Helmut Senf

Eine Rückkehr nach Erfurt

Kunstverein präsentiert Helmut Senf in der Galerie am Fischmarkt

In Institutionen wie dem Erfurter Schmucksymposium hat er dieser Stadt sein künstlerisches Vermächtnis hinterlassen: Helmut Senf, Jahrgang 1933, Metall- und Emailgestalter. Obwohl er in Mühlhausen geboren wurde und heute in Saßnitz auf Rügen lebt, zählt die Stadt Erfurt ihn zu ihren Söhnen, war Senf doch über 36 Jahre in Erfurt als freischaffender Künstler tätig.

Nunmehr präsentiert die Jahresausstellung des Erfurter Kunstvereins neueste Malerei, Emailarbeiten und Skulpturen von Helmut Senf in einer Kabinettausstellung in der Erfurter Galerie am Fischmarkt.

Senf studierte in den frühen 50er Jahren Emailgestaltung bei Lili Schultz auf der Burg Giebichenstein. Als er schon als Emailleur in Erfurt arbeitete, bildete er sich bei Karl Müller in Halle weiter. Helmut Senf verortet sich konsequent in der Tradition von Konstruktivismus, Werkbund und Bauhaus. Über die Jahre seines Kunstschaffens als Schmuck-, Metall- und Emailgestalter hinweg ist er dieser Ästhetik ohne Zugeständnisse an die Gegenständlichkeit treu geblieben. Die Skulpturen, die die Ausstellung in ausgewählten Objekten vorstellt, thematisieren in komplexen Fügungen die Durchdringung von Objekt und Raum. In der "Kugel" von 1994 erscheinen die beiden Hälften einer Stahlscheibe so weit gegeneinander verdreht, bis diese Hälften senkrecht aufeinander stehen. Das fragile Gebilde zerfällt nicht, weil der Raum, den die Stahlscheibenhälften bei ihrer Verschiebung zurückgelegt haben, ebenfalls durch Stahl nachgeschrieben worden ist. Aus zwei Halb- und zwei Viertelkreisen rotbemalten Stahls ergibt sich so ein irritierendes Raumobjekt, das an zwei Spiegelachsen in sich selbst zurückzuführen ist.

Der "Roten Skulptur" scheint dieselbe Idee wie der "Kugel" zugrunde zu liegen, mit dem Unterschied, daß hier ein Stahlring gegen sich selbst gedreht erscheint. Sie wirkt daher weniger massig und läßt in ihrer Mitte die verschiedensten Perspektiven zu auf einen Raum, den sie freiläßt, in dem sie ihn umschließt.

Wie sagte der Bildhauer und Designer Harry Bertoia? Eine Skulptur "besteht hauptsächlich aus Luft. Der Raum geht durch sie hindurch." So ist auch ein Charakteristikum vieler Wandarbeiten Helmut Senfs die Thematisierung des Bildes als Bildausschnitt. In der Emailarbeiten "o. T. (Kreuz)" ist es ein wie aus der Fläche gerutschtes, weißes Quadrat, das sich schräg gegen den zweifarbigen Hintergrund abhebt und dem Werk seine reizvolle Asymmetrie verleiht. "Aura" (1995) zeigt ein leuchtend blaues Quadrat. Die beiden pinkfarbenen Streifen der Bildränder machen das Bild über die Grenzen seines Rahmens hinaus weiter denkbar. Dieselbe Ausschnitthaftigkeit ist den Werken "Nike" (1993/96), den "Szenen T - TTT" (1994), dem "Flügel des Ikarus" oder dem farblich wie formal etwas überladenen "o.T. (Bielefeld 3/3)" ablesbar.

Die Malerei Helmut Senfs gehorcht den Bestimmungen der Konkreten Kunst. Daß für diese Kunstrichtung die Ausschnitthaftigkeit des Bildraums sehr typisch ist, zeigen viele Exponate auch andere Kunstschaffender in der ständigen Ausstellung des von Helmut Senf mitbegründeten "Künstlermuseums" Forum Konkrete Kunst auf dem Petersberg. In der Konkreten Kunst läßt der Künstler bewußt die objektiven Mittel der bildnerischen Darstellung hervortreten: Farbe, Fläche, Linie und Raum werden als Mittel der Darstellung deren einziger Inhalt.

Helmut Senf spielt in seinen Arbeiten auch ein Spiel mit dem Zeichenhaften. Markiert doch ein Kreuz im scheinbaren Mittelpunkt der Emailarbeite "o.T." gerade nicht die Mitte, sondern gaukelt, um deutliche zweieinhalb Zentimeter aus dem Zentrum gerückt, eine optische Täuschung vor. Nahezu programmatisch für die Theorie der Konkreten Kunst ist die Arbeit "horror vacui" (1996). Denn indem sie die "Angst vor der Leere" einer ungegenständlichen und unlesbaren Welt im Titel abruft, scheint es diese Angst gleichzeitig selber nehmen zu wollen: Auf großer, weißer Fläche teilt ein Strich das Bild nicht vollständig in zwei Hälften. Am unteren Rand steht ein kleines, schwarzes Dreieck auf der Spitze.

Aus Gemälden der Bauhausmeister Klee oder Hofmann kennt man den Pfeil, der auf nichts verweist und darum selbst in seiner formalen Gestalt erst wahrnehmbar wird. "Horror vacui" zeigt nicht einmal das. Ein Pfeil erscheint nicht, sondern lediglich ein Strich und eine Spitze, die als bedeutungslos gewordenes Zeichen an den unteren Rand des Weltausschnittes herabgetropft ist. Das Bild ruht, ohne jeden Hinweis auf Bedeutung außerhalb seiner selbst, in einer jungfräulichen Ästhetik perfekter Symmetrie.

Cornelie Becker

Die Ausstellung eröffnete am 20. Oktober 1996 um 11 Uhr und war bis zum 10. November 1996 zu sehen. Der hier wiedergegebene Text erschien zuerst am 23. Oktober 1996 in der Thüringer Allgemeinen, S.4.