Der gläserne Pantoffel
Wolfgang Nickel. Märchen in Glas
In den letzten drei Jahrzehnten hat sich der Glaskünstler Wolfgang Nickel durch Objekte, figürliche Darstellungen und großflächig-abstrakte Buntglasfenster international einen Namen gemacht. Von seiner Ausbildung an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein her Maler und Grafiker, kombiniert Nickel - mit einem bemerkenswert eigenständigen künstlerischen Blick auf mögliche Motive - Zeichnung, Farbverläufe, Schriftgestaltung und seltene traditionelle Handwerkstechniken, um von der historischen Grundrißzeichnung bis zum digitalen QR-Code, vom interpretierenden Gedichtzitat bis zum symbolträchtigen Kirchenfenster alles ins gläserne Bild zu setzen. Die vorherrschende Technik für die Wandbilder, die auch die Ausstellung der "Märchen in Glas" im Literaturmuseum Theodor Storm bestimmen, ist das sogenannte glasfusing. Bei dieser Glasverschmelzung entsteht auf einem zuvor zum Relief strukturierten Flachglas in mehrfacher Bemalung und mehreren Brennvorgängen eine komplexe Bildaussage aus durchscheinenden, einander überlagernden Motiven und z.T. auch lesbarer Schrift.
Nach seiner Grafikserie zu den Kunstmärchen Ludwig Bechsteins aus den Jahren 1987-2011 hat sich Wolfgang Nickel nun erneut dem Märchenthema zugewandt. Auf Anregung und in enger Abstimmung mit der Weimarer Literatur- und Kunstwissenschaftlerin Dr. Cornelie Becker-Lamers schuf er 2021 Serien zu den Kernmotiven sowohl der beliebtesten Zaubermärchen aus der Sammlung der Gebrüder Grimm als auch zu Motiven aus Theodor Storms in Heiligenstadt entstandener Erzählung "Die Regentrude" (1864).
Zu beiden Themenkomplexen - zu den Zaubermärchen sowie zur "Regentrude" im Kontext des Stormschen Märchenschaffens - wird Cornelie Becker-Lamers im Rahmen der Ausstellung vortragen. Ihre Ausführungen stellen die Theorie von den "historischen Wurzeln des Zaubermärchens" (Vladimir Propp) vor, die die Erzählbausteine der Märchen als Relikte einst gelebter ritueller Praxis lesen. Diese Deutung neben den üblichen sozialhistorischen und psychoanalytischen Interpretationen verleiht den Märchenstoffen eine ganz eigene Tiefe.
Die Vernissage führt in das Schaffen Wolfgang Nickels ein und stellt eine besondere Lesart des Dornröschen- und des Rotkäppchenstoffes vor. Der Vortragsabend am 1. Dezember 2021 führt am Beispiel der "Regentrude" in das Märchenschaffen Theodor Storms ein. Es besteht die ganze Ausstellungsdauer hindurch die Möglichkeit, Kunstwerke Wolfgang Nickels zu erwerben.
Dr. Cornelie Becker-Lamers