Künstler aus Trier
Rede zur Ausstellungseröffnung
Ausstellung im Weimarer Kunstkabinett anlässlich der 20jährigen Städtepartnerschaft, 16. November 2007
Herr Oberbürgermeister, Frau Stadträtin Scheurer, sehr geehrte Frau Ruschel, Herr Eckard,
meine Damen und Herren,
vier Künstler aus Trier stellen in Weimar aus, um gemeinsam mit uns das 20jährige Bestehen der Städtepartnerschaft zu feiern und Anregungen zurückzugeben, die von Weimarer Künstlern im Frühjahr dieses Jahres nach Trier getragen worden waren. Aus Trier sind zu Gast der Bildhauer Guy Charlier und die Malerkollegen Ulrich Lebenstedt, Horst Schmitt und Claas DS Steinmann. Die Aufzählung war alphabetisch und sollte keine Wertigkeit suggerieren. Deshalb zäume ich jetzt das Alphabet auch von hinten auf und fange mit den Werken Claas Steinmanns an.
Sinn und Verstand heißt die Serie, aus der die vier Zeichnungen eines Halbkreises, eines Parallelogramms, eines Bogens und einer Ellipse gezeigt werden. Es sind Arbeiten in Mischtechnik auf Buchbinderpappe – einem in sich schon strukturierten und haptisch ein wenig widerspenstigen Werkstoff. Die Veränderung und Verfärbung, die der Malgrund im Laufe der Zeit unweigerlich erfahren wird, ist von Beginn an ins Werk hineinkonzipiert. Die Mischtechnik tut ein übriges, um optisch zu irritieren: Über pastellfarbene Tropfen von Acryl und Tempera legt sich ein Bleistiftfilm, dessen Strich sich je nach Untergrund von selbst verändert. In der Schattierung, die so entsteht, wird aus dem freien zeichnerischen Duktus heraus eine geometrische Grundform gesetzt – nachempfunden sollte man wohl am ehesten sagen. Denn die optische Täuschung, die den Zeichnungen vollends den Eindruck dreidimensionaler Objekte beschert, beruht in der geometrisch exakten Form, die der freien Zeichnung nachträglich wie ein Korsett angelegt wird. Nicht immer passen freier Duktus und Geometrie rückstandslos ineinander – das Sinnliche und der Verstand ergänzen sich, ohne einander ersetzen zu können.
Die Ellipse leitet zu einem weiteren Themenschwerpunkt der Arbeiten über. Es ist eigentlich eine architektonische Zeichnung, die die selektive Wahrnehmung des Menschen thematisiert. Vorbild ist das runde Fenster einer venezianischen Basilika, das, von unten aus dem Stand betrachtet, perspektivisch zur Ellipse zusammengestaucht wird. Die Ellipse gehört somit ebenso zu der Werkreihe der architektonischen Bruchstücke – den Palladien und dem Torbogen hier. Alle Vorbilder der Zeichnungen stehen in Venedig. Die abgebildeten Objekte sind stark reduziert. Die Reduktion lässt aber diejenigen Bauteile hervortreten, auf die unser Blick sich in der Regel konzentriert – das Kapitell einer Säule, die Überbauung eines Tordurchgangs. Der Gegenstand bleibt trotz seiner Reduktion erkennbar, da wir auch in der Realität nicht fotografisch sehen, sondern uns selektiv auf bestimmte Reize konzentrieren. (Für diejenigen unter Ihnen, die sich für Semiotik interessieren, sei daran erinnert, daß die Zeichnungen somit genau das sind, was Umberto Eco als ikonische Zeichen definiert: Zeichnungen, die nicht in irgendeiner mystischen Ähnlichkeitsbeziehung zum Objekt stehen, sondern die das Wahrnehmungsmodell reproduzieren, das wir von einem Gegenstand haben.) Sie merken – die Arbeiten von Claas Steinmann sehen alle so harmlos aus, haben es aber auf den zweiten Blick ‚faustdick’ hinter den Ohren. Die beiden isometrischen, also nicht perspektivischen Ellipsen konzentrieren die Darstellung noch einmal auf die optische Täuschung.
Kommen wir zum Werk, des Vorsitzenden des Trierer Kunstvereins, Horst Schmitt. Horst Schmitt kommt ursprünglich von der Dekorationsmalerei her. Er betont immer wieder, daß er sich in seinen Bildern eine Kunst ohne tiefere Deutungen und Symbolisierungen wünscht. Eine assoziationsfreie, absolute Kunst, die immer wieder aufs neue das Zusammenspiel und Zusammenpassen von Flächen und Farben im Bildraum auslotet. Wir kennen dieses Bestreben von der Konkreten Kunst her. Die Konkreten Künstler thematisieren Farbe und Form befreit von ihrer mimetischen Abbildfunktion. Sie suchen nach verbindlichen künstlerischen Regeln und Gesetzmäßigkeiten, nachdem das Prinzip der möglichst realistischen Abbildung der äußeren Wirklichkeit von der Fotografie übernommen worden war. (Sie wissen, daß Aleksandr Rodschenko 1921 drei monochrome Leinwände ausstellte und verkündete, das letzte Bild sei gemalt. Es ist der Zeitpunkt des Endes des Tafelbildes, welches natürlich längst zurückgekehrt ist.) In der Folge – in den 20er Jahren – testen Künstler wie Johannes Itten, aber auch Piet Mondrian und andere, die Wirkung von Farbflächen im Bildraum aus. In seriellen Arbeiten der 50er Jahre wurden von Künstlern wie etwa Richard Paul Lohse regelrechte Versuchsreihen durchgeführt zur Farbwirkung unterschiedlich abschattierter benachbarter Quadrate. Strenge und akkurate Geometrie gehören immer zum Konzept der Werke Konkreter Kunst. Genau an dieser Stelle allerdings durchbricht Horst Schmitt die Tradition der Konkreten. Quadrate sind in seinen Bildern eben nie wirkliche Quadrate, Linien keine geraden Linien. Überlappungen, Scharten und Wucherungen lassen jede geometrische Figur in seinen Bildern zu einer individuellen Form geraten. Ecken werden gekappt, die Formen stören sich gegenseitig, indem eine sich vor die andere drängt. Die abstrakte, rein formelle Kunst erhält so ein abwechslungsreiches Gesicht zurück. Die reine Ästhetik geometrischer Formen verliert im Getümmel des Bildraums gewissermaßen ihre Unschuld. Keine Form, keine Farbe ist vor der anderen sicher oder könnte sich völlig heraushalten.
Ulrich Lebenstedt ist Maler und Bildhauer und hatte seinen Arbeitsschwerpunkt über Jahrzehnte in der Kunst am Bau. Keramikarbeiten, Mosaike, dreidimensionale Objekte, Gestaltungen von Kirchenräumen, Wandgestaltungen – dies sind die Referenzen, auf die er verweisen kann. Das breite Spektrum der von ihm beherrschten Techniken in der keramischen Gestaltung, der Fliesen- und Mosaikarbeiten lässt das kubistische Element in seiner Malerei unmittelbar verständlich werden. Das Zerbrechen oder Zerlegen der gewohnten Form, die dann aus kleinen geometrischen Teilen im Bild neu zusammengesetzt wird, ist eine mögliche Ausdrucksweise in der Kunst der Moderne, um der zerfasernden Welt künstlerisch zu begegnen. (Sie wissen, die ersten anderthalb Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts entzogen den Menschen auf allen Gebieten gewissermaßen den Boden unter den Füßen: Im Ersten Weltkrieg zerbrach in Europa die jahrhundertealte Staatsform der Monarchie, 1905 publizierten Albert Einstein die Relativitätstheorie und Max Planck die Quantenmechanik, also die beiden Werke der modernen Physik, die den geometrischen Raum um uns und die Berechenbarkeit der Materie in Frage stellen, und Siegmund Freud veröffentlichte mit der Traumdeutung seinen ersten großen Nachweis, daß das Bewusstsein von einem Unbewussten gesteuert wird, das wir nicht willentlich beeinflussen können: Das Weltbild der Menschen gerät also auf allen Ebenen – bis in den Menschen hinein – ins Wanken. Der Kubismus ist eine der künstlerischen Reaktionen auf diese Erkenntnisse.) Werktitel von Zeichnungen Lebenstedts wie „Alte Zeiten“ oder „Abbau West“ halten in der Tat die Deutung seiner Werke in Richtung Zeitkritik offen. Der Künstler selber allerdings beschreibt die Entstehung seiner Arbeiten allein aus der gegenseitigen Befruchtung verschiedener künstlerischer Techniken heraus: Die Erfahrungen aus der Arbeit mit Keramik, Wandgestaltung und Mosaik überträgt Lebenstedt hier auf die Leinwand. Das kubistische Werk wäre dann schlicht ein gemaltes Mosaik. Wichtig ist die gestaltete Fläche. Farb- und Lackreste, Glasscherben und andere Fundstücke werden nach Art einer Collage zunächst unter rein ästhetischen Gesichtspunkten zusammengestellt. Die Form beispielsweise eines Stillebens erhält das Werk im letzten Schritt, wenn durch Lackstifte die Bleifassung bunter Glasfenster nachempfunden wird. Die Zerstückelung einer intakten Form wäre nicht der künstlerische Antrieb, sondern die Form entsteht allererst durch das Komponieren von Farben und materiellen Versatzstücken.
Und damit nun endlich zu den Skulpturen von Guy Charlier: Denis Vaginay hat sie als „visuelles Oxymoron“ bezeichnet. „Oxymoron“ ist ein Begriff aus der Rhetorik und meint die Verbindung von Gegensätzen. Charliers Werk also – die Veranschaulichung einer Verschmelzung von Gegensätzen. Was sind diese Gegensätze? Charlier scheint von der Lust getrieben, kontradiktorische Elemente arbeitend einander anzunähern, bis aus ihrer optischen Verbindung ein neuer Sinn entwächst – ein neuer Sinn der Materialität. Denn das Material birgt Sinn in sich. Charlier verbindet das Holz dem Stahl, der Bronze den Kalkstein. Es sind die urtümlichen Materialien der ersten Werkzeugmacher, von denen wir wissen. Und jedes Material birgt für uns die Assoziationen einer langen Zeit seiner Verarbeitung und Verwendung: Stein – das ist der Handkeil, das Schabewerkzeug, mit dem die Frauen Tierhäute für Bekleidung und Zelte bearbeitet haben. Metall – das ist der erste Wurfspieß, der für die Männer das Jagen sicherer machte und die Ernährungssituation der Familien verbesserte. Holz – das ist das Haus, das alle schützte. Bronze – das ist der Schmuck, in dem man Feste feierte, aber auch soziale Rangordnung sichtbar machte. Die Skulpturen Guy Charliers verbinden diese urvertrauten Materialien in figürlichen Statuetten oder Büsten. Die verschwommenen Konturen lassen die Figuren wie aus der Tiefe des Traumes zu uns sprechen: Die Zeit scheint ihnen eingearbeitet zu sein: eine Zeit, die vergangen ist und eine Zeit, die kommen und die das Material überdauern wird. Die Verschwommenheit belässt im Ungewissen, ob die Statuetten bereits verwittern, oder ob sie allererst im Entstehen begriffen sind.
Ich wünsche Ihnen eine angenehme und anregungsreiche Zeit im Dialog mit den Künstlern und mit den Kunstwerken und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Dr. Cornelie Becker-Lamers, M.A., Weimar