saurier, der den Hals zum Licht reckt. Der "Ichthysaurus" ist nicht geschmiedet, er ist auch nicht massiv aus Eisen - dazu ist er zu groß, das läßt sich nicht schmieden. Sie haben gelesen oder sehen auch: Der Ichthysaurus ist aus Cortenstahl. Cortenstahl ist dieser charakteristische Werkstoff, der an der Oberfläche rostet, dann aber eine bestimmte chemische Schicht besitzt, die die Metallplatte nicht durchrosten läßt. Michael Ernst hat mit dem Schneidbrenner aus den Stahlplatten die Teile der Figur geschnitten und dann in der Tat verschweißt. Geschmiedet ist die Schwanzflosse, in der die Figur ausläuft und die eben die Form der Flügel zitiert, die wir von den "Engeln" kennen. Die Kerben am Rücken der Figur - Michael Ernst nennt diesen Rücken die Wirbelsäule, dargestellt ist eigentlich kein ganzes Tier oder Fabelwesen, sondern das Skelett oder Gerüst eines Lebewesens - diese Kerben sind ein formales Zitat der Schrotkeilkerben, die wir von den Steckfiguren her kennen. Auf eine weiterführende Deutung und Symbolik der Figur möchte ich zum Schluß noch einmal zu sprechen kommen und nun endlich etwas über die kinetischen Plastiken sagen.
Als Bindeglied zwischen den kinetischen und den statischen Werken bezeichnet Michael Ernst selber die "Raumschwinge". Sie ist daher ins Zentrum der Ausstellung gerückt ist und etwa auch auf dem Katalogeinband abgebildet. Die "Raumschwinge" ist ein bewegliches Kunstwerk, das Elemente der Schmiedekunst in sich aufgenommen hat. Die durch den Wind ausgelenkte Schwinge ist geschmiedet. Angriffsfläche des Windes ist wiederum eine kleine Flosse, in der die Schwinge ausläuft. Auch kehren die Steckverbindungen hier wieder und zwar an der Halterung des Steins - der Stein ist dadurch in seiner Position veränderbar. Was bewirkt das? Sie wissen, daß unterschiedlich lange Hebel auf zwei Seiten einer Aufhängung die Kraft der aufgehängten Gewichte beeinflußt: Am langen Hebel hat eine kleine Masse dieselbe Kraft wie ihr großes Gegengewicht am kurzen Hebelarm. Daß der Stein der "Raumschwinge" in seiner Position veränderbar ist, bedeutet also, daß der Künstler die Beweglichkeit und die Sensibilität, mit der das Kunstwerk auf Windkraft reagiert, beeinflussen kann.
Warum ist das wichtig? Mit der Antwort auf diese Frage kommen wir zum eigentlichen Sinn und Anliegen der kinetischen Kunst von Michael Ernst: Die Bewegungen, die die Kunstwerke vollführen, sollen, müssen ruhige Bewegungen sein. Das ist für Michael Ernst ganz zentral. Ruhige Bewegungen, in denen die ausgelenkten Teile einer Plastik mit langem Atem in ihre Ruheposition zurückfinden und uns als Betrachter dadurch die Ruhe mitteilen, die in ihren angemessenen Bewegungen liegt. Sie wissen, die kinetische Kunst hat zwei Anläufe genommen: In den 30er Jahren schuf Marcel Duchamps "Rotoreliefs", drehbare, etwa schwarz-weiße Scheiben, die mit optischen Täuschungen spielten und den Betrachter in das Bild hineinzogen. Alexander Calder und George Rickey führten das Mobile-Prinzip in die Bildende Kunst ein. Daß die kinetische Skulptur in der zweiten Hälfte des 20. Jhdts. dann noch einmal eine Renaissance erlebte, kann man natürlich auf dem Hintergrund der Schnellebigkeit unserer Zeit hinterfragen: Warum setzt man der steigenden Hektik nicht viel bewußter das gute alte Tafelbild und die statische Skulptur entgegen?
Die kinetische Kunst Michael Ernsts tut aber doch genau das: Sie widersetzt sich der Hektik und Schnellebigkeit unserer Zeit. Ihr tatsächlich spiritueller Kern liegt in der Versinnbildlichung einer Bewegung, die aus der Ruhe geboren wird und uns deshalb mit in diese Ruhe zurück nehmen kann. Denn was macht Hektik und Schnellebigkeit aus, wenn nicht eine Unangemessenheit der Geschwindigkeiten, mit denen Dinge passieren, sich verändern und Menschen handeln und reagieren müssen? Unangemessen hinsichtlich der Grundschwingungen von Leben, die wir spüren, die aber eben sogar physikalisch gegeben sind. Die kinetischen Kunstwerke von Michael Ernst machen die Ordnungen und Naturgesetze erfahrbar und sichtbar, die uns normalerweise verborgen bleiben. Jede kinetische Plastik Ernsts muß deshalb nicht nur auf ihre ästhetische Gestalt, sondern durch ihre Gestalt auch auf das Prinzip ihrer Bewegung hin betrachtet werden. Bewegung und Beweglichkeit jedes dieser Objekte sind weder Selbstzweck noch Effekthascherei: Ihre Schönheit beruht auf ihrer Angemessenheit und ihre Angemessenheit auf ihrer zuverlässigen Unterordnung unter die Gesetze von Ausgleich und Balance, von Kraft und Gegenkraft. Wer sich auf die Betrachtung beispielsweise der "Raumschwinge" einlassen kann, den wird die ruhige Stetigkeit faszinieren, mit der sie Pendelschlag für Pendelschlag langsam ihre Balance zurückfindet. Der Tanz der Bögen und Kreissegmente, der Kugeln, Scheiben oder Klangschalen in den kinetischen Arbeiten Michael Ernsts machen uns die Kunstwerke durchsichtig für eine Choreographie der Naturgesetze, die auch uns selber eingeschrieben sind. Versenken wir uns in ihren Anblick, bescheren uns die kinetischen Skulpturen in ihrer Suche nach dem Ausgleich der Kräfte eine Bewußtseinserweiterung, die uns in neue Dimensionen der Wahrnehmung wie der Selbstwahrnehmung führt. Wir begreifen Leben als rhythmische Abfolge von Ruhe und anlaßangemessener Bewegung.
Schlagen wir zum Schluß noch einmal einen großen Bogen vom "Ichthysaurus" als statischer Plastik zu den kinetischen Skulpturen: Der "Ichthysaurus" symbolisiert inhaltlich - als fossiles Skelett - wie auch von der rostigen Optik her die Vergänglichkeit, ohne aber tatsächlich zu vergehen, da der Cortenstahl ja nicht durchrostet: Im "Ichthysaurus" also haben wir ein dauerhaftes Symbol der Vergänglichkeit. Die beweglichen Kunstwerke hingegen sind eine dauerhafte Inszenierung des Lebendigen als Abfolge von Ruhe und Bewegung. Michael Ernst schafft es also, uns auf tatsächlich künstlerischem, sinnlich erfahrbarem Wege die beiden metaphysische Prinzipien der Welt erfahrbar zu machen: Vergänglichkeit und ewiges Leben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Dr. Cornelie Becker-Lamers, Weimar