Klaus Bose - Zeichnungen

Rede zur Eröffnung der Doppelausstellung "Orte. Bilder.Reflexionen". Zum 70. Jahrestag der Befreiung Buchenwalds und zum 75. Geburtstag des Künstlers.

Kunsthalle Harry Graf Kessler Weimar, 13. März 2015, 17 Uhr

Sehr geehrte Frau Miehe, sehr geehrter Herr Lüttgenau, lieber verehrter Klaus Bose, liebe Frau Bose, meine sehr geehrten Damen und Herren,

zu seinem 75. Geburtstag ehrt die Stadt Weimar ihren Künstler Klaus Bose mit einer Doppelausstellung in der Gedenkstätte Buchenwald und hier in der Kunsthalle. Der Titel der Ausstellung ist für beide Teile der gleiche: "Orte. Bilder. Reflexionen". Das weist auf die Tatsache hin, daß der Buchenwald-Zyklus, der oben in der Gedenkstätte gezeigt wird, auch die Auswahl der Exponate hier in der Kunsthalle bestimmt hat. Ursula Seeger, die Kunstbeauftragte der Stadt und Kuratorin der Ausstellung, hat aus der Vielzahl von Blättern, die zur Verfügung standen, sehr bewußt Stadt- und Landschaftsansichten aus Weimar und der nächsten Umgebung ausgewählt. Sie hat die Auswahl auf Tusche-, Kohle-, Kreide-, Graphit-, und Bleistiftzeichnungen in schwarz-weiß beschränkt. Nur die "Alte Scheune" ist farbig gehalten, und das mittlere der "Weg nach Hopfgarten"-Zeichnungen zeigt einen winzigen Kreideflecken blauen Himmels am Horizont. Die Blätter, die hier nicht gezeigt werden können, umfassen eine Vielzahl von Portraits, Figuren und Tierdarstellungen in farbigen Mischtechniken.

Und dennoch gibt es auch werkimmanent einen guten Grund, die Stadt- und Landschaftsansichten Klaus Boses in seiner Jubiläumsschau besonders herauszustellen. Seit 1962 war Klaus Bose als Chemiegraph tätig. Chemiegraphen fertigten Druckstöcke für das Hochdruckverfahren, die Tätigkeit ist heute im Berufsbild des Mediengestalters für Printmedien aufgegangen. (Den Ausbildungsberuf zum Chemiegraphen gibt es seit Ende der 90er Jahre nicht mehr.) Neben dieser Tätigkeit lernte Klaus Bose in einer Spezialschule für Malerei und Graphik. Seine Lehrer waren Gottfried Schüler, Otto Paetz und Horst Jährling - alle drei ausgewiesene Landschaftsmaler, die sich besonders der Architektur und der Landschaft ihrer Thüringer Heimat zuwandten. Man kann sicherlich sagen, daß Klaus Bose in seinen Zeichnungen auch das Erbe seiner Lehrer bewahrt und selbständig weiterführt. In Graphitzeichnungen wie dem "Maisfeld" scheint die weiche Zeichentechnik Otto Paetz' deutlich durch, und das unbetitelte Bild ganz rechts (wir haben es für uns "ICE" genannt, Sie sehen, ein InterCity Express rauscht an einem kleinen alten Bahnhof vorbei) zeigt mit der kubistischen Anlage, in der die spitzwinkligen Flächen der Dächer und Gebäude komponiert sind, den Einfluß Gottfried Schülers.

Eine typische und unverwechselbare Handschrift Klaus Boses gibt es selbstverständlich sehr bald auch. Seit 1975 ist er Mitglied im Verband Bildender Künstler und freischaffend als Maler und Grafiker tätig. Diese unverwechselbar eigene Handschrift scheint mir, was Architektur anbelangt, in der Reihe "Flair einer Stadt" (sieben Bilder) greifbar zu werden. Das sind Ansichten städtischer Mietshäuser Weimars. Wir sehen ohne eigentliche Umrißlinien gezeichnete Formen - ein ganz deutlicher Unterschied etwa zu dem "ICE"-Bild, aber auch zu den Skizzen, mit denen Klaus Bose seine Eindrücke unterwegs festhält. Die fertigen Zeichnungen also zeigen keine Umrisse. Ihre Konturen verdankt die Darstellung einzig und allein einer Verdichtung der kurzen, kräftigen Striche, die die besondere Ausstrahlung dieser Zeichnungen ausmachen. Dieser kurze, dichte Strich ist typisch für Klaus Bose und bestimmt auch die Bildwirkung des Buchenwald-Zyklus, der derzeit in der Gedenkstätte zu sehen ist. Kleine kurze Striche, im Ansatz wie mit Widerhaken versehen, zum Teil so verdichtet, daß Flächen regelrecht ausgemalt erscheinen - besonders bedrückend in den schwarzen Silhouetten der Häuser und Speicher. Es sind keine nächtlichen Ansichten. Im Bild ganz links sehen Sie helle Flecken in den Fensterhöhlen. Klaus Bose kommentierte das mit den Worten: "Schauen Sie! Es ist doch so: Stadtbewohner kennen den Himmel nur im kleinen Ausschnitt ihrer Fenster." Der Himmel, der sich in den Fensterscheiben spiegelt, ist hell. Die Düsternis der Bilder beschreibt keine Tageszeit, sondern eine Stimmung. Ganz anders die beiden geradezu duftigen Ansichten der Paul-Schneider-Straße hier. Wieder verdankt sich die Bildwirkung dem Fehlen der Umrißlinien. Die Formen der Häuser lösen sich an vielen Stellen völlig auf. Nur die Schatten der Durchgänge, der Dachvorsprünge, der Mansarden und Fensterhöhlen geben den Gebäuden überhaupt ihre Kontur. Wieder ist es der dichte, kurze, unterschiedlich kraftvoll ausgeführte Strich, der die Darstellung hervorbringt.

Darstellung und Perspektive. Wenn wir uns den Landschaftszeichnungen zuwenden wie hier den drei Bildern "Weg nach Hopfgarten", so stellen wir eine große Tiefenwirkung der Zeichnungen fest. Diese Tiefenwirkung kommt ohne farbige Abstufungen oder perspektivische Tricks wie Verjüngungen oder Fluchtpunkt aus. Sie wirkt sogar dort, wo ein kräftiger hellblauer Farbfleck dem Sich-Entziehen des Hintergrundes entgegenwirkt. (Ein verblauender Hintergrund funktioniert eigentlich mit dunklen, matten, blaugrünen Tönen. Ein kräftiger hellblauer Fleck wirkt dem Sich-Entfernen der Fläche eigentlich entgegen.) Daß dennoch eine perspektivische Wirkung zustande kommt, ist die Leistung des Zeichenstrichs von Klaus Bose, der eben immer über eine bloße Konturierung wie auch über eine bloße Schraffur der Fläche hinausgeht, Flächen mehr und mehr ausfüllt oder ins Duftig-Ungewisse einer Figurenumgebung entläßt. Denn auch dies ist ja sehr typisch für Klaus Bose: Diese kleinen Flächen, von denen der Betrachter bisweilen denken mag: Was soll das denn jetzt? In der Landschaftsdarstellung werden da kleine Schattenwürfe deutbar, etwa ein Gesteinsbrocken, der wiederum nur über seinen Schattenwurf ins Bild integriert wird (wie wir das bei den Fensterhöhlen der Paul-Schneider-Straße gesehen haben), ganz deutlich das Schattenspiel durch die Zweige der Baumkronen auf dem rechten der "Weg-nach-Hopfgarten"-Bilder. Aber in den Stadtansichten bleiben diese Fleckchen unverständlich. Wir müssen sie einfach hinnehmen als liebenswerte Eigenheit der Zeichnungen von Klaus Bose.

Liebenswert, denn sie sind unverzichtbarer Teil der Strategie, mit der sich Klaus Bose der Fläche seiner Zeichenblätter bemächtigt. - Ihnen ist im Ausstellungsteil in der Gedenkstätte oben sicherlich aufgefallen, daß meist große Teile der Blattfläche unbezeichnet, unausgefüllt bleiben. Im Buchenwald-Zyklus schwingt hier als Bildaussage mit, daß nicht alles erinnert werden kann. Zu vieles haben Menschen, die ihre Erlebnisse nicht mehr mitteilen konnten oder wollten, mit ins Grab genommen. Sie wissen, der Buchenwald-Zyklus beinhaltet fünf gänzlich leere Blätter. Die Überschrift des gestrigen Artikels in der Thüringer Landeszeitung lautete "Ausstellung mit leeren Blättern". Das bezog sich genau darauf. Es war ein bißchen ungeschickt formuliert, denn gezeigt werden diese leeren Blätter nicht (aus Platzmangel), aber sie sind da und sie sind wichtig, weil sie genau diese Botschaft vermitteln wollen: Es kann nicht alles erinnert werden.

Die Zeichnungen der Ausstellung hier in der Kunsthalle zeigen, daß die freien Flächen in dieser Bildaussage nicht aufgehen. Es gibt sie auch losgelöst vom Buchenwald-Zyklus in Park-, Landschafts- und Stadtansichten. Die freien Flächen werden dann manchmal unterbrochen von kleinen Zeichenelementen, die sich wie gesagt inhaltlich nicht immer erschließen und offenbar auch zum Teil einfach dem optischen Gleichgewicht und der handwerklichen Komplettierung der Zeichnung dienen.

Nachdem wir die Landschafts- und Stadtansichten nun im Groben studiert haben, lassen Sie uns noch einmal die Art und Weise betrachten, wie in einigen Zeichnungen die Interaktion von Bebauung und Baumbestand beleuchtet wird. Es fällt auf, daß der künstlerische Zugriff auf Bäume ein völlig anderer ist, je nachdem, ob sie in der mehr oder weniger freien Natur stehen oder im bebauten Raum. Sehen Sie in dem Bild "Am Bahndamm" die gestutzten Kopfweiden. Ja, es sind Kopfweiden, keine menschlichen Figuren, die dort vielleicht auf ihren Zug warten. Ich habe es für Figuren gehalten, sehe immer noch Figuren darin, aber es sind Bäume dargestellt. Aber was für Bäume? Welche Lebensbedingungen haben sie? Sie gehen gänzlich in ihrer bautechnischen Funktion auf, derentwegen sie angepflanzt wurden: Als Erosionsschutz an der abschüssigen Fläche eines Bahndammes, immer gestutzt, jedes Jahr erneut all ihrer Zweige beraubt, damit keine Äste den Zugverkehr stören, ein gleichsam künstlicher Baumbestand am künstlich aufgeschütteten Schotterbett der Bahngleise. Ebenso unwirklich und künstlich treten uns die drei Bäume im Bild der Paul-Schneider-Straße gegenüber. Kahl - in der formalen Gestaltung steckt wieder ein bißchen Gottfried Schüler drinnen - und wie eine Pappkulisse aus dem Eckhof-Theater stehen diese drei Laubbäume im Asphalt des Bürgersteigs. Wenn Sie sich besonders die beiden hinteren Bäume anschauen, dann sehen sie, daß sie ganz flach sind. Sie sehen nicht aus, als wären sie wirklich im Boden verwurzelt. Sie stehen da, im Wortsinne "auf" dem Bürgersteig, wie Staffagefiguren, wie das Zitat aus einer andern Welt, ein Zitat der Natur im bebauten Raum.

Genau andersherum verhält es sich mit Goethes Gartenhaus. Es steht ja, von der Weißen Brücke, der sogenannten "Floß- oder Naturbrücke" aus gesehen, sehr frei und wird in einer Sichtachse vom Römischen Haus aus in Szene gesetzt. Goethe hatte das ja alles kundig geplant und es ist heute ein bekanntes und beliebtes Fotomotiv. - Wie hält demgegenüber Klaus Bose Goethes Gartenhaus fest? Aus einer Perspektive, in der es völlig zwischen Bäumen verschwindet. Wiewohl auch im Landschaftsgarten die Natur alles andere als natürlich ist, sondern angeordnet und bewußt gepflanzt und gepflegt, so hat sie doch hier Raum genug zur Entfaltung. Die Bäume leben und die Bebauung nimmt sich zurück und ordnet sich der Natur und ihrem Wachstum unter.

Treten wir zum Abschluß der Überlegungen noch einmal gewissermaßen einen Schritt zurück, nehmen die Arbeiten nicht mehr einzeln in den Blick, sondern fragen uns, warum überhaupt man Orte und Landschaften in Bildern festhält. Im Katalogbeitrag ist dieser Punkt sehr breit ausgeführt, der Text beleuchtet die Kunst Klaus Boses unter völlig anderen Gesichtspunkten. Das muß ich jetzt nicht alles wiederholen, möchte an dieser Stelle nur soviel sagen: Orte speichern Erinnerungen. Doch nicht einmal im Fall von Buchenwald war zu jeder Zeit klar, wessen genau denn hier nun zu gedenken wäre. Die gern beschworene "kollektive Erinnerung" existiert nicht und kann nicht existieren. Erinnern ist ein individueller und subjektiver Prozeß, der immer versuchen wird, jede interessengeleitete Vorgabe zu unterlaufen. Erinnern kann man nicht oktroyieren. Aber man kann und muß für Gesellschaften und Gemeinschaften die Möglichkeiten schaffen, ein gemeinsames Gedächtnis aufzubauen oder zu erhalten. Das bildliche Festhalten von Orten und Gegebenheiten stellt wichtige Bedingungen bereit für die Möglichkeit gemeinsamer Erinnerung. Besonders natürlich, wenn Orte so markant dem Wandel unterworfen waren wie der Ettersberg - einst Musensitz und für die Weimarer immer mit Goethe und Anna Amalia verbunden, dann Konzentrationslager des einen Regimes, dann des nächsten, militärisches Sperrgebiet von Süden her - das ist die Ansicht, die Klaus Bose auf einigen der ausgestellten Skizzen sowie auf den drei großen Tuschezeichnungen "Ettersberg" festhält, die die engste Klammer der beiden Ausstellungsteile in Buchenwald und hier in der Kunsthalle darstellen. Die Ansichten von Stadtteilen und Landschaften also stiften die Grundlage gemeinsamen je individuellen Erinnern. Für unsere Stadt ist diese Kunst dadurch von immenser Bedeutung. Für die Einheimischen hält sie fest, was dem Gedächtnis zu entgleiten droht und sie erzählt Geschichten für diejenigen, die dazugekommen sind, jetzt hier leben und sich mit dieser Stadt identifizieren wollen. Das sind gerade in Weimar ja sehr viele - und Klaus Bose selbst, im Alter von elf Jahren zugezogen, ist einer davon. Es hat also nichts Rückwärtsgewandtes, verfallende Scheunen, verlassene Dörfer oder Abrißhäuser der Stadt im Bild festzuhalten. Es ist nicht nur eine Anklage, die letzten unbefestigten Feldwege zu zeichnen, sondern gehört zu den Grundlagen einer gemeinschaftsstiftenden Erinnerung für die Zukunft unserer Stadt.

Vielen Dank!

Dr. Cornelie Becker-Lamers, Weimar