„Timm Kregel - Buchen in Belvedere“

Rede zur Ausstellungseröffnung in der Reihe „Kamelie & Skulptur“ der Stiftung Weimarer Klassik

Orangerie des Schloßparks Belvedere, 7. März 2008, 15 Uhr

Sehr geehrte Damen und Herren,

„Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen/ Und haben sich, eh’ man es denkt, gefunden“, dichtet Goethe um 1800 und eröffnet mit diesen Zeilen ein Gedicht, das das Verhältnis von Gesetz und Freiheit zum Inhalt hat.

Natur und Kunst treffen sich hier in der Orangerie Belvedere nun schon im dritten Jahr in der Veranstaltungsreihe „Kamelien und Skulptur“ der Stiftung Weimarer Klassik. Die Werke einer Bildhauerin oder eines Bildhauers werden zwischen den Pflanzen platziert.

Doch nur oberflächlich betrachtet begegnen sich Natur und Kunst dabei in den Blumen einerseits und den Skulpturen andererseits. Vielmehr lenkt die kluge Konzeption der Ausstellung unsere Aufmerksamkeit auf die Tatsache, daß sich allein schon in der kunstfertigen Züchtung einer Kamelie die Kunst der Natur, in den hölzernen Stelen die Natur der Kunst beigesellt. Das 18. Jahrhundert empfand nur das als „schöne Natur“, was nach lange bildnerisch erprobten ästhetischen Gesichtspunkten komponiert war: Der englische Garten – ein Beispiel kennen Sie vom Park an der Ilm – ist alles andere als natürlich! Aber er versucht, sich durch den Anschein des Natürlichen, Ausfransenden, Wilden, vom barocken Garten abzusetzen. Nachdem Rousseau Natürlichkeit angeordnet hatte, wurde die Natur angeordnet nach dem Bild des locus amoenus, des lieblichen Ortes, nach einem Urbild also, das nicht aus der Natur stammte, sondern der Kunst Nicolas Poussins und anderer Maler entnommen war.

Natur und Kultur erwachsen auseinander, sind zu ihrer Erneuerung ständig gegenseitig aufeinander angewiesen, sind eins auf das andere rückführbar: Aus Natur wird Kultur, die, verinnerlicht, uns zur zweiten Natur wird und auch erst dann ihre Wirkung entfalten kann.

Ein in dieser Hinsicht besonderer Glücksgriff ist den beiden Kuratorinnen – Frau Elke Gatz-Hengst, Galeristin der Galerie Profil und Frau Angelika Schneider, Abteilung Gartenbau der Klassikstiftung – ein ganz besonderer Glücksgriff also ist ihnen gelungen, als ihre Wahl für die diesjährige Ausstellung auf das Werk von Timm Kregel fiel. Seine Exponate hier in der Orangerie bedeuten eine Rückführung auch im ganz eigentlichen Sinn des Wortes. Denn die Skulpturen sind aus Rotbuchen des Schloßparks Belvedere erschaffen. Nach ihrer Metamorphose kehren die Bäume – aufgehoben zur Kunst – im Wortsinne zurück zu ihren Wurzeln.

Der römische Dichter Publius Ovidius Naso, genannt Ovid, schreibt in seinen berühmten Metamorphosen von den Verwandlungen von Menschen in Pflanzen: Die Nymphe Syrinx erbittet ihre Rettung vor Pan, der ihr nachstellt, und Syrinx wird zum Schilfrohr, aus dessen Stängeln Pan sich eine Flöte schnitzt – eine Panflöte eben. Daphne, in der gleichen Weise in Not wegen eines liebestollen Apoll, wird zum Lorbeerbaum, dessen Blätter seither die apollinischen Künstler, die Dichter und Sänger bekränzen. Ovids Metamorphosen gehören zu den sogenannten ätiologischen Sagen – von griechisch aitía, die Ursache – also Sagen, die den Ursprung bestimmter Dinge und Phänomene erklären sollen.

Ovid führt die Naturphänomene auf die Handlungen der Menschen und Götter zurück. Anders Timm Kregel. Seine Metamorphosen zeigen den Ursprung der Kunst in den Phänomenen der uns umgebenden Natur. Mit seinen Verwandlungen sind wir wieder bei der eingangs erwähnten gegenseitigen Abhängigkeit von Natur und Kunst angelangt: In ihrer Rückkehr nach Belvedere verweisen die Skulpturen auf ihren Ursprung in der Natur – die im Schloßpark Belvedere selbstverständlich auch bereits schon wieder kulturell überformt ist. Wir geraten hier in einen ständigen Umschlag vom einen ins andere – das bekommt man selten so klar zu greifen. Im Werk Kregels sind die Anspielungen auf Formen der Pflanzenwelt nicht zu leugnen: Bei der dreimaldreiteiligen „Palme“ – das Werk trägt keinen Titel – oben auf der Treppe unterstreicht die grüne Färbung noch die vegetabile Gestalt. Auch Sumac trägt unübersehbar pflanzenhafte Züge: Wie die Teile eines Kaktus baut die Skulptur ihre blütenkelchartigen Glieder aufeinander, erst drei, dann zwei.

Wie kam es nun zu diesen Skulpturen? Es versteht sich von selbst, daß wir zur Klärung dieser Frage bis in die Goethezeit zurückblicken müssen. Alles begann so: Buchen haben – und zwar wirklich von Natur aus – eine Lebensdauer von 150 bis 200 Jahren. Nach Ablauf dieser Frist sterben die Bäume ab. Der Schloßpark Belvedere wurde zwischen 1811 und 1815 zu Zeiten Maria Pawlownas in die heutige Form des Landschaftsgartens gebracht (die Orangerie hier ist älter, um 1750 fertiggestellt). Die Bäume, die im Zuge dessen gepflanzt wurden, sind demnach um die 190 Jahre alt. Bei den Arbeiten zur Sanierung der Gartenanlage in den 90er Jahren stellte sich heraus, daß einige der Buchen gefällt werden mußten, um nicht zur Gefahr für Spaziergänger zu werden. Timm Kregel war damals im Römischen Haus im Park an der Ilm mit der Rekonstruktion der klassizistischen Wandmalereien beschäftigt. Kregel und die Stiftung fanden einen idealen Weg der Zusammenarbeit: Der eigentlich in Gorsleben bei Bad Frankenhausen beheimatete Künstler durfte die gefällten Bäume an Ort und Stelle, hier im Park bearbeiten. Der Schloßpark Belvedere wurde Timm Kregels temporäres Atelier. Wieder hatten sich Natur und Kunst gefunden.

Timm Kregel sägt große Teile seiner Skulpturen aus einem Stück. Zumindest zunächst. Das Werk mit dem Titel Das Kabinett – das ist dieser Narwalzahn dort hinten – ist in seinen Sockel eingesetzt, hier besteht die Skulptur aus zwei Stücken. Egri sieht aus wie aufgemauert und ist in der Tat – untypischerweise für Kregel – aus verschiedenen Hölzern kleinteilig zusammengesetzt. Und Sumac beispielsweise ist nachträglich gespalten. Denn die Skulpturen müssen ausgehöhlt werden, um nicht zu reißen. Das Holz ist, wie erwähnt, ganz frisch verarbeitet, nicht abgelagert. Da die Trocknung von Holz radial bzw. tangential, also quer bzw. längs der Holzfasern unterschiedlich rasch vonstatten geht, muß die Figur ausgehöhlt werden. Das schafft Kregel aber so akkurat, daß kein Schnitt und keine Narbe an der Skulptur sichtbar bleiben. Der farbliche Überzug – in der Regel eine weiße Fassung – tut ein übriges, um die Form als unangetastet erscheinen zu lassen. Auch dies ist ein wesentliches Element großer Kunst: die handwerkliche Perfektion, wie sie uns im Werk Timm Kregels begegnet.

Übrigens hämmert und meißelt Timm Kregel nicht. Unfassbarerweise entsteht sein zum Teil so fragil wirkendes Werk, für das lange, schmale Arme und Stelen so typisch sind, mit der Kettensäge. Chain saw carving kommt eigentlich aus den USA und wurde aus nachbarschaftlichen happenings geboren. Daß Arbeiten mit der Kettensäge beginnen, den Anspruch auf einen Kunststatus zu erheben, ist ein jüngeres Phänomen. Kregel selbst nutzt inzwischen ein carving-„Schwert“. Diese zu deutsch auch „Schnitzschiene“ genannte, kleine, man muß fast sagen: handlichen Kettensäge zeichnet sich durch eine besonders schmale Schienenspitze und kleine Sägekette aus. Hiermit schafft Kregel seine meist feingliedrigen Gegenstände.

Woher beziehen die Skulpturen ihre Wirkung auf uns? Ihre Wirkung, die hier in der Orangerie so besonders gut zur Geltung kommt? Nun – die heutige Ausstellung verknüpft auf erhellende Weise die Funktion hochgewachsenen Holzes mit der funktionslosen Ästhetik des ins Kunstwerk überführten Baumstamms: Der hohe Stamm ist für den Baum lebenswichtig, damit die Blätter ans Sonnenlicht wachsen und die Pflanze über die Photosynthese ernähren können. Die Bedeutung des Baums, des ganzen Waldes für den Menschen hat aber immer auch diese eigentliche Bedeutung überschritten: Wie Elias Canetti schreibt, ist der Wald mit seinem schützenden Blätterdach zum „Vorbild der Andacht geworden. Er zwingt den Menschen aufzuschauen, dankbar für seinen überlegenen Schutz. Das Hinaufschauen an vielen Stämmen wird zu einem Aufschauen überhaupt. Der Wald baut dem Kirchengefühl vor, dem Stehen vor Gott unter Säulen und Pfeilern.“ Die hohe Skulptur, die lange Stele befriedigt unsere ästhetischen Ansprüche nicht zuletzt durch die Nachahmung der von Canetti beschriebenen Situation. Die Mimesis – die Nachahmung als eine der früher wesentlichen Aufgaben der Bildenden Kunst – die Mimesis macht Anleihen bei den religiösen Gefühlen, die an ihre Vorbilder geknüpft sind.

Ich muß an dieser Stelle schließen. Denn natürlich wollte ich mir auch noch wesentliche Bemerkungen zum Werk Timm Kregels für meine Rede unten in der Galerie Profil aufheben. Ich möchte Sie daher jetzt in den Rundgang durch die Orangerie entlassen – nicht ohne Sie zu bitten, bei diesem Rundgang durch die Ausstellung den einzelnen Elementen einer jeden Skulptur und den eventuellen Schnittpunkte von Armen, die aus diesen Elementen herauswachsen, besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Stellen Sie sich vor die Exponate und zählen Sie den Aufbau der Skulpturen durch. Wenn Sie dann mehr über die Zahlensymbolik im Werk Timm Kregels und über die Künstler-Biographie hören möchten, finden Sie sich bitte um 17 Uhr unten in der Stadt in der Geleitstraße 8 in der Galerie Profil ein, dort geht es dann weiter.

Wie sagen die Fernsehmoderatoren: „Bleiben Sie bei uns“.

Vielen Dank!

 

Dr. Cornelie Becker-Lamers