Horst Hussel. Unikate, Radierungen. Köpfe und Figuren.

Rede zur Ausstellungseröffnung

8. April 2006, Galerie Profil, Weimar

Sehr geehrte Damen und Herren,

wie schwer ist es, eine Ausstellung zu eröffnen über einen Künstler, den womöglich jeder Besucher der Vernissage – womöglich sogar persönlich – kennt. (So jedenfalls hat man den Eindruck, wenn der Name Hussel hier in der Galerie Profil fällt.) Soll man einen biographischen Einstieg wählen, aus der Kindheit an der Küste erzählen? Von den Buchantiquariaten, denen Horst Hussel die Regale leerliest? Vom frühen Kontakt mit dem japanischen Holzschnitt? Oder vom bewegten Bildungsgang an der Graphikklasse der Fachschule für Angewandte Kunst Wismar, an der Dresdner Hochschule für Bildende Künste, an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee und schließlich in Friederich Stabenaus Graphik-Klasse an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin-Charlottenburg?

Horst Hussel wird 1934 geboren. In der Studienzeit, einer Lebensphase, in der ein Mensch alles Geschehen aufsaugt wie ein Schwamm, erlebt er die stochernde Suche eines politisch-ideologisch gesteuerten kunstwissenschaftlichen Diskurses um die soziale Funktion der Kunst. Er erlebt zwangsversetzte Professoren und zweimal seine eigene Exmatrikulation, zunächst in Dresden, später - während der Diplomarbeit – in Weißensee. Die Begründung sind jeweils Hussels angeblich „dekadenten künstlerischen Auffassungen“. Er erlebt den Mauerbau, der ihm von heute auf morgen sein wirtschaftliches Standbein, den Studentenjob im Westteil der Stadt, entzieht.

Horst Hussel verlegt sich aufs Illustrieren. Ein Bücherwurm ist er ohnehin, und gute Graphiker werden bei den Verlagen denn doch immer gebraucht. Über die Vermittlung von Johannes Bobrowski arbeitet Hussel für den Henschel-Verlag. Es folgen Aufträge der Verlage Volk und Welt, Reclam und Kiepenheuer. Und endlich beginnt Horst Hussel selber zu schreiben. Hatte sein Zeichenwerkzeug ausgestorbene Tierarten erfunden, oder nie gebaute Instrumente, so macht ihn sein Schreibwerkzeug zum Chronisten nie geschehener Geschichte – man denke an die Räterepublik „Mekelenburg“, deren Gründer, Gesellschaftsstruktur und sogar Münzwesen Hussel erfindet. Oder an die Tagebücher und Notenhefte des Albrecht Casimir Bölckow, die in der „Musik aus Gägelow“ dem Selbst-Illustrator zu den skurrilsten Zeichnungen Anlaß geben. Zu guter Letzt, Anfang der 90er Jahre, gründet Hussel selbst einen kleinen Verlag, die Dronte-Presse. Hier bringt er Liebhaber-Bücher in kleinen Auflagen heraus, die in der Regel schon verkauft sind, ehe das letzte Bändchen gebunden ist.

Hussel scherte sich früher nicht um kunstpolitische, er schert sich heute nicht um kunsttheoretische Vorgaben. Hussel zeichnet und schreibt, was nie geschah und niemals sein wird – und kommt so zuverlässig nie aus der Mode. Das reine Spiel, wie es häufig nur Kindern gegeben ist, bedeutet die Lebendigkeit selbst, und diese Lebendigkeit ist es, die uns in den Werken begegnet und uns fesselt. (Wie Friedrich Schiller sagt: „Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“.) Die Tempera-Arbeiten, die unsere Ausstellung zeigt, sprühen von Farbigkeit, das Leben selbst explodiert auf dem Papier, die Köpfe scheinen aus den Formaten zu springen. Da ist dem eingefleischten Zeichner doch wirklich mal der Farbtopf übergegangen! Rotierende Linien raufen sich in Nervenpunkten zu wüsten Knäueln zusammen: Kindsköpfe – Kinderköpfe, man möchte sagen: Kinderbilder in jedem denkbaren Sinne des Wortes: wie über Kinder, wie von Kindern, wie für Kinder gemalt. Und das meine ich nicht im üblichen Sinne von: „Das könnte ich auch“. Ich habe Kinderbilder sehr schätzen gelernt und würde mich hüten zu behaupten, ich könnte malen wie ein Kind. Sie kennen Picassos Ausspruch: „Mit 14 konnte ich malen wie Raffael, und ich musste 40 werden, um wieder malen zu können wie ein Kind!“

In diesem Sinne möchte ich meine Äußerungen zu Hussels Bildern verstanden wissen. Was zeichnet Kinderbilder aus? Reduzierte Formen, die einzelne, gerade wichtige Details hervorheben, übersteigern oder sogar isoliert nebeneinander darstellen. Riesige Augenhöhlen, breite Münder, zu lange Hälse, Wesentliches der Mimik wird in wenigen Strichen eingefangen. So sind Kinderbilder, wenn sie gelungen sind. Und so funktionieren auch die Köpfe und Figuren von Horst Hussel – alle. Denn die Kunst der Künstler besteht ja darin, das, was in Kinderzeichnungen ganz zufällig gelingt oder nicht gelingt, bewusst und einer Technik gehorchend hervorzubringen.

Verband man Hussel bis vor wenigen Jahren also vor allem mit der grotesken Zeichnung, mit den feinen Linien, die in scheinbarer Gegenständlichkeit Dinge abbildeten, die bis dahin nur in Hussels Imagination existiert hatten, mit Arbeiten, in denen Farbe gar nicht oder nur als hauchzarte Kolorierung vorkam – so wird man spätestens mit dieser Ausstellung immer den Farben-Hussel mitdenken müssen. Denn in etlichen der hier gezeigten Tempera-Arbeiten kommt die Linie praktisch überhaupt nicht mehr vor. Eine expressive Bildgestaltung setzt hier nur noch Farbe neben Farbe, um die nicht immer klaren Konturen der Köpfe und deren Minenspiel hervortreten zu lassen.

Natürlich ist auch diese Entwicklung nicht vom Himmel gefallen. Einen Schritt in die Richtung, deren ausgereifte Techniken wir hier vor uns haben, stellen die bereits 1997 entstandenen Garten-Bilder um die Propheten Sibi, Abka und Turre-Murrh dar. Die Köpfe der drei geheimnisvollen Herren – übrigens Würdenträger aus dem sagenumwobenen Mekelenburg! – hatten Hussel-Kenner und Hussel-Liebhaber als Holzschnitte überrascht: Holzschnitte aus Küchenbrettchen. Es war die Zeit, in der Hussel auch Schubladenböden und andere Gebrauchsgegenstände bekratzte, um sie mit Farbe zu bestreichen und auf ein Blatt zu drucken: Boddenfischer. Fagottisten. Die rundköpfigen Propheten jedenfalls sind aus Küchenbrettchen mit und ohne Fleischsaftrand, und sie blicken sich in den verschiedensten Konstellationen über buntbemalte Blätter hinweg an (ein Katalog liegt hier zum Verkauf bereit und ist sehr zu empfehlen!) Die Farben, die in den Bildern dann jeweils für den Garten der Propheten stehen, dienen auch hier schon nicht der Kolorierung, sondern treten als eigenständiges Gestaltungselement in den Mischtechnik-Blättern hervor.

In den „Köpfen und Figuren“ nun hat sich die Farbe bei Hussel endgültig emanzipiert. Man erkennt plötzlich, daß der junge Hussel nicht nur japanische Holzschnitte, sondern auch Juan Miró studiert hat. Auf dem Weg zu unseren „Köpfen“ liegt noch die „Palastarchitektur“, ein wunderschönes Buch aus dem Jahr 2005 – auch noch ganz neu. Hier dient eine in ihrer Feingliedrigkeit perfektionierte Aquarelltechnik einer sehr gefälligen Gegenständlichkeit. In den Köpfen und Masken – insbesondere im Eingangsraum der Galerie – macht sich die Farbe endgültig selbständig. Sie löst sich von ihrem Abbildungsauftrag. Die pure Freude am Komplementärkontrast, an pastosen Kringeln und breiten Pinselstrichen scheint die Malweise bestimmt zu haben.

Tritt beim frühen Hussel, beim Hussel der Buchillustrationen und feinen Landschaftsradierungen, der abstrusen Situationen und erfundenen Gegenstände das Spiel mit den Gedanken in den Vordergrund der Arbeit, so scheint es in der „Figuren und Köpfe“-Serie das Spiel mit dem Material zu sein. Ähnlich wie in den „Gärten der Propheten Sibi, Abka und Tuure-Murrh“ ist es ein einziges Thema, das uns unendlich variiert und immer weiter variierbar entgegentritt.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Entdecken, Vergleichen und Weiterspinnen und lege Ihnen im übrigen die breite Auswahl verschiedener Bücher aus den unterschiedlichen Arbeitsphase Horst Hussels ans Herz. In der Regel sind die Bücher mit einer Vorzugsgraphik ausgestattet, so daß man zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt.

Vielen Dank.

Cornelie Becker-Lamers