Edward Hicks (1780-1849) „The Peaceable Kingdom“ (1834)

Eine Bildbesprechung im Rahmen der Sommerkirche Thieschitz, "Visionen der Bibel"

Gera-Thieschitz, Sonntag, 23. Juni 2019, 17 Uhr

Liebe Gemeinde, liebe Gäste,

wir wenden uns heute der messianischen Friedensvision des Propheten Jesaja zu, wie er sie im elften Kapitel seines Buches in den Versen 6-9 niedergeschrieben hat:

"6 Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Böcken lagern. Ein kleiner Knabe wird Kälber und junge Löwe und Mastvieh miteinander treiben. 7 Kühe und Bären werden zusammen weiden, daß ihre Jungen beieinanderliegen und Löwen werden Stroh fressen wie die Rinder. 8 Und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein entwöhntes Kind wird seine Hand stecken in die Höhle der Natter. 9 Man wird nirgends Sünde tun noch freveln auf meinem ganzen heiligen Berge; denn das Land wird voll Erkenntnis des HERRN sein, wie Wasser das Meer bedeckt."

Wir betrachten hierzu ein Gemälde des amerikanischen Malers Edward Hicks, der von 1780 bis 1849 in Pennsylvania lebte. [Es folgt die Bildbetrachtung] Den Säugling und das Kleinkind an der Schlangenhöhle hat Hicks in dieser Version des Bildmotivs eingespart. Auf einer Variante aus dem Jahr 1847 sind sie aber zu sehen. Hier, 1834, wollte er offenbar die Figurengruppe geschlossener halten.

Soviel zu dieser Figurengruppe. Um die anderen Teile des Bildes und das Gemälde überhaupt auch kunsthistorisch zu verstehen, müssen wir etwas über Edward Hicks und die Geschichte der amerikanischen Malerei erfahren.

Hicks wurde wie gesagt 1780 in Pennsylvania, in dem kleinen Dorf Attleboro geboren und verbrachte sein ganzes Leben in Pennsylvania, die meiste Zeit in Newtown. Er starb 1849. Sein "Peaceable Kingdom" zeigt uns nicht nur die von Jesaja inspirierte Tier- und Kleinkindgruppe, sondern auch eine Gruppe Erwachsener im linken Mittelgrund des Bildes. Diese Szenerie ist untrennbar von der besonderen Geschichte Pennsylvanias. Pennsylvania hat seinen Namen unüberhörbar von seinem Gründer namens Penn - es heißt übersetzt die Wälder des Sir Penn. Sir Penn wurde im Jahr 1681 als Begleichung einer Schuld vom englischen König Karl II. mit diesen Ländereien nördlich von Maryland und westlich von Delaware beschenkt. Sir Penns Sohn William fiel die ehrenvolle Aufgabe zu, sich nach Übersee einzuschiffen und in dem neuerworbenen Landstrich eine englische Kolonie zu gründen: Die Wälder des Penn. Pennsylvania.

Die Familie Penn waren strenggläubige und fromme Quäker und so nahm der junge Mann das Land nicht einfach in Besitz, um zunächst Philadelphia als immergrüne Stadt zu gründen, sondern er betrachtete es als "Heiliges Experiment" - eine neue Chance in der Neuen Welt, eine Chance zu einem Land, in dem immerdar der Religionsfriede und die persönliche Freiheit jedes Einzelnen florieren sollten.

So kam es zu einem Friedensvertrag zwischen William Penn und den indigenen Völkern, deren Land ein fremder König ungefragt verschenkt hatte und das Penn nun als sein Eigentum betrachtete. Der Katalog zu einer Ausstellung, die das Amerika Haus Berlin bereits 1968 unter dem Titel "111 Meisterwerke amerikanischer naiver Malerei des 18. und 19. Jh.s" gezeigt hat, listet unter Nr. 44 ein Exponat namens "Penns Vertrag mit den Indianern" von Edward Hicks aus dem Jahr 1840 auf. Das Werk enthält die Inschrift: "Penns Vertrag mit den Indianern, geschlossen 1681 ohne Eidesleistung und niemals gebrochen. Die Begründung der religiösen und bürgerlichen Freiheit, in den U.S von AMERICA."

Genau diese Szene finden wir im linken Mittelgrund unseres Bildes, "The Peaceable Kingdom" (1834). Es handelt sich also um den Gründungsmythos des Staates Pennsylvania, eines Mythos, der vom friedlichen, beiderseits freiwilligen, ohne Eid geschlossenen und nie gebrochenen Vertrag zwischen der Ureinwohnern und den weißen Kolonialisten erzählt und die Idee des freien Landes in die Neue Welt bringt. Diesen Gründungsmythos verknüpft Hicks in etlichen seiner Bilder mit der Version des Tierfriedens nach Jesaja.

Hicks ist übrigens DER Vertreter dieses Bildmotivs überhaupt. Über 100 Mal hat er es in immer leicht abgewandelter Form gemalt. Er betrachtete es als gemalte Predigt, denn obwohl er als Kutschen- und Schildermaler ausgebildet war und diese vielen Bilder - auch Portraits und Landschaftsdarstellungen - malte, wurde er eigentlich als Quäker-Prediger berühmt (wobei er seine Mitbrüder auch verschreckte, als er einmal vehement für die Rolle der Bildenden Kunst und des Strebens nach dem Schönen im Leben argumentierte. Das hielt man bei den Quäkern ja gerade für Teufelszeug.)

Was hat es mit dem Bildmotiv, dem Tierfrieden, ansonsten auf sich? Die Zeugnisse beschränken sich, wenn man Hicks ausnimmt, auf kleinasiatische Mosaike der Spätantike, jeweils vor der Apsis gelegt, in der Altar-Achse, also als messianische Vision auf den HERRN hin orientiert. Ein einzelnes mittelalterliches Mosaik ist auch in der Apsis des Speyerer Doms zu finden. Dann wird das Bildmotiv mit dem Motiv der Paradieserzählung verknüpft (der endzeitliche Tierfriede biegt die Geschichte ja eigentlich auf ihren paradiesischen Anfang zurück) sowie mit der Geschichte der Arche Noah - übrigens auch von Hicks dargestellt. Die Geschichte von der Arche Noah thematisiert es zwar nie, setzt ja aber stillschweigend auch genauso ein über Wochen dauerndes friedliches Zusammenleben aller Tiere voraus - damit auch alle wieder heil aus der Arche herauskommen. Des weiteren findet das Tierfriede-Motiv Eingang in die Emblematik des Barock, also in die auf kleine typische Zeichnungen mit Über- und Unterschrift gebrachten moralischen Sinnzeichen. Der Tierfriede steht da für die mögliche Eintracht zwischen allen Menschen.

Neben Marc Chagall, der in seinen hunderten von Illustrationen zur Bibel auch den Tierfrieden einmal dargestellt hat, ist also Edward Hicks der eigentliche Vertreter dieses Bildmotivs.

Zu kunstgeschichtlichen Einordnung: Hicks zählt zur Naiven Malerei oder zu den Folk Painters der USA. Wenn man bei wikipedia sich über Naive Malerei belesen möchte, beginnt der Artikel mit Henri Rousseau, dem ersten der französischen Vertreter dieser Kunstrichtung. Rousseau (nicht zu verwechseln mit dem Philosophen der Aufklärung, Jean-Jacques Rousseau!) aber wurde erst 1850 geboren - da war Hicks schon ein Jahr tot.

Die amerikanische naive Malerei ist von der europäischen grundsätzlich zu unterscheiden. Denn im Gegensatz zur europäischen naiven Malerei - Gauguin ist da ja ganz berühmt - vollzog sich die amerikanische nicht als Gegenbewegung zu einem ausgebildeten akademischen Malstil. In Amerika, dessen erstes Gemälde Öl auf Leinwand man auf das Jahr 1564 datiert, hat sich diese vor allem von Autodidakten gewählte Malweise schon im 16. Jahrhundert ausgebildet. Die Neue Welt war voller Handwerker und Alleskönner - die Frauen spannen, webten und färbten die Wolle für die selbstgeschneiderte Kleidung, kochten und brauten, zogen Kerzen und siedeten Seife. Die Männer bauten Häuser und jagten, bebauten das Land, schnitzen - und malten eben auch. Edward Hicks wurde wie erwähnt zum Kutschen und Schildermaler ausgebildet. Gerade in Pennsylvania, wohin sehr viele Deutsche auswanderten, spielte die in Frakturschrift gestaltete Urkunde (Taufe), der Haussegen, Vorschriftstafeln etc. (alles in deutscher Sprache) zudem eine sehr große Rolle.

Man malte daher in dieser heraldischen Manier, die die naive Malerei in ihrer Reinform eigentlich auszeichnet: Von oben bis unten knallbunt, keine perspektivische Darstellung, das Bild kennt nur ein Oben und Unten, keine Tiefe des Bildraumes, übereinander gemalte Häuser erscheinen als übereinanderliegend, nicht als Vorder- und Hintergrund einer Stadtlandschaft, Figuren werden ohne anatomische Kenntnisse zum Teil recht verzerrt dargestellt: falsch herum angewinkelte Arme, zu kleine Füße, zu kurze Beine, zu große Augen. In Amerika ist die naive Malerei, die sich nach der Unabhängigkeitserklärung 1776, den damit wegfallenden Zoll- und Handelsbeschränkungen, dem Gefühl der Freiheit und der Autarkie verstärkt entwickelte und ihre Blütezeit in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Hicks!) entfaltete, in Amerika ist die naive Malerei keine Außenseiterkunst, sondern die Malerei, die sich organisch herausbildete aus einem fortentwickelten und neue Bildmotive bearbeitenden Kunsthandwerk.

Wir sehen stilistisch, daß das Werk von Edward Hicks eine Art hybride Zwischenwelt darstellt. Die Tiere im rechten Vordergrund sind eindeutig der naiven Malerei zuzuordnen. Das Verblassen der Farben und die perspektivische Verkürzung sorgt im linken Mittelgrund und mit der Flußlandschaft des Hintergrundes für räumliche Tiefe im Werk. Auch die weitgehende anatomische Korrektheit in der Darstellung der menschlichen Figur lassen eine Schulung an europäischer Malerei und deren Regeln und Errungenschaften vermuten. Wir haben kunstgeschichtlich eine Art "Europäisch informiertes Folk Painting" vor uns.

Dr. Cornelie Becker-Lamers, Weimar