Lutz Gode. "Parallellust"

Rede zur Ausstellungseröffnung in der Reihe "Kunstvoll im Gang" der SPD-Fraktion im Thüringer Landtag

Thüringer Landtag, Dienstag, 4. Juni 2013, 17 Uhr

Sehr geehrter Herr Döring, lieber Lutz Gode, meine sehr geehrten Damen und Herren,

in Erfurt über Lutz Gode zu sprechen ist keine leichte Sache. Im Publikum wimmelt es von Menschen, die ihn weitaus länger und privat viel besser kennen als ich. Den einen oder die andere von unseren Besuchern erkennen wir sogar in den Portraits an der Wand wieder. Denn Lutz Gode hat nie Prominente, hat kaum Auftragswerke gemalt. Er malte und malt Freunde und Kollegen, fängt charakteristische Wesensmerkmale beeindruckender Individuen ein - wie etwa "Seniora Butterlfy", die über 90 Jahre alt war, als ihr Portrait entstand - oder malt Menschen, die punktuell eine wichtige Rolle in seinem Leben gespielt haben: So ist das Bild der "Scheidungsrichterin" entstanden. Und natürlich finden wir auch Selbstportraits Lutz Godes.

Für alle, die mit der Biographie des Künstlers nicht ganz so vertraut sind, hier einige Worte zu Leben und beruflichem Werdegang: Lutz Gode ist 1940 in Beuthen, Oberschlesien, geboren und wuchs in der großen Armut der Vertriebenen in Zwickau auf. Er studierte an der Hochschule für Bildende Künste Dresden, zunächst an der ABF, nach dem Abitur noch weiter, u.a. bei Griebel und Kettner. Sein Schwerpunkt war zunächst die Wandmalerei, das großflächige Werk und die architekturnahe Kunst, als Fresko, Secco, Sgraffitto oder Mosaik. Hier - insbesondere für die Freskomalerei - kam ihm zugute, daß er sehr schnell lebensgroße Figuren skizzieren und fertigstellen kann. Lutz Gode war, wie es damals hieß, Beststudent und erhielt denn auch, kaum daß er das Studium abgeschlossen hatte, 1965, eine Dozentur für Kunsterziehung an der PH Erfurt, die er auch an der späteren Universität Erfurt bis 2004 innehatte.

Nun aber zu den Werken Lutz Godes. Es fällt eine Zweiteilung in der Ausstellung auf. Hier haben wir die farblich eher zurückhaltenden aquarellierten Zeichnungen, die einzelne Gedichte von Charles Baudelaire illustrieren - die entsprechenden Gedichtzeilen aus den "Fleurs du Mal" sind jeweils Bestandteil der Blätter - auf der anderen Seite die großformatigen Portraits, denen ich mich vor allem zuwenden möchte.

Was fällt auf den ersten Blick auf? Die Mischtechnik schöpft in jedem Bild die ganze Bandbreite der Formensprache von der feinen Linie bis zum pastosen Pinselstrich aus. Kleinteilige Formen gliedern den künstlerischen Ausdruck und eine kräftige, kontrastreiche Farbgebung sorgt für eine inhaltlich klare Werkaussage. Lutz Gode möchte, wie er selber sagt, dem Betrachter keine Rätsel aufgeben, sondern seiner Sicht auf die Realität unmißverständlich Ausdruck verleihen. Dies allerdings tut Lutz Gode in einem so eigenen und ausgeklügelten System im Umgang mit den künstlerischen Mitteln, daß es uns ganz so einfach denn doch nicht gemacht wird.

Die auratischen Werte der Farben, die das nicht Sichtbare für uns erkennbar machen sollen - das Wesen der Dinge und Menschen -, sowie die von Lutz Gode aus der Arbeit heraus entwickelten und von ihm so genannten kalligraphischen Elemente seiner Malweise sind so mit Bedeutung aufgeladen, daß Erläuterungen letztlich doch hilfreich, wenn nicht unerläßlich sind.

Nehmen wir also zunächst den Hintergrund der Kunstgeschichte in den Blick. Farben in plakativer Manier auch in Portraits großflächig aufzubringen und insbesondere Gesichter durch eine verfremdende Farbgebung auf den Charakter oder die Stimmung der Dargestellten hin durchsichtig zu machen, haben die Expressionisten möglich gemacht. An den Bildern der Maler der "Brücke" und des "Blauen Reiters", an den Bildern also von Ernst Ludwig Kirchner zum Beispiel, von Franz Marc und Erich Heckel, Wassily Kandinsky, Gabriele Münter oder Alexej Jawlensky lassen sich die Wirkungen studieren, die blaßgrüne und blaue, rote und gelbe Flecken in den Gesichtern der Portraitierten entfalten. Picasso natürlich nicht zu vergessen, dessen Bildnis der Dora Maar Lutz Gode einmal in einem Portrait sogar bewußt zitiert hat. (Es ist ein Portrait nach der Art, wie Picasso sie noch öfter umgesetzt hat, daß man Profil und beide Augen der Portraitierten zugleich im Gesicht sieht.)

Farben verfremdend einzusetzen, wie wir das hier besonders gut in den Portraits der Brunhilde und der Seniora Butterfly sowie im Bildnis des Peter S. und den Selbstportraits nachvollziehen können, ist also 100 Jahre nach dem Expressionismus keine wirkliche Hexerei mehr. Aber was sind eigentlich Farben? Farben sind Licht, Licht einer bestimmten Wellenlänge. Farben zu verfremden, gegen die natürliche Erscheinung im künstlerischen Werk einzusetzen, bedeutet also, durch die Farbgebung Gesichter - wie man so schön sagt - 'in einem anderen Licht' zu sehen, 'mal neu zu beleuchten' und so die Aufmerksamkeit des Betrachters auf den durch die Farbe zu assoziierenden, zu erspürenden Charakter und Wesenszug des Dargestellten zu lenken.

Hieraus hat Lutz Gode ein eigenes System entwickelt. Zu Hilfe kommt ihm dabei seine Kenntnis der Farbenlehre der Bauhausmeister Johannes Itten, Hirschfeld-Mack und vor allem Wassily Kandinsky. (Wie gesagt hat Lutz Gode fast 40 Jahre lang Kunsterzieher ausgebildet und Bildendes Gestalten unterrichtet. Farbenlehre spielte hierbei natürlich neben vielen vielen anderen Aspekten der Kunstgeschichte eine entscheidende Rolle.) Die Farbenlehren der Bauhausmeister fußt auf den Ausführungen Goethes. (Goethe wurde damals viel gelesen, denken Sie etwa auch an Rudolf Steiner, dessen Ideen zu Farb- und Formgestaltung von Gebäuden ja wiederum für die Reformpädagogik seiner Zeit wichtig wurde.) In seiner Anfang 1808 abgeschlossenen Farbenlehre bestimmt Goethe gelb und blau zu den "Urfarben" und belegt sie als "Urkontraste" mit den Attributen der Aktivität, des Hellen, der Wärme, der Nähe und der Abstoßung (gelb), bzw. der Passivität, des Dunklen, der Kälte, der Ferne und der Anziehung (blau). Die Forschungsliteratur bringt diese Zuschreibung in Zusammenhang mit einer "transkulturellen - [überindividuellen] - Urerfahrung" der Unermesslichkeit angesichts eines tiefblauen Himmels in Verbindung. In der Bauhauslehre wird Goethes Ordnung der Farben wie gesagt aufgegriffen. Kandinsky schließt sich Goethes Farbcharakteristiken an und ordnet den Farben gelb und blau die Gegensatzpaare von Wärme und Kälte sowie exzentrischer und konzentrischer Bewegung zu. Dem Gelb als "typisch irdischer Farbe" setzt Kandinsky das Blau als "typisch himmlische Farbe" entgegen und schreibt ihm die Wirkung zu, im Menschen "die Sehnsucht nach Reinem und Übersinnlichem" zu wecken. Dem Grünen wird als Mischfarbe von Blau und Gelb die Wirkung der Unbeweglichkeit, der Gleichgültigkeit und Ruhe zugeschrieben. "Absolutes Grün ist die ruhigste Farbe, [...] sie verlangt nichts, ruft nirgendshin", heißt es in Kandinskys Schrift "Über das Geistige in der Kunst" aus dem Jahr 1911 (ist also zeitlich genau parallel zu den künstlerischen Farbexperimenten der Expressioniten formuliert).

Kandinsky ist aus mehreren Gründen für Lutz Gode besonders wichtig. Als einem der ersten, der Farbformen völlig abstrahierte, also von den Gegenständen ablöste, hat Lutz Gode ihm viele Anregungen und Seh-Erfahrungen zu verdanken. Und Sie wissen vielleicht, daß Wassily Kandinsky synästhetische Erfahrungen hatte. Das heißt, in seinem Hirn verknüpften sich verschiedene Sinneseindrücke, konkret Gehör und Gesichtssinn. Er konnte Farben hören. Man liest von Kandinsky Zuordnungen wie: Gelb klingt wie eine Tuba. Dasselbe passiert Lutz Gode. Auch er kann Farben hören und verbindet Musik mit Bildern in seinem Kopf. Einen kleinen Hinweis hierauf liefert das ältere der beiden Selbstportraits aus dem Jahr 1980, das linke der beiden Bilder. Es zeigt einen Mann unter einem Balken, der wie ein Damokles über ihm hängt und Auge und Ohr durch den Schatten, den er wirft, verbindet. Käme der Balken herab, würde einem also Hören und Sehen vergehen. Das Bild hat Lutz Gode übrigens damals 1980 in der Ausstellung durch den Kulturbund so große Schwierigkeiten gebracht, daß er verhört und das Bild zuletzt aus der Ausstellung entfernt wurde.

Kommen wir wieder zu unserer Farbenlehre von Blau und Gelb zurück und nehmen weitere Portraits von Lutz Gode unter die Lupe, so fällt in der Tat häufig ein Blau-Gelb-Kontrast auf. Sehen Sie beispielsweise das Zitat nach Agnolo Bronzino, Eleonora von Toledo mit ihrem Sohn Giovanni di Medici. Das Original, das Vor-Bild stammt aus den Jahren 1544-45 und schwerer Goldbrokat, schwarz und weiß beherrschen das Gewand der Dame. Der Hintergrund dunkelt aus einem leuchtend blauen Zentrum zur Seite hin ab. Lutz Gode hat das überirdische, herrschaftliche Gold durch das irdische Gelb ersetzt und das Vor-Bild bei aller Zitathaftigkeit mit hellem Hintergrund, großen Augen der Mutter und seinen kalligrafischen Kleinformen im Charakter gänzlich neu erfunden.

Auch bei Brunhilde und Seniora Butterfly sind die Gelb-Blau-Kontraste bestimmend für die Bildwirkung. Der blaue Schmetterling, der in den schwarzen, den Bildrand überschreitenden Flügeln in gigantischen Ausmaßen bedrohlich wiederkehrt - im Schoß, sichtbar, zur Schau gestellt, blau und klein, in den Flügeln tatsächlich schwarz und riesengroß, also in Farbe und Form augmentiert, gesteigert - dieser Schmetterling wird zum Todesengel für Seniora Butterfly, deren heller (!) Schatten sich auch schon wie ein kleiner Homunculus zu verselbständigen scheint - der blaue Schmetterling also, Symbol der Ferne, der Sehnsucht, aber auch der Kälte, der Passivität und der Indolenz des Alters, kontrastiert mit gelben Lichtreflexen auf dem Gesicht der lachenden alten Dame. Die Lichtreflexe scheinen einen Sonnenfleck am oberen Bildrand widerzuspiegeln, der die Todgeweihte noch immer im irdischen Hier und Jetzt festhält. Schmetterling - butterfly - das Bild trägt sicherlich auch in ironischer Anspielung auf Puccinis Opernfigur Madame Butterfly seinen Titel, aber in Butterfly steckt eben auch die fly - die Fliege - drin, Symbol des Bösen und des Todes in der christlichen Ikonographie. Sie wissen, daß auch der sich verselbständigende Schatten versinnbildlichen kann, daß ein Mensch bereits des Teufels ist - denken Sie an "Die wundersame Geschichte des Peter Schlemihl" von Adalbert von Chamisso. Schlemihl verkauft dem Teufel seinen Schatten, und als er ihn wiederhaben will, weil er als Mann ohne Schatten in der Gesellschaft nicht existieren kann, soll der Preis für seinen Schatten seine Seele sein. Der Schatten also als Sinnbild des Wesens des Menschen. Lacht unsere Seniora Butterfly ein teuflisches oder ein nettes Lachen? Sie gibt uns Rätsel auf mit ihrem Schmetterling auf dem Schoß, den gigantischen schwarzen Flügeln im Rücken, aber dem hellen, lichten Schatten. Was ist ihr wahres Wesen? Die Sonne bescheint, wie wir aus dem berühmten Goethe-Gedicht wissen, Gute und Böse. Die klare Werkaussage wäre in diesem Fall die Zwielichtigkeit und Janusgesichtigkeit der alten Dame.

Nochmal zum Blau-Gelb-Kontrast im Selbstportrait, und zwar in dem jüngeren Selbstportrait rechts. Ein Auge betont - das ist typisch bei Lutz Gode - hervorragend auch zu sehen in der lavierten Tuschezeichnung "Delacroix" aus dem Baudelaire-Zyklus - eines der sehr sehr blauen Augen betont, durch blaue Farbgebung, über das Grün zum gelben Hintergrund. Hier können wir noch einmal auf eine weitere Besonderheit im Werk - um nicht zu sagen: im System - Lutz Godes eingehen: Ist eine Form, eine Technik, ein Material oder eine Farbe einmal im Bild verwendet, ist sie damit auf diesen Teil des Bildes festgelegt und kehrt im Bild so nicht wieder: der pastose Kringel einer bestimmten Farbe, eine bestimmte Einfärbung, eine Schraffur, ein von Gode so genanntes kalligrafisches Element, das heißt ein Punkt, der aus der Kritzelei heraus einen Gegensatz aus sich gebiert - Punkt und Linie - ist eines dieser Elemente einmal im Bild eingesetzt, ist es auf den Ausdrucksgehalt dieser einen Bildstelle festgelegt und kommt im Bild nicht weiter zum Einsatz. Es ist wie eine Art leitmotivischer Zuordnung, die hier vollzogen wird, einer Zuordnung von Ausdrucksmittel und Ausdrucksgehalt.

Dabei würde ich es vielleicht fürs Erste belassen. Grundstock aller Bilder sind übrigens die sehr kleinen Malereien, die in zwei Bilderrahmen hier eingestreut sind. Sie entstehen allmorgendlich, wenn Lutz Gode wie jeden Tag um 4 Uhr aufsteht - auch wie Goethe - und als erstes sein Unterbewußtsein, wie er sagt, aufs Papier entleert wie andere vielleicht ihre Träume notieren. Diese Bilder, deren pro Jahr etwa 2000 entstehen, bilden den Grundstock seiner großflächigen farbigen Malereien.

Lutz Gode sagt ja, er malt nur intuitiv. Klar! Wenn man so gut ausgebildet ist und sich sein Leben lang, weil man verantwortungsbewußt unterrichten wollte, weitergebildet hat, kann man leicht rein intuitiv arbeiten und alle wissenschaftlich erkannten und wissenschaftlich greifbaren Inhalte schlagen trotzdem durch.

Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend und danke für Ihre Aufmerksamkeit!

Dr. Cornelie Becker-Lamers, Weimar