Musik in der Kunst
Faltblatt zur Ausstellung im Landhaus Studnitz vom 8.7.2000 bis 6.8.2000
Gemeinde Günthersleben-Wechmar, Galerie Finkbein Gotha
Toccata nennt Horst Weber seine 1981 entstandene Farblithographie. Explizit wird mit einem solchen Titel die musikalische Vorstellungswelt in ein Werk der Bildenden Kunst hineingeholt: „Toccare“ – zu deutsch „schlagen“– meint ursprünglich das Spielen eines Musikinstruments, seit dem 16. Jahrhundert dann das „kompositorisch nachgebildete Improvisieren in Erprobung, Ausnutzung und Darstellung der Spielmöglichkeiten des Instruments und in Darbietung, auch Übung der Kunst des Spielers“, wie ein Musiklexikon ausführt. Auf eine bei Johann Sebastian Bach – bekanntlich groß im Improvisieren – beliebte Kompositionsform aufsattelnd, kann Horst Weber so ein Werk mit expressiv-improvisatorischem Duktus schaffen, das den Eindruck der Umsetzung eines Musikstücks der offenen Form mit den Mitteln der Bildenden Kunst zu suggerieren vermag: Da scheint ein „farbiger“ Katarakt fallender Skalenläufe abgelöst durch die Strudel einer in sich selbst zurückfließenden Melodie, die ihrerseits durch den statischen Aufbau eines homophonen Harmoniegebildes begrenzt wird.
Die Bemühungen um solche Umsetzungen sind nicht neu. Nicht zuletzt die Rede vom „Farbton“ eines Bildes einerseits, der „Klangfarbe“ einer Orchestrierung auf der anderen Seite belegen in ihrer feststehenden Metaphorik das Alter einer erhofften oder wirklich möglichen „wechselseitigen Erhellung der Künste“ (Oskar Walzel, 1917). Immer schon war dabei bekannt, dass es nicht ausreichen kann, die „Information“ eines musikalischen Werks in Sprache oder Bild umzusetzen, um die seelische Erregung des Höreindrucks zu erreichen. So ist das Ziel „musikalischer“ Malerei die metaphysische Sphäre „hinter“ dem Werk: ein synästhetischer Imaginationsakt, der den kontemplativen Betrachter eines Bildes in den rauschhaften Zustand visionärer Offenbarungen versetzt. Die Kontemplation erst ermöglicht der Bildenden Kunst das Wirken des Zeitfaktors, der den übrigen Künsten zur Entfaltung ihrer Werke naturgemäß gegeben ist. Die zeitliche Linearität einer dramatischen Entwicklung in Literatur, Theater oder Musik kann erst die ruhige Betrachtung auch der Bildenden Kunst zugute kommen lassen.
Als „musikalisch“ bezeichnet die Rezeptionsästhetik denn auch „jene Stimmungselemente an einem Bild, die seine Immanenz überschreiten“, wie der Kunsthistoriker Karl Schawelka darlegt. Der metaphorische Gebrauch musikalischer Begriffe wie „Rhythmus“ oder „melodische Linienführung“ erhalten so im Jargon der Kunstliebhaber ihren festen Platz, um Eindrücke zu beschreiben, die sich der Kontemplation erschließen mögen, objektiv aber im Bild nicht nachweisbar sind.
Die Ausstellung „Musik in der Kunst“, die Wechmar im Bachjahr 2000 zeigt, beschränkt sich in der Auswahl ihrer Exponate nicht auf solcherart „musikalische“ Malerei. Die Mehrzahl der Bilder wären eher als „literarische“ Werke zu bezeichnen, als erzählende Bilder, die Szenen aus einem Musikerleben einfangen oder in ihrer Bildkomposition die Motivation hinter gesellschaftlichen Tätigkeiten offen legen.
Mit der sich nicht in der Zeit entfaltenden, sondern unmittelbaren Evidenz, wie sie einzig der Bildenden Kunst zur Verfügung steht, erhellt so etwa Wilhelm Lachnits Holzschnitt Chorgesang die Szene in einem Knabenchor. Ob es sich hierbei um den Kreuzchor aus Lachnits Heimatstadt Dresden handelt oder um den Chor, in dem der Leipziger Thomaskantor Bach selbst wirkte, bleibt unklar. Deutlich aber wird der im Wortsinne alles überragende Einfluss des Meisters der Oratorien. Und genauer: Natürlich ist es nicht der Mensch Bach, unter dessen Augen die Chorsänger zu musizieren vermeinen. In der Darstellung Bachs als Büste macht Lachnits Holzschnitt deutlich, dass es eine kulturhistorisch durch die Nachwelt geformte, mit ausgewählten idealen Attributen hinterlegte Maske ist, die die jungen Musiker mit dem Namen Bachs verbinden.
Regelrecht umstellt von solchen Masken, von Büsten und Portraitbildern ist die Pianistin Elise Schwabhäuser auf einer Aquatintaradierung Hans Körnigs. In dem beengten, vollgestopften Raum – eigentlich viel zu klein für einen Konzertflügel – sitzt die alte Dame. Äußerlich gebeugt von einer rheumatischen Krankheit, lässt ihre enorme Konzentration – ihr Mund singt mit, was die Hände spielen – sie doch innerlich aufrecht erscheinen und intensive Lebensfreude ausstrahlen. Passend zum altertümelnden Dutt des vollen weißen Haares deuten Bildelemente wie die gerafften Vorhänge und der Spiegel über der Kommode auf eine traditionsbewusste Haushaltsführung. Durch den Spiegel zum Teil verdoppelt, unterscheidet der Betrachter – man möchte beinahe sagen: der Besucher – an der Wand die Konterfeis nicht nur von Musikern wie dem Ehepaar Schumann, sondern auch vom „Dichterfürsten“ Johann Wolfgang Goethe. Alles überragend aber auch hier eine Büste Bachs. Eine in sich geschlossene heile Welt? Nicht ganz: Ein weit geöffneter Fensterflügel öffnet diese kleine Welt zum aktuellen gesellschaftlichen Draußen.
Den umgekehrten Fall stellt Harald Metzkes’ Farblithographie Konzerto Grosso dar. Unter freiem Himmel angesiedelt, zeigt die Szene eine völlig in sich abgeschlossene Gruppe von Straßenmusikanten. Die improvisierte, lebendige Musik der untereinander korrespondierenden Spielleute vermittelt sich dem Betrachter in den überdehnten Körperteilen und der übersteigerten Gestik, mit der die vielen verschiedenen Instrumente traktiert werden.
Ganz klassisch in Sujet und Maltechnik zeigt sich Metzkes dagegen in seinem 20 Jahre älteren Stilleben mit Geige. Hier ist ganz offenbar der Hausstand eines Bohémien abgebildet. Der einfache Reisekoffer mag Kleidung und Waschzeug enthalten. Ein Geigenkasten fehlt. So wertvoll kann das Instrument also nicht sein; außerdem wird es wohl ständig gebraucht. Neben Violine und Palette deutet eine Kaffeetasse auf einen bestimmten Lebensstil. Wir befinden uns in einer Zeit, die ganze Konzepte von Lebensphilosophien im Caféhaus entstehen ließ. - Musik als Möglichkeit stellt Metzkes auch in seiner Farblithographie Stilleben mit Metronom dar: Die Blockflöte ist in ihre Einzelteile zerlegt. Der Flötenputzer liegt neben dem Kopfstück. Gerade ist geübt worden, das Metronom ordnet noch immer die Sekunden in Taktschläge.
Die Ausstellung im Landhaus Studnitz wird weitere Werke präsentieren, die den weiten thematischen Rahmen der „Musik in der Kunst“ vollends ausschreiten.
Cornelie Becker-Lamers