Neue . Skulptur . Weimar . 2016 . Biennale Weimar - Holzdorf

Anna Franziska Schwarzbach . Andreas Theurer . Juli - September

Zum zweiten Mal zeigt in diesem Sommer die Biennale Neue . Skulptur . Weimar Exponate in der Weimarer Innenstadt und im Park des Landgutes Holzdorf bei Weimar. In Fortsetzung der jährlichen Ausstellungsreihe Skulptur . Weimar, in der die Kuratorin Elke Gatz-Hengst (Galerie Profil Weimar) bereits seit 1999 Weimar und seine Gäste Jahr für Jahr mit verschiedensten Künstlern bekannt gemacht hat, sind ab Anfang Juli 2016 kleinere Formate von Anna Franziska Schwarzbach und Andreas Theurer in der Galerie Profil Weimar sowie Skulpturen im öffentlichen Raum zu sehen.

Anna Franziska Schwarzbachs Stärke liegt in der Gestaltung der menschlichen Figur und speziell des Portraits. Das betrifft ihre Radierungen und Frottagen, ihre Medaillen und Reliefs ebenso wie die vielen, im Mimischen ganz portraithaft-figürlichen Gestalten aus Gips, Holz, Steinguß, Eisen, Blei, Wachs oder Bronze, mit denen sie Persönlichkeiten wie Albert Einstein und Mstislav Rostropovich, Europa und der unbekannten Amazone, Jeanne d'Arc und der Seherin Kassandra, Freifrau von Löwendal als Begründerin der Eisengießerei Lauchhammer und dem Widerstandskämpfer Georg Elsner ebenso ein Denkmal setzt wie den Opfern des nationalsozialistischen Euthanasieprogramms und den 14 Kindern einer osteuropäischen jüdischen Kleinwüchsigenfamilie. Ein besonderes Ereignis war 2014 die Enthüllung ihres Lise-Meitner-Denkmals im Ehrenhof der Humboldt-Universität Berlin. 1949 in Rittersgrün/Erzgebirge geboren, absolvierte Anna Franziska Schwarzbach zunächst ein abgeschlossenes Architekturstudium an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee bei Selman Selmanagic, bevor sie sich ebendort im Abendstudium in der Portraitplastik ausbilden ließ und sich 1977 zu einem Leben als freischaffende Bildhauerin entschied. Neben der skulpturalen Arbeit hat ihre Medaillenkunst Anna Franziska Schwarzbach internationales Renommee verschafft.

Auf dem Weimarer Theaterplatz stellt Anna Franziska Schwarzbach zur Neuen . Skulptur . Weimar . 2016 den gut meterhohen Eisenguß einer Marianne-Brandt-Büste aus, deren Portrait die Künstlerin in etlichen Gipsarbeiten im Jahr 2003 immer wieder aufs Neue zu fassen versucht hat. In dieses Jahr fiel der hundertzehnte Geburtstag und der zwanzigste Todestag der Bauhaus-Meisterin, die übrigens Schwarzbachs Vater, den Bildhauer Hans Brockhage, als Studenten unterrichtet hatte und ihm zeitlebens freundschaftlich verbunden blieb. Ebenfalls auf dem Theaterplatz ist ein mit einer Höhe von 86 Zentimetern eher kleines, vor allem aber parodistisches Pendant zu Ernst Rietschels Goethe-Schiller-Denkmal (1857) zu sehen: "Schiethe und Goller" (2008), ein Werk, dessen Idee auf einen Wettbewerb zum Thema "Metamorphose" zurückgeht. Die Stadt Jena hatte den Wettbewerb eingedenk des berühmten "Balladenjahres" 1794 ausgeschrieben. In einem spontanen Impuls modellierte Anna Franziska Schwarzbach nach einem Besuch in Jena und vor dem Hintergrund ihrer Kenntnis der Rietschelschen Entwürfe in den Dresdner Depots die Portraitköpfe der beiden Dichterfürsten auf die Körper zweier geschnitzter Chorknaben, die sich gerade in ihrem Atelier befanden. Das beschert "Schiethe und Goller" u.a. ihre verlegen übereinander gestellten Füße anstelle des selbstbewußten Ausfallschritts des Originals. Noch einiges mehr vertauschte die Künstlerin und wandte die Dichter im möglichen Blickkontakt einander zu.

Während auf dem Beethovenplatz die Portraitbüste eines musikerfüllt in sich hineinlächelnden Cellisten Rostropovich zu sehen ist, hat die Künstlerin für Holzdorf weitere Büsten und Figuren vorgesehen, die sich vor allem durch die in frappierender Weise ausgeformten Köpfe auszeichnen: Sie scheint uns persönlich anzuschauen, diese im Eisenguß verewigte Oberhofmarschallin Benedicta Margaretha Freifrau von Löwendal mit ihrer tiefsitzenden Trauer um ihre vier, sämtlich allzufrüh verstorbenen Kinder, aber auch mit dem selbstbewußten Blick einer arbeitsamen, weitblickenden und sozial fürsorglichen Unternehmerin, die über ein halbes Jahrhundert lang die industrielle Entwicklung der strukturschwachen Niederlausitz beförderte. Mit dem "Fritz als Baby" (1979) lernen wir ein sehr frühes und doch bereits typisches Werk der Künstlerin kennen.

Mit Andreas Theurer konnte Elke Gatz-Hengst einen Künstler gewinnen, dessen bisheriges Gesamtwerk sich durch eine außergewöhnliche Vielfalt der Materialien und des künstlerischen Ausdrucks auszeichnet. 1956 in Göppingen geboren, schuf der bei Karl-Henning Seemann und Alfred Hrdlicka an der Kunstakademie Stuttgart ausgebildete Bildhauer detailreiche Architekturzeichnungen neben stimmungsvollen Landschaftsaquarellen und Holzschnitten, abstrakte Figurenpaare in Sand- oder Kalkstein neben konkreten Kuben aus korrodierendem Cortenstahl, ausdrucksstarke Gestalten in gebeizter Kiefer oder Eiche neben geschwärzten Objekten aus hölzernen Materialresten, geometrische Variationen in Wellpappe und Acrylsand neben verhüllten bronzenen Frauengestalten, symbolträchtige Marmorblöcke neben monumentalen Cortenstahltoren und temporäre Installationen in ostdeutschen Abrißbauten neben der gut 6 x 8m großen, aus schwarzen und weißen Pflastersteinen gelegten Zeitungsseite als Denkmal für den in Hof geborenen Freiheitskämpfer Johann Georg August Wirth.

Am Standort in der Weimarer Schillerstraße hat Andreas Theurer für den Sommer 2016 die massive Gestalt einer "Europa" aus Krastaler Marmor vorgesehen. Die Skulptur stammt aus dem Jahr 1992. Mit einer Größe von 1,65m haben wir das Symbol unseres Kontinents auf Augenhöhe. Was aber sehen wir? Keine mythische Schönheit, die einst der mächtigste Gott des Olymp entführt haben soll. Aber auch keine Abenteurerin, die mit ausgebreiteten Armen ihren Wertekosmos in die Welt tragen möchte. Keine strahlende Herrscherin, deren zivilisatorische Vorstellungen andere Kulturen beeinflußt. Ja, nicht einmal eine Figur, die zuversichtlich geradeaus in die Zukunft blickte. Sondern eine Gestalt, deren massives Fundament nicht darüber hinwegtäuschen kann, daß sie den Kopf zwischen die Schultern gezogen hat. Daß sie die Arme angewinkelt hat und ängstlich schützend vor ihren Oberkörper hält. Daß sie nicht geradeaus, sondern zur Seite schaut - voller Mißtrauen oder aber auch suchend nach neuen Anregungen, nach neuen Wegen, nach Menschen, die sich ihrer Sache sicherer sind als sie es sich selber zu sein scheint.

In Holzdorf sind mit dem "Hockenden" (1981) und dem "Außenseiter" (1980) zwei frühe figürliche Gestalten Theurers ausgestellt, die seine Meisterschaft in der Herausbildung ausdrucksstarker Physiognomien und anrührenden Minenspiels unter Beweis stellen. Neben abstrakten Figurenpaaren aus Sandstein treffen wir dort auch auf "Cassandra", eine weitere starke Frauengestalt, die unter dem Stechbeitel Theurers einen ganz eigenen Aspekt ausbildet: Statt mit ausgestrecktem Arm zu zeigen, zu warnen und zu drohen, richtet die antike Seherin ihren ganzen Oberkörper hoch auf. Schwarz gezeichnete Linien auf der acrylweißen Bronze, die eine Maserung der ursprünglichen Holzskulptur nachziehen, unterstreichen die aufrechte Haltung der Figur. In ihrer ephebenhaften Magerkeit drückt sich die zehrende Sorge der Prophetin so deutlich aus, daß der Künstler Augen und Mund der Figur kaum auszugestalten brauchte. Ohne schreckgeweiteten Blick aber, den Kopf wiederum leicht zur Seite gedreht und die erhobenen Arme über dem Kopf verschränkt, hält die Skulptur die Bedeutungsebenen von Warnung und Verschlossenheit, Ergebenheit und Ausgeliefertsein in der Schwebe.

Dr. Cornelie Becker-Lamers, Weimar