„Timm Kregel – Die Buchen von Belvedere“

Rede zur Ausstellungseröffnung

während der Eröffnung; links vorne Timm Kregel. Foto: Ulrike Behlau

Galerie Profil Weimar, 7. März 2008, 17 Uhr

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich, daß Sie uns so zahlreich von den Höhen des Belvedere hinunter in die engen Gassen der Stadt gefolgt sind.

„Timm Kregel – Die Buchen von Belvedere“ ist auch das Thema der Eröffnungsausstellung der Galerie Profil. Während ich oben in der Orangerie eher das Urwüchsige an den Skulpturen Kregels hervorgehoben habe, möchte ich hier in der Galerie über das Künstliche und Hintersinnige seines Werkes sprechen. Denn man wäre falsch beraten, wollte man in Kregel gewissermaßen einen Naturburschen sehen, der Holz bearbeitet. Die Arbeiten sind alle wie sie hier stehen hoch artifiziell.

Ich möchte daher an dieser Stelle zunächst einige Stichworte zur Biographie des Künstlers erwähnen. Timm Kregel wurde 1957 in Leipzig geboren und legte 1975 in Rossleben an der Unstrut sein Abitur ab. Zwischen 1977 und 1979 studierte er bis zum Vordiplom Innenarchitektur an der renommierten Hochschule für Kunst und Design in Halle/ Burg Giebichenstein. Anfang der 80er Jahre war er dann zunächst als Marionettenbauer am Puppentheater Halle tätig. Hieran schloß sich, wiederum an der Burg Giebichenstein, ein fünfjähriges Studium der Malerei und Grafik in der Klasse Prof. Frank Ruddigkeit an, ein Studium, das Timm Kregel mit dem Diplom beendete.

Bereits seit 1986 ist Timm Kregel freischaffend tätig. Die freie Tätigkeit wurde durch einen langjährigen Lehrauftrag im Fachbereich Malerei, Grafik und Glas an der Burg Giebichenstein flankiert, aber auch durch Preise und durch Arbeitsstipendien des Kulturfonds Berlin sowie wiederholten Stipendien des Thüringer Ministeriums für Wissenschaft und Kunst. Denn seit 1999 ist Timm Kregel in Thüringen ansässig: In Gorsleben bei Bad Frankenhausen hat er ein altes Schulhaus besiedelt. Die Schule dient ihm als Atelier, in dem Timm Kregel – zumeist in den Stunden zwischen Mitternacht und Morgengrauen – sägt, malt und druckt.

Denn auch die Malerei hat Timm Kregel bei aller Konzentration auf die Bildhauerei nicht verlernt. Figurative Auftragswerke etwa für den sakralen Raum bezeugen dies ebenso wie eine mehrjährige Tätigkeit für die Stiftung Weimarer Klassik, während der Timm Kregel die Wandgestaltung des Römischen Hauses im Park an der Ilm rekonstruierte.

Zur Gestaltung mit Holz, der Malerei und den Monotypien ist in jüngster Zeit die Arbeit mit Eisen und der Aluminiumguß hinzugekommen. Wir konnten „Für B.“ aus Eisen oben sehen sowie im Roten Turm der Orangerie „Des Ufers stille Betten“ aus Aluminium. Die Arbeitsmöglichkeit mit Aluminium verdankt Kregel seiner neuerlichen Arbeit mit Studierenden.

Kommen wir nun zu den inhaltlichen Aspekten des Kregelschen Werkes. Ich hatte Sie zu Abschluß meiner Rede in der Orangerie gebeten, Ihre Aufmerksamkeit beim Betrachten der Skulpturen auf Zahlenverhältnisse einzelner Werkteile zu lenken. Unübersehbar ist, daß Zahlensymbolik im Werk Kregels eine herausragende Rolle spielt. Die überwiegende Mehrzahl der Arbeiten bezieht die Ausgewogenheit der Gestaltung aus einer Balance gedoppelter und/ oder verdreifachter Elemente: Das Werk ohne Titel, die Stufen hoch, was wir als grüne „Palme“ bezeichnet hatten, breitet dreimal drei wulstige Blätter aus (in drei Etagen je drei). Im Eisenpfad, auch einem ganz neuen Werk, begegnen wir der „Palme“ und Für B. in Gestalt der Monotypie noch einmal.

Sumac, der „Kaktus“, ist aus drei blütenkelchartigen Elementen aufgebaut, dessen oberstes aber zwei benachbarte Elemente trägt. Diese Gestaltungsweise macht nicht bei den Holzskulpturen halt. Für B. aus Eisen, oben in der Orangerie, setzt drei Elemente übereinander, von denen jedes auf zwei Füßen steht. Der Aluguß Des Ufers stille Betten im Roten Turm, besteht aus drei Schiffchen. Jedes Schiffchen reckt zwei Arme oder Masten in die Höhe, die sich untereinander insgesamt sechs Mal überschneiden.

Betrachten wir die Arbeiten hier um uns herum, so sehen wir in Belvedere, soeben aus einem Stamm fertiggestellt, ein feingliedriges Netz hölzerner Streben, dem unten drei, oben zwei schmale Hörner beigegeben sind. Während die unteren Hörner als Füße dienen, hängen die oberen wie Trinkgefäße an der Skulptur. Nana ist ebenfalls dreiteilig. Die Linster-Serie hingegen wird, wie auch Thalo im Fenster, von zwei Elementen dominiert. Die Zwei- und die Dreizahl verbindet dann wieder die Dornenkrone hier, der offizielle Werktitel ist Pfauenfenster. Aus den drei konzentrischen Bögen stehen (zählen) 11 Stacheln hervor – so ein Mist – nur 11. Aber halt! Hier ist noch einer: Wir sind also doch bei der heiligen Zwölf, dem 2x2x3 angekommen.

Die Reihe der Werke ließe sich beliebig fortsetzen. In den Katalogen sehen Sie noch Gefährt, Das Geflecht, Fast die Ufer, Mandelstadt und Überflug. All diese Skulpturen basieren gestalterisch auf einer Variation von Zwei- und Dreiteiligkeit.

Mit dieser Zahlensymbolik – oder ist es gar eine Zahlenmystik? – greift Timm Kregel auf ein Grundmuster zurück, welches das Fundament nicht nur unserer Kultur, sondern vieler Kulturen rund um den Erdball legt: Es ist der Dualismus der Gegensätze von Tag und Nacht, Hell und Dunkel, Sommer und Winter, Himmel und Hölle, Gut und Böse, Kultur und Natur – und nicht zuletzt der Dualismus der Geschlechter. Die Frage, wie innerhalb dieser Gegensätze ausbalanciert wird, ob beide Teile der genannten Gegensatzpaare in ihr Recht gesetzt werden, ist wesentlich für die Charakteristik einer jeden Zivilisation. So kämpft bei uns derzeit schon die hohe Politik mit den Auswirkungen der Tatsache, daß das Verhältnis von Natur und Kultur hier viel zulange nicht im Gleichgewicht war.

Hinzu tritt die Idee der Dreifaltigkeit, der Trinität, die ebenfalls in vielen Kulturen Vollkommenheit symbolisiert. Das Dreieck ist dabei die einfachste Form der Symbolik, ein Dreieck, das Timm Kregel in der „Palme“ gewissermaßen dreimal in die dritte Dimension erweitert und übereinandergeschachtelt hat.

Die Arbeiten Timm Kregels thematisieren den Ausgleich: Den Ausgleich zweier dualisitischer Elemente untereinander wie auch den Ausgleich des unvollkommenen Dualismus mit der trinitarischen Perfektion. Wie zwei Waagschalen treten uns die Wölbungen der Linster-Serie entgegen: Zwei Waagschalen, die, auf gleicher Höhe ausbalanciert, wie im Gleichgewicht schweben. Wie struppig die mit der Kettensäge gefertigten Skulpturen Timm Kregels uns auch im Einzelnen begegnen mögen – hinter ihrer rauen Fassade verbergen sie einen guten Kern: Ihr Streben nach Ausgleich, Gerechtigkeit und Harmonie.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

 

Dr. Cornelie Becker-Lamers, Weimar