„Musik in der Kunst“

Rede zur Ausstellungseröffnung

Landhaus Studnitz, Wechmar, 8. Juli 2000, 15 Uhr

Meine Damen und Herren!

Friedrich der Große spielte Traversflöte. – Wußten Sie das? – Dumme Frage: Natürlich wußten sie es. Aber woher?

Sicherlich wäre diese Information nicht so verbreitet, wenn nur die am Berliner Hof verpflichteten Musiker Carl Philipp Emanuel Bach oder Johann Joachim Quantz in ihren Traktaten lobend von der Fingerfertigkeit des Königs geschrieben hätten. Das ist zwar außerdem passiert. Wichtiger aber ist, daß ein anderer das Können Friedrichs II. festgehalten hat: der Maler Adolph von Menzel, dessen berühmtes Gemälde aus den Jahren 1850/52 uns den eigentlich so zartbesaiteten Schlesienkrieger als Paradoxon der politischen Geschichte vor Augen führt. Dieses Bild des musizierenden Königs ist es, das wahrscheinlich jedem von uns jetzt vor dem geistigen Auge steht. Es schmückt Schallplatten- und cd-Hüllen und dient auch in anderen Kontexten zur Illustration repräsentativer Hofkultur. So ist es im Laufe der Zeit zum Allgemeingut unserer Kultur geworden.

Etlichen Aufnahmen gerade alter Musik ist als Plattencover ein Bild mitgegeben, das eine Gruppe Musizierender aus der jeweiligen Epoche der eingespielten Musik zeigt. Bei dem Bemühen um historisch authentische Aufführungspraxis sind diese Bilder von unschätzbarem Wert und zum Teil einziges Zeugnis, wie man sich das Spielen, die Haltung der Instrumente, die Zusammenstellung der kleinen Orchester damals – ohne Dirigenten – vorzustellen hat.

In der Gruppe dieser Darstellungen ist das erwähnte Gemälde Menzels, „Das Flötenkonzert Friedrichs des Großen in Sanssouci“ (Alte Nationalgalerie Berlin) sicherlich das prominenteste Beispiel von „Musik in der Kunst“ und markiert damit einen wesentlichen Bereich dieses Themenschwerpunktes in der Bildenden Kunst: „Musik in der Kunst“ heißt demnach: Abbildung von Musizierenden. Abbildungen, die zum Teil in wenigen Federstrichen zu sagen vermögen, was in einem Traktat etwa zur Aufführungspraxis in langen Formulierungen beschrieben werden müsste (was aber, wie erwähnt, häufig genug unterblieben ist). Aus diesem Bereich stammen viele der Arbeiten, die Sie ab heute hier in Wechmar studieren können.

Ich werde noch einmal darauf zurückkommen. Lassen Sie mich aber zunächst in einem kleinen Exkurs einschieben, daß „Musik in der Kunst“ natürlich noch sehr viel mehr heißt. In seiner Habilitationsschrift aus dem Ende der 80er Jahre hat der heute an der Bauhaus-Universität lehrende Kunsthistoriker Karl Schawelka das „Ideal des Musikalischen in der Bildenden Kunst“ aufgearbeitet. Quasi una musica heißt sein Buch. Schawelka beschreibt darin anhand vieler Beispielstudien die Bemühungen um die Umsetzung musikalischen Erlebens in bildkünstlerischen Werken, d.h. die Bemühungen um die bildkünstlerische Nachahmung der Wirkung von Musik auf den Rezipienten. Das Hauptaugenmerk kann hier – anders als bei der Darstellung praktizierender Musiker ­­– gerade nicht auf der „Information“ liegen, durch die ein musikalisches Werk ins Visuelle zu übertragen wäre. Die Umsetzung der Information gibt es freilich auch, dies leistet die Notenschrift. Doch wir alle wissen, dass es nur wenigen geübten Musikern vergönnt ist, anhand der Partitur ein Werk zu „hören“ und seine Klangschönheit mit Empfindung zu füllen.

Interessant ist an dieser Stelle vielleicht der Hinweis auf Künstlerinnen wie die in Darmstadt ansässige Komponistin Barbara Heller. Von der Seite der Komposition her versucht Barbara Heller nämlich ebenfalls eine Annäherung von Musik und Bildender Kunst. Sie ist der Kopf eines Kreises von Bildenden Künstlerinnen, die ihre Musik – die Wirkung ihrer Musik – in abstrakte Kunst umzusetzen versuchen. Nach diesen Bildern wird dann wiederum improvisiert und komponiert, so dass eine unendlich fortzuspinnende gegenseitige Befruchtung der Künste entsteht. Aus der Notation selber aber schlägt Barbara Heller Funken, indem sie das Notenbild selber zum mindestens kalligrafischen Kunstwerk macht. Sie kennen alle das Manuskript einer Partitur zum Beispiel von Bach oder Beethoven und werden mir darin beipflichten, daß die schlichte Notation schon ein schönes Bild ergibt. Potenziert wird das im 20. Jahrhundert durch die Erweiterung der Klangmöglichkeiten der Instrumente, die eine erweiterte Notation erfordert: Sie haben alle schon mal eine moderne Partitur gesehen, vielleicht von Penderecki zum Beispiel. Da gibt es dicke schwarze Balken, die „Cluster“ darstellen: das gleichzeitige Erklingen einer ganzen Reihe benachbarter Töne. Da gibt es Schlangenlinien zur Darstellung der frei auszuführenden Glissandi auf der Geige. Das Klopfen auf den Saiten mit dem Bogenrücken muß eigens dargestellt werden und so weiter und so weiter. Nicht selten, scheint mir, ist in solchen Fällen die Wirkung des Bildes angenehmer als die der erklingenden Musik ...

Barbara Heller treibt es soweit, eine Komposition mit dem Titel „Welle“ in Form einer Welle darzustellen (geschwungene Notenlinien etc.) Die Komposition „Lied der Muschel um die verlorene Perle“ für Flöte und Klarinette zeigt die ausgeraubte Muschel – ein Bild, das mit den leeren Quinten der zweistimmigen Komposition korrespondiert. Auch das also ist „Musik in der Kunst“, ist die andere Seite dieses unendlich weiten thematischen Feldes, die Seite, die die Notation der musikalischen Information zur visuellen Kunst ausbaut.

Zurück zum „Ideal des Musikalischen“: Soll die Wirkung der Musik im Bild nachempfindbar gemacht werden, muß die Information der Musik gerade außen vor bleiben. Das Ziel „musikalischer“ Malerei ist vielmehr die metaphysische Sphäre „hinter“ dem Werk. Denn auch Musik erzielt die zum Teil immense seelische Erregung in uns nicht durch das physikalisch Nachweisbare ihres Erklingens, sondern durch unsere eigene Imagination, die wir mit bestimmter Musik zu verbinden gelernt haben. (Gelernt soll heißen: Welche Musik wie auf uns wirkt, ist abhängig von der Kultur, in der wir groß geworden sind). Denken Sie nur an die Filmmusik, ohne die kein Krimi und kein Liebesfilm denkbar wäre: Mithilfe bestimmter musikalischer Floskeln und Instrumentierungen erzeugt sie die seelische Erregung in uns, die die Dramaturgie des Films an dieser Stelle eben gerade braucht.

Ziel musikalischer Malerei ist somit die Imitation dieses Imaginationsaktes beim Rezipienten. Wie ein ganz in der Musik gefangener Zuhörer soll der kontemplative Betrachter eines Bildes in den rauschhaften Zustand von Ahnungen und visionären Offenbarungen versetzt werden, den die Musik ermöglicht. Wichtig ist dabei eben die Kontemplation, denn sie erst ermöglicht in der Bildenden Kunst das Wirken des Zeitfaktors, der den übrigen Künsten zur Entfaltung ihrer Werke naturgemäß gegeben ist. Die zeitliche Linearität einer dramatischen Entwicklung in Literatur, Theater oder Musik kann erst die ruhige Betrachtung auch der Bildenden Kunst zugute kommen lassen. Das „Musikalische“ bedeutet in diesem Zusammenhang dann „Stimmungselemente an einem Bild, die seine Immanenz überschreiten“ (Schawelka). Der metaphorische Gebrauch musikalischer Begriffe wie „Rhythmus“ oder „melodische Linienführung“ erhalten so im Jargon der Kunstliebhaber ihren festen Platz, um Eindrücke zu beschreiben, die sich der Kontemplation erschließen mögen, objektiv aber im Bild nicht nachweisbar sind.

Nun aber, nach diesem Exkurs, endlich zurück zu unserer Ausstellung, die dieses gigantische Thema notwendigerweise auf einen Ausschnitt beschränken muß. So sind zwar Bilder wie die „Toccata“ von Horst Weber „musikalische Malerei“ im eben beschriebenen Sinne: Die Anlage eines Musikstücks und seine Wirkung wird durch analoge Bildelemente nachempfindbar zu machen versucht. Die Mehrzahl der hier gezeigten Kunst aber ist nicht solcherart „musikalische“ Malerei, sondern wäre eher als „literarische“ Werke zu bezeichnen, als erzählende Bilder, die Szenen aus einem Musikerleben einfangen oder in ihrer Bildkomposition die Motivation hinter gesellschaftlichen Tätigkeiten offen legen. Den dokumentarischen Wert solcher Bilder wird man derzeit, wo uns unsere Musikpraxis gerade bekannt und selbstverständlich ist, gar nicht ganz ermessen können. Meine Beispiele von Bildern aus vergangenen Epochen, die ich eingangs erwähnte, zeigen aber, dass spätere Zeiten vielleicht über die eine oder andere Abbildung aus kulturhistorischem Interesse sehr glücklich sein werden.

So erhellt etwa Wilhelm Lachnits Holzschnitt „Chorgesang“ die Szene in einem Knabenchor. Deutlich wird der im Wortsinne alles überragende Einfluss des Meisters der Oratorien Johann Sebastian Bach. Genauer: Natürlich ist es nicht der Mensch Bach, unter dessen Augen die Chorsänger zu musizieren vermeinen. In der Darstellung Bachs als Büste macht Lachnits Holzschnitt deutlich, dass es eine durch die Nachwelt geformte, mit ausgewählten idealen Attributen hinterlegte Maske ist, die die jungen Musiker mit dem Namen Bachs verbinden.

Regelrecht umstellt von solchen Masken ist die Pianistin Elise Schwabhäuser auf der Aquatinta-Radierung Hans Körnigs. In einem beengten, vollgestopften Raum – eigentlich viel zu klein für einen Konzertflügel – sitzt die alte Dame. Äußerlich gebeugt von einer rheumatischen Krankheit, lässt ihre enorme Konzentration – ihr Mund singt mit, was die Hände spielen – sie doch innerlich aufrecht erscheinen und intensive Lebensfreude ausstrahlen. Passend zum altertümelnden Dutt des vollen weißen Haares deuten Bildelemente wie die gerafften Vorhänge und der Spiegel über der Kommode auf eine traditionsbewußte Haushaltsführung. Durch den Spiegel zum Teil verdoppelt, unterscheidet der Betrachter – man möchte beinahe sagen: der Besucher – an der Wand die Konterfeis nicht nur von Musikern wie dem Ehepaar Schumann, sondern auch vom „Dichterfürsten“ Johann Wolfgang Goethe. Alles überragend aber auch hier eine Büste Bachs. Eine in sich geschlossene heile Welt? Nicht ganz: Ein weit geöffneter Fensterflügel öffnet diese kleine Welt zum aktuellen gesellschaftlichen Draußen.

Den umgekehrten Fall stellt Harald Metzkes’ Farblithographie „Konzerto Grosso“ dar. Unter freiem Himmel angesiedelt, zeigt die Szene eine völlig in sich abgeschlossene Gruppe von Straßenmusikanten. Die improvisierte, lebendige Musik der untereinander korrespondierenden Spielleute vermittelt sich dem Betrachter in den überdehnten Körperteilen und der übersteigerten Gestik, mit der die vielen verschiedenen Instrumente traktiert werden.

Ich könnte jetzt noch ewig reden, möchte Sie aber nun endlich dem Genuß der Bilder selbst überlassen. Ich hoffe, meine Einführung hat Sie nicht verwirrt. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen noch ein schönes Wochenende.

Cornelie Becker-Lamers