Hans-Hermann Richter. Malerei
Rede zur Ausstellungseröffnung
Galerie Kunstraum Jena, Freitag, 13. September 2013, 19 Uhr
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Galeristin Marina Zollmann legt für ihre Ausstellung von Werken Hans-Hermann Richters ihr Augenmerk ganz auf die Malerei. Der künstlerische Werdegang des 1944 im oberschlesischen Militsch geborenen Künstlers ist allerdings sehr vielfältig und umfangreich. Ich möchte daher ausnahmsweise mit den biographischen Angaben zu Hans-Hermann Richter beginnen, bevor ich mich den Werken zuwende.
Nach der Flucht verbringt Richter seine Kindheit in Bottendorf an der Unstrut und schließt seine schulische Laufbahn an der traditionsreichen Klosterschule in Roßleben mit dem Abitur ab (Bottendorf ist inzwischen ein Ortsteil von Roßleben, also ganz nah). Zunächst entschließt er sich zu einer Tischlerlehre, bevor er sich 1963 in Sonneberg an der Fachschule für Spielzeug einschreibt. Nach zwei Jahren wechselt er wiederum und wird an der Burg Giebichenstein angenommen. Mit 27 (1971) Jahren gründet er mit Kollegen Werkstätten für Kunsthandwerk in Halberstadt, produziert dort keramische Gegenstände und beginnt nun erst, sich mehr und mehr der Malerei zuzuwenden. Er bezieht mit seiner Familie ein geräumiges Gehöft in Huy-Neinstedt, wo Hans-Hermann Richter noch heute ansässig ist.
Das Oeuvre Hans-Hermann Richters umfaßt nicht nur unzählige Ölgemälde, sondern auch Aquarelle und Radierungen. Weibliche Akte und kritische, häufig "Studie" betitelte Selbstportraits, Landschaften und Stilleben mit immer wiederkehrendem Inventar bilden die hauptsächlichen Sujets seiner Kunst.
Zeigen die Bilder aus den 70er und 80er Jahren noch sehr detailgetreu und naturalistisch dargestellte Szenerien, wachsen die Bilder in den folgenden Jahrzehnten ganz organisch immer mehr in die Abstraktion hinein, bis - gerade auch bei den Landschaftsdarstellungen - die atmosphärischen Farbeindrücke die Bildkomposition gänzlich bestimmen. Hans-Hermann Richter malt dabei - je länger, je mehr - allein aus der Erinnerung. Die Landschaften entstehen nicht in der Natur, nicht als plein-air-Malerei, aber auch nicht nach Fotografien (Sie erinnern sich: nach Fotografien zu malen ist die Strategie Barbara Burcks, deren Bilder im Mai hier in der Galerie zu sehen waren). Hans-Hermann Richter malt aus dem Gedächtnis, im Atelier. Dies gilt inzwischen auch für die Stilleben, die er nicht mehr auf dem Tisch arrangiert, sondern allein im Kopf komponiert und so auf die Leinwand bringt.
Landschaften wie Stilleben leben mehr und mehr von atmosphärischer Wirkung. Ja, die Sujets gleichen sich im Grunde gegenseitig an. Alles Abbildhafte ist völlig verschwunden, es geht um die Ordnung von Farbflächen, Farben, Lichtpunkten im Bildraum, um die Erschaffung überhaupt eines Bildraumes aus der Zweidimensionalität der Leinwandfläche. Sehen Sie hier den lichten grauen bereich, der die Fläche zurücktreten läßt und den Bildraum zum Greifbar-Plastischen aufspannt. "Noch Stilleben" heißt das Gemälde und unterstreicht mit seinem Titel, was ich schon erwähnt habe: Landschaft und Stilleben nähern sich einander an.
Stilleben - "nature morte" - ist eine symbolisch aufgeladene Kunstform. Wo ein Herrscher sie in der Ausmalung seines Jagdschlosses nicht als Repräsentation seiner Macht über Dinge und Lebewesen mißverstand, reflektieren Stilleben in der Regel die Vergänglichkeit aller Dinge. Häufig sind tote Tiere zu finden oder gar menschliche Totenschädel; Musikinstrumente als Symbol des im Entstehen schon vergehenden Klanges. In dieser Tradition sehen Sie hier die beiden kleinformatigeren Ölbilder der Fische - es sind kaum noch solche Bilder im Depot in Huy-Neinstedt zu finden, und wenn, dann sind sie Hans-Hermann Richter meist nicht feil. Also nutzen Sie die Gelegenheit ...
Was zeigen die Stilleben von Hans-Hermann Richter? Nester mit Eiern, Zwiebeln, ein Glas oder einen Kasten, vielleicht einige einheimische Früchte, einen Stab und eine Violine auf weißem, roten, schwarzem drapiertem Tuch - das sind die Gegenstände, die Hans-Hermann Richter in seinen Stilleben über Jahrzehnte hinweg immer wieder umkreiste. Stutzig machen, es wird Ihnen aufgefallen sein, die vielen Hühnereier, die immer wieder in oder neben intakten, runden Gehäusen ihrer Nester auftauchen. Denn Eier symbolisieren ja das werdende Leben, das ewige Leben in der zuverlässigen, zyklischen Wiederkehr des Gleichen. Kommt der Stab hinzu, hier und da sogar eine Muschel, haben wir die Zeichen des Pilgers - Jakobsmuschel und Stab, das wäre ikonographisch sehr eindeutig, wenn man das so lesen dürfte -, der Dauer des Lebensweges. Ebenso kann die Zwiebel gedeutet werden als Bild des sich immer häutenden, sich immer weiter entwickelnden Menschen. Die Violine, die gern halb eingeschlagen unter einem schwarzen oder roten Tuch ruht, stünde dann für die Vergänglichkeit, die Kästen vielleicht für den Tod. Richters frühere Stilleben also: Panoptikum eines ganzen Lebenszyklus? Der Fokus der Darstellungen hätte dann nicht nur auf der Vergänglichkeit gelegen, sondern ebenso auf der ständigen Wiederkehr und der Dauer des Werdens und Vergehens, des Lebensweges.
Warum habe ich das erwähnt? Hat man die älteren Arbeiten Hans-Hermann Richters im Hinterkopf, wird man nicht umhin können, in die braune langgestreckte Farbfläche auf "Noch Stilleben" die Violine hineinzusehen, die ein fester Bestandteil Hans-Hermann Richters früherer Stilleben ist. Sie ist aber völlig in der Abstraktion aufgegangen. Auch den altbekannten Stab treffen wir wieder, doch wird er hier zum inhaltlich mehr gefüllten Bildelement, das keine Bedeutung mehr transportiert, sondern nurmehr bildteilende Funktion im Aufbau des Bildraumes besitzt.
In einigen Texten zur Kunst Hans-Hermann Richters kommt zur Sprache, daß Sujets immer wieder in den Bildern auftauchen: Immer wieder die Stillleben mit den Zwiebeln, Eiern, Nestern, Stäben, Violinen, drapierten Tüchern. Die Texte stellen die Frage, ob hier eine Unsicherheit vorliegt, der Künstler immer wieder sein Werk überprüfen, neuschreiben möchte, vorherige Bilder umdeutet. Das ist nicht der Fall. Jedes seiner Bilder behält für Hans-Hermann Richter seine Gültigkeit, die früheren naturalistischen Arbeiten wie die abstrahierenden Darstellungen. Es werden einfach alle Möglichkeiten eines Sujets ausgelotet, Dinge immer wieder angeordnet. Dabei geht es um die Art der Darstellung, nicht um eine tiefere Symbolik. Hans-Hermann Richter sagt selbst: "Ob etwas geordnet ist oder ungeordnet, das sieht man ja, ist es klug geordnet oder dumm etc." So sagte er mir am Telefon, um verständlich zu machen, warum er selber sprachlich nicht viel Erläuterndes zu seinen Bildwerken beitragen kann und will: Die Bilder sprechen für sich und sollen für sich auf die subjektive Wahrnehmung des Betrachters wirken.
Es geht im Werk Hans-Hermann Richters um Linie und Fläche, um die Anordnung der Dinge in der Fläche, es geht um Farben. In den Landschaftsbildern scheint eher eine temporäre Stimmung eingefangen, als daß tatsächlich ein rekonstruierbarer Raum dargestellt wäre. Die Entsprechung zur Wirklichkeit tritt hinter der Anordnung der Dinge zur Bildaussage zurück. Ein wunderschönes Beispiel hierfür ist wiederum in den älteren Stilleben zu finden, in der häufig abgebildeten Violine. Diese Violine ist in der Regel seitenverkehrt dargestellt (bzw. eine Linkshändervioline, was aber bei diesem Orchesterinstrument sehr selten bis unmöglich ist). Die Kinnstütze sitzt auf der unerwarteten Seite des Saitenhalters, und die Feinstimmer für E- und A-Saite sitzen links. Ein Zufall? Tatsächlich ja! Es war Richter nicht aufgefallen, daß es sich in seinen Bildern mit der Geige so verhält. Die Utensilien, die eine Geige aus- und erkennbar machen, heißt das, werden im Bildraum angeordnet - und wenn der Geigenhals in Leserichtung nach rechts aus dem Bild herauswandern soll, dann sitzt die Kinnstütze eben auf der unüblichen Seite des Instruments, damit sie dennoch sichtbar ist.
Das Werk soll unmittelbar auf den Betrachter wirken. Auch das kann als Besonderheit im Schaffen Hans-Hermann Richters gesehen werden. Wenn Sie sich andere Kunstschaffende vor Augen halten, Andy Warhol, Jeff Koons etc., dann wissen Sie: Diese Künstler brauchen ein Publikum, das jede ironische Brechung, jede Anspielung auf andere Werke versteht, ein Publikum also, das intellektuell an Kunst heran geht, da sie häufig sinnlich nicht mehr unmittelbar wirkt. Das ist bei Hans-Hermann Richter anders. Seine Kunst wirkt unmittelbar. Seine Bilder sind für diejenigen Betrachter geschaffen, die von ihnen angesprochen werden und, salopp gesprochen, etwas davon haben. Es geht nicht um das erzogene, gebildete Publikum, das die Kunstgeschichte komplett präsent hat, sondern um den wachen Betrachter, das offene Herz, das sich den Bildern aussetzt und sie auf sich wirken läßt.
Dr. Cornelie Becker-Lamers, Weimar