Gisela Nerlich-Kunzendorff. SCHÖN

Die Metamorphose der Pflanzen

Fotografien von Gisela Nerlich-Kunzendorff im Sophien- und Hufeland-Klinikum Weimar

„Gottes Schöpfung! – erkannt!“ jubelt es im Gästebuch zur Ausstellung „SCHÖN“ der Weimarer Fotografin Dr. Gisela Nerlich-Kunzendorff, die das Sophien- und Hufeland-Klinikum seit 1. Juli im Rahmen der Reihe „Kunst im Krankenhaus“ im Flur der radiologischen Station zeigt. Und in der Tat – mit 58 zauberhaften Fotografien nimmt uns die Ausstellung vom ersten Blick in eine gefüllte rote Rosenblüte an gefangen. Doch die volle Blüte zu zeigen ist nicht allein das Programm der Fotoreihe. 16 der Bilder sind mit geschultem Fotografinnen-Blick und großer Liebe zum Detail den Elegischen Distichen des Gedichts „Metamorphose der Pflanzen“ zugeordnet – jener wechselnden Reihe von Hexametern und Pentametern, in denen Goethe natürliches Werden und Vergehen beschreibt und zuletzt auf das Wachsen und Reifen menschlicher Beziehungen überträgt.

So nimmt denn auch die Darstellung keimender wie welkender Blüten einen großen Teil der Ausstellung ein – mehr noch: Die Darstellung der Schönheit gerade auch des Vergehenden motivierte als wesentlicher Reflexionshintergrund die gesamte Exposition. Wir lernen, an welkenden Blütenblättern (etwa „Mohn“) ungeahnte Strukturen wahrzunehmen, Strukturen, die von der prallen Blüte überdeckt werden, obwohl sie sie doch erst ermöglichen. Wir erleben die erotische Ausstrahlung des überweit geöffneten Blütenkelchs („Verblühende Tulpe II“), der auf dem schwarzen Untergrund der Fotografie von innen her zu leuchten scheint. Wir zerschmelzen vor der unendlich zarten Transparenz der matt gewordenen Blütenblätter („Verwelkte Narcisse II“) – so schutzbedürftig, so erhaltenswert in ihrem Dahinscheiden. Und wir stehen voller Verblüffung vor einer welkenden „weißen Orchidee“, die die Arabeske einer Ballerina im weiten Tüllrock zu imitieren scheint.

„Jede Blume, sie spricht lauter und lauter mit dir“, resümiert Goethe seine Betrachtungen über das Reifen der Pflanzen. Gisela Nerlich-Kunzendorff souffliert der Natur mit einer Kunstfotografie, die Welt nicht reproduziert, sondern uns neu zu sehen lehrt.

Dr. Cornelie Becker-Lamers

Die Ausstellung eröffnete am 1. Juli 2011 um 14.30 Uhr und war bis zum 30. September 2011 zu sehen. Der hier wiedergegebene Text erschien zuerst am 14. Juli 2011 in der Thüringer Landeszeitung.