Ansichten - Dieter Weidenbach
Rede zur Eröffnung der Ausstellung
OP-Zentrum Dr. Zollmann Jena, 26. Mai 2016
Sehr geehrter Frau Dr. Zollmann, sehr geehrter Herr Dr. Zollmann, liebe Marina Zollmann, lieber Dieter Weidenbach, sehr geehrte Gäste,
über den Maler Dieter Weidenbach kurz zu sprechen, ist schwer. Der Künstler, der 1945 in Stendal geboren wurde, in Weißenfels zur Schule ging, nach einigen Hindernissen in Leipzig Graphik und Malerei studierte, nach freischaffender Tätigkeit 1977 noch Meisterschüler bei Willi Sitte in Halle wurde, 1985 nach West-Berlin ausreiste und 1990 nach Weimar zurückkehrte, hat sein Leben doch recht ausführlich gelebt und dabei die halbe Welt bereist: Frankreich, Ägypten, Anatolien, Italien und immer wieder Italien. Das Werk Dieter Weidenbachs umfaßt Malerei, Zeichnungen, Aquarelle, Druckgraphik - das heißt Radierungen, Holzschnitte, Lithographien sowie Skulpturen, es umfaßt Arbeiten wie den knapp 20 Meter langen "Totentanz zu Weimar 93", aber auch kleine feine Buchillustrationen, einige Bühnenbilder und die Mitarbeit an einem Film über Arnold Böcklin.
Stilistisch bewegt sich Dieter Weidenbach zwischen der zeichnerischen Akkuratesse anatomischer Studien und den mit der handwerklichen Perfektion frühneuzeitlicher Stiche ausgeführten Radierungen über beinahe der naiven Malerei zuzuzählenden Stadtansichten bis hin zu farbgesättigten expressiven Landschafts- und Personendarstellungen. Folgerichtig mag der Künstler die Frage nach dem Stil nicht. Man hat tatsächlich den Eindruck, allein das Sujet bestimme für Dieter Weidenbach die Mittel des künstlerischen Ausdrucks, über deren ganze Bandbreite er frei verfügt. Was diese Sujets betrifft, so sind sie so vielfältig wie die künstlerischen Techniken, in denen sie ausgeführt werden - von der Landschaftsimpression oder der Architekturdarstellung über Personengruppen bis hin zur Einzelfigur. Auffallend ist die häufig kommentierende Adaption historischer Bildsujets. So greift er 1984 das bekannte Bild von "Goethe in der Campagna" auf, aber Goethe ist komplett zugehängt: "Goethe verhüllt" heißt es bei Dieter Weidenbach, und eine verführerische Margot Honecker blickt uns statt dessen aus demselben Bild entgegen. Es ist das letzte Ölgemälde, das Dieter Weidenbach vor seiner Ausreise aus der DDR gemalt hat. Wir finden mehrere Adaptionen der Toteninsel Arnold Böcklins, die bei Weidenbach - nach Auschwitz - zur gruseligen Leicheninsel, aber auch zur Kulisse des Untergangs einer hell erleuchteten Titanic wird. Die Beschäftigung Weidenbachs mit Diego de Velázquez führt zu zitathaften, inhaltlich fast kopienartigen Tafelbildern spanischer Hofdamen - bei eigenartig- expressiver Malerei, versteht sich. Die veristische Malerei bei gleichzeitiger symbolischer Überhöhung des Darstellten bringt Weidenbach als Student der bekannten "Leipziger Schule" ebenfalls immer mit.
Also - es ist schwer, wenn nicht unmöglich, von diesem Werk in Kürze ein umfassendes Bild zu geben. Dieter Weidenbach interessiert sich für andere Künstler - und zwar im positiven Sinne. Nicht zur strategischen Abgrenzung, die es ja gerade im Hochpreissegment des zeitgenössischen Kunstmarktes auch gibt - der macht das also mache ich jenes - sondern tatsächlich ganz positiv und bejahend. Für die Adaption historischer Werke hatte ich das gerade schon erwähnt, es trifft auch für die zeitgenössische Kunst zu. Dieter Weidenbach tummelt sich - und er reflektiert die Kunst anderer und seine eigene. Folgerichtig liegen auch Texte zur eigenen Kunst, Tagebücher oder lyrische Texte des zum Teil als "Dichterpoeten" bezeichneten Weidenbach vor.
Ich möchte nun, um nach dieser allgemeinen Einführung endlich zu den konkreten Werken dieser Ausstellung zu kommen, einige ausgewählte Bilder näher betrachten. Dieter Weidenbach hat im Laufe seines Schaffens eine schier unübersehbare Fülle von Akten, Portraits und Menschengruppen vorgelegt. Seine bekannteste Arbeit ist nach eigenen Aussagen das Mitte der 70er Jahre entstandene Ölbild "Unterwegs". Es zeigt einen Wanderer in Anlehnung an den berühmten Hausierer des Hieronymus Bosch und spart in der Adaption nicht mit zeitgenössisch-gesellschaftspolitischem 'Sprengstoff'. Was dazu führte, daß die Staatssicherheit Dieter Weidenbach vorlud und die Galerie Neue Meister in Dresden das Werk ankaufte.
Eine große Stärke Dieter Weidenbachs liegt aber auch in seinen Landschafts- und Architekturdarstellungen. Zwei kleine Büchlein von Reiseimpressionen aus Anatolien beispielsweise hat Dieter Weidenbach in den letzten Jahren hier im quartus-Verlag vorgelegt. Er hatte 2011 und 2012 mit der emeritierten Jenaer Professorin für klassische Archäologie, Verena Paul-Zinserling, die westliche Türkei bereist. Die Texte von Prof. Zinserling schildern antike Stätten wie Troja und Pergamon, Ephesos und Smyrna in ihrer heutigen Gestalt, aber auf lesenswerte Weise angereichert durch das Wissen um ihre großartige Geschichte. Dieter Weidenbach illustrierte die Bände mit fünzehn bzw. dreißig Aquarellen. In der Darstellung der verfallenen Tempel und Säulen, der zerschlagenen Statuen und der einstigen Amphitheater vor einer frühlingshaften Landschaft in bereits flirrendem Licht gelingt es diesen Aquarellen, genau dieses Nicht-mehr eines gleichwohl bleibenden Faszinosums einzufangen. Die scheinbar den Märchen aus 1001 entstammende maurische Szenerie im kleinen Wartezimmer ist eines der Reiseaquarelle, die keinen Eingang in einen der beiden Bände fanden.
Bleiben wir im kleinen Wartezimmer: Umwerfend - und sei es auch erst auf den zweiten Blick - ist meines Erachtens die Strandlandschaft "Steilküste" aus dem Jahr 2012. Ein kleines Bild mit großer und malerisch klug herbeigeführter Wirkung. Was sehen wir? Blaugrau ist der wolkenverhangene Himmel, reglos die bleierne See. Grau sogar der Strand und grau die Felsen der Steilküste. Das sparsame Einarbeiten weißer und gelber Farbflächen bewahrt das Bild vor der völligen Leblosigkeit. Im Hintergrund ist durch eine tannengrüne Fläche, unkonturiert und offenbar weit weg, ein Stück Wald angedeutet. Trostlos scheint die Szenerie allemal: Ein komplett karges und lebensfeindliches Stück Natur. Und dann? Ein Mensch. Ein winziger Mensch, der die Bildmitte soeben durchquert hat, auf dem Weg zu einem wartenden, aber ebenfalls in schwarz optisch ganz zurücktretenden Partner. Im satten Rot von Hut und Regenmantel trägt er oder sie die Farbe des Lebens. Inmitten der desinteressierten, abweisenden und völlig selbstgenügsamen Natur stellt diese eine menschliche Figur im Zentrum das grundsätzlich Andere dar. Nun kann man getrost fragen: Warum trägt der Spaziergänger eigentlich rot und nicht gelb? Für einen Strandspaziergang bei wolkenverhangenem Himmel ist die klassische Regenbekleidung, der "Friesennerz", bekanntlich gelb. Und in der Malerei ist jedes Element und insbesondere die Farben doch bewußt gesetzt. Also: Warum ist die Farbe des Menschen hier das Rot? Ich würde sagen: Weil das Rot die Komplementärfarbe zum Grün des fernen Waldstücks am Steilhang ist. Wir müssen also zum Thema "Wald" noch einmal ausholen: Die Idee des "Waldes" kann in der deutschen Kultur seit der Romantik etwas Anheimelndes, nicht mehr nur Spukiges haben. Denken Sie an Eichendorffs Gedicht: "O Täler weit, o Höhen", in dem der "schöne grüne Wald" zum Inbegriff der Heimat und des Schutzes vor der "fremden, geschäftigen Welt" wird. Wie sieht das im Strandbild von Dieter Weidenbach aus? Dem Menschen, der hier die Farbe Rot ins Bild bringt, steht das Grün des Waldstückes mit seiner Komplementärfarbe nicht zur Seite, der Wald umfängt den Menschen nicht mit seinem Schutz, sondern steht ihm wie das bleierne Meer, der nackte Fels und - ja, auch der drückende Himmel entgegen. Sogar der Wald also hat die Seiten gewechselt und sich auf die Seite einer abweisenden Umwelt geschlagen. In ihrer Komplementarität noch zum Grün dieses Waldstückes symbolisiert die schlanke, schutzlose Gestalt in meinen Augen hier die Menschlichkeit schlechthin: Der Mensch ist klein, aber durchaus belastbar. Je nach Stimmungslage kann dieses Bild vermutlich deprimieren oder auch Hoffnung und Zuversicht geben: Zuversicht in die Zähigkeit des Menschen, die ihm über schwierige Situationen hinweg hilft. Ich glaube, zu Dieter Weidenbach paßt eher letzteres.
Schauen wir an die Wand gegenüber - immer noch im kleinen Wartezimmer, das Bild mit den Segelbooten, finde ich persönlich auch sehr gelungen, rein optisch, ohne es mit Bedeutung aufzuladen - die Reduzierung der Formen in den Segeln und der Küstenlandschaft, die Reduzierung der Farben, die eine leichte Verfremdung von Strand und Landschaft mit sich bringt, aber doch auch an die Veränderung der Farben im wechselnden Sonnenlicht gemahnt. Das forsche Durchziehen von Linien wie die der Wasseroberfläche, die dadurch unter den anderen Formen noch hindurchscheint.
Kommen wir nun zu den großen italienischen Landschaften hier im Empfangsraum. Sie nehmen auf den ersten Blick ein, mit ihren kräftigen Farben und dem massiven Farbauftrag. Geschickt werden wiederum die Komplementärfarben eines sich entziehenden Blau und eines warmen, entgegenkommenden Orange eingesetzt. Sofort ein Hingucker. Dennoch vermögen die Bilder unsere Blicke auch zu fesseln. Wie geht das? Da ist zunächst das Format, das abweicht von üblichen Bildermaßen. Es ist quadratisch und wir spüren, daß das ungewohnt ist und dennoch in diesem Fall haargenau paßt. Denn es nimmt die kubische Form der toskanischen Häuser auf, die den Bildinhalt dominieren. Ein interessantes Aperçu bietet die "Villa Romana Florenz" von 2007. Wir sehen eine kleine Reihe von Häusern inmitten runder Hügel. In verfremdeten Farben lassen sie unterschiedlichen Bewuchs oder unterschiedliche Beleuchtung assoziieren. Was aber ist das eigentlich Interessante an genau diesem Bild? Sicherlich ist Ihnen die Toreinfahrt aufgefallen, die den unteren Bildrand abschließt. Zwei Figuren bewachen die vermutlich schmiedeeisernen Flügel, die den Weg zum mauerbewehrten herrschaftlichen Anwesen versperren. Zwei Kreuze bekrönen die Stäbe der Statuen und weisen sie als wie auch immer genauer zu bestimmende christliche Figuren aus. Mehr können wir nicht sagen, denn wir sehen diese Figuren nicht en face, sondern wir sehen ihren Rücken. Ganz offenbar befinden wir uns im Innern des Hauses, das die Mauern umschließen. Statt des ausgeschlossenen, touristischen Blickes von draußen auf das herrschaftliche Anwesen zeigt Weidenbachs Bild den Ausblick der Bewohner und Gäste vom Herrenhaus aus hinaus in die umgebende Landschaft und Ortschaft. Ganz unauffällig und en passant scheint uns Dieter Weidenbach damit zugleich zeigen zu wollen, wo er sich selber sieht - tatsächlich war er in der Villa Romana häufiger zu Gast.
Werfen wir noch schnell einen Blick in den Flur - verschiedene Aktmalereien, die sich eigentlich von selbst erschließen, hinweisen möchte ich auf die kleine Marionette, die die ein bißchen nach Jost Heyders Figuren aussehende Tänzerin mit der rechten Hand führt. Diese kleine Figur ist wirklich sehr gelungen!
Die Engel fallen optisch ganz aus der restlichen Ausstellung heraus. Anfang der 90er Jahre malte Weidenbach eine umfangreiche Serie von Golfkriegs-Bildern. Grelles Karminrot mit verkohlten Leichen. Um sich von diesen Werken zu erholen, malte er im Anschluß eine Reihe Engel. Ganz wohl sehen auch sie nicht aus - abgemagert und überanstrengt, ratlos und etwas unschlüssig, aber letztlich doch unangefochten in der Symbolik ihrer goldenen Pracht, der für uns faßbare Abglanz des Ewigen Lichtes, vor kostbarem ultramarinblauem Hintergrund - trotz allem die Abgesandten eines Gottes, dessen Gegenwart so viele von uns bezweifeln. Speziell zum Glauben an Engel aber bekennt sich Dieter Weidenbach seit Jahrzehnten.
Soviel von meiner Seite, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.
Dr. Cornelie Becker-Lamers, Weimar