Beate Debus. Stabile Dynamik. Skulptur, Relief, Zeichnung

Rede zur Ausstellungseröffnung

Ausstellungshalle Neues Rathaus Bayreuth, Mittwoch, 1. März 2023, 18 Uhr

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrter Herr Esser,

liebe Beate Debus, sehr geehrte Damen und Herren,

es freut mich, daß Beate Debus auch in Bayreuth schon keine Unbekannte mehr ist. Durch ihre internationalen Ausstellungsbeteiligungen, ihre langjährige Präsenz auf der Kunstmesse art Karlsruhe oder der Skulpturentriennale Bad Ragaz hat Beate Debus in der Tat ja auch bereits international einen Namen. Aus der Thüringer Kunstlandschaft ist sie nicht wegzudenken. Was auch damit zusammenhängt, daß sie einfach seit Jahrzehnten konsequent und durchgängig ihre künstlerische Arbeit macht.

Die in Eisenach geborene Beate Debus begann vor 50 Jahren ihre Ausbildung zur Holzbildhauerin in Empfertshausen und studierte im Anschluß Holzgestaltung bei Hans Brockhage an der Fachschule für Angewandte Kunst in Schneeberg - beide Schulen ausgewiesene Künstlerschmieden der DDR. Schon 1980 wurde sie in den Verband Bildender Künstler aufgenommen und lebt seither als freischaffende Bildhauerin und Grafikerin in Südthüringen. Wiederholt erhielt sie Arbeitsstipendien und wurde durch verschiedene Auszeichnungen und Preise geehrt.

Die Kunst von Beate Debus ist durch eine sehr charakteristische Handschrift geprägt. Die Künstlerin hat zu einem unverkennbaren eigenen Stil gefunden, aller Varianz der künstlerischen Techniken und Materialien zum Trotz - Sie sehen hier ja nicht nur Skulpturen, sondern auch die vorbereitenden Handzeichnungen, Holzschnitte, Collagen mit Pergament und Wandreliefs. Debus arbeitet vor allem in Holz, aber auch in Bronze.

Sie hat sehr früh zu ganz typischen Farbgebungen gefunden - wiederum aller Varianz zum Trotz, die das bei Debus klassische schwarz-weiß in der Körperthematik durch Röthel, in der Naturthematik durch Gelb ergänzen kann. Und wiederum trägt die Farbgebung durch die verschiedenen Materialien hin durch.

Beate Debus hat aber vor allem - und damit kommen wir zu den inhaltlichen Aspekten im Werk - zu einer ganz konsequenten Arbeit an ihren künstlerischen Fragestellungen gefunden. In jeder ihrer Schaffensphasen gelingt ihr eine solche Engführung der künstlerischen Thematik, daß die untereinander dann verwandten Werke sich im Grunde gegenseitig interpretieren. Und das gilt tatsächlich nicht nur für die vorbereitenden Zeichnungen und Reliefs, die mit den hernach ausgeführten Skulpturen korrespondieren und diese vor-bilden. Es gilt innerhalb einer Werkgruppe auch für die Skulpturen untereinander.

Um diesen sehr allgemeinen Einstieg zu unterfüttern, lassen Sie uns gemeinsam die verschiedenen Schaffensphasen der Künstlerin betrachten und das jeweilige Erkenntnisinteresse benennen.

Ausgehend von der figürlichen Bildhauerei, abstrahiert Beate Debus seit Mitte der 90er Jahre von der abbildhaften Arbeit und wendet sich - sagen wir ruhig erstmal: Paardarstellungen zu. Die Idee des 'Paares' drängt sich dabei allerdings zunächst nur durch die Werktitel auf, die sehr oft den Begriff "Tanz" beinhalten und ihn durch Adjektive und Komposita jeweils unterschiedlich konkretisieren: hier in der Ausstellung etwa "Schattentanz", "Opfertanz" und "Konzentrischer Tanz". Die Werkreihe hat zahlreiche weitere Beispiele hervorgebracht. Die Zweiheit jeder dieser Skulpturen ist allein aus der bereits angesprochenen Farbgebung überhaupt zu erkennen, nämlich an der Zweifarbigkeit aus schwarz und weiß. Die Reduzierung der Körperformen ist so radikal, daß nur die Arme und Beine der Figuren in Erscheinung treten. Rumpf und Kopf kommen nicht vor. Sie können vom Betrachter nur gedanklich ergänzt werden, als Treffpunkt der raumgreifenden Extremitäten. Die 'Paare' sind vollständig auf ihren Bewegungsapparat reduziert.

Offenbar also geht es in der Werkreihe der "Tänze" nicht um die Paare, sondern ums 'Tanzen'. Die Paare sind nur relevant als Träger eines Bewegungsablaufs. Das Wort 'Tanz' suggeriert dabei die abgesprochene Choreographie und das Musterhafte eines eingespielten, wiederholbaren Ablaufs. Strenggenommen also werden nicht die Figuren dargestellt, sondern ihre Interaktion. Die "Tänze" betitelten Werke sind Momentaufnahmen der Bewegung zweier polarer Kräfte. Freiraum und Schutz, Schwäche und Standhaftigkeit, Kleinmut und Übermut, Überschwang und Balance sind existentielle Gegensatzpaare, denen die Kunst Beate Debus' Ausdruck verleiht. Die Gegenspieler können miteinander ringen, sich aber auch gegenseitig stützen und auffangen, aushalten und gegenhalten, sich überbeugen und den anderen einschließen, sich aufbäumen und aufrichten, stürzen und einander entfliehen.

Damit in den Doppelfiguren aber eine 'stabile Dynamik' entsteht, darf der Schwerpunkt der Gesamtskulptur sich nicht allzu exzentrisch verlagern. Beständig muß die Künstlerin im Schaffensprozeß ausloten, wie weit sie in den "Tänzen" die Schwerkraft austricksen kann, damit die Dichotomien ihre Energien zuverlässig ausbalancieren. Keine der beiden Seiten darf ein Übergewicht über die jeweils andere erlangen.

Die Thematik der Bewegung im Raum wird so auf die Problematik verschiedener Muster gesellschaftlichen Zusammenlebens hin durchsichtig. Die Skulpturen machen es sinnfällig: Der Ausgleich antagonistischer Kräfte ist das Geheimnis friedlicher Koexistenz.

Die beiden Pole der Skulpturen aber werden, ich sagte es schon, überhaupt nur erkennbar durch eine Zweifarbigkeit. Diese Zweifarbigkeit steht bei Debus immer, im gesamten Œuvre, vollständig im Dienst der Lesbarkeit der Werke. Denn auch die größten Skulpturen sind in einem Stück gearbeitet. Jedes Werk ist aus einem geschlossenen Baumstamm herausgesägt. Um die Dichotomien sichtbar zu machen, flämmt Beate Debus zunächst die ganze Skulptur ab. Nach diesem Zwischenschritt ist alles schwarz - nicht bemalt, sondern an der Außenhaut verbrannt. Die Teile des Gegenparts schleift Beate Debus hernach wieder ab und färbt sie mit Schlämmkreide ein: Die Skulptur erhält ihre charakteristische schwarz-weiße Zweigestaltigkeit, die - wie schon erwähnt - auch im Bronzeguß nachgeahmt wird (für den Außenraum gießt Beate Debus ausgewählte Skulpturen in Bronze, wegen der Witterungsbeständigkeit). Die Zweifarbigkeit ist somit konstitutiv für die Werkaussage.

Wie wir sehen, treten die Teile der "Tänze"-Paare uns nicht als individuelle Gestalten gegenüber. Gleichwohl ist der Ursprung von Verhaltens- und Bewegungsmustern durchaus in individuellen psychischen Vorgängen zu finden. Und so erweitert sich das künstlerische Erkenntnisinteresse von Beate Debus vor etwa 15 Jahren. Zur Darstellung äußerer Bewegung tritt die Suche nach der Darstellbarkeit innerer Bewegung hinzu. Eine Serie von "Kopf"-Darstellungen nimmt ihren Anfang und kurz darauf auch die "Kreuz"-Thematik. Von den "Köpfen" ist keiner mit hier in Bayreuth, aber ich möchte die Charakteristik dieser Werkreihe dennoch in drei Sätzen schildern. So erlangen Sie ein besseres Bild des über die Jahrzehnte hinweg so stringent entwickelten Œuvres von Beate Debus. Die "Köpfe" also: Stirnen und Augen sind überbetont, durch farbliche wie durch formale Absetzungen. In ellipsoiden Wölbungen scheint ein Gedanke oder Handlungsimpuls nach außen zu drängen. Die "Köpfe" machen sichtbar, daß widerstreitende Kräfte auch in einem einzigen Menschen gegeneinander arbeiten können. Die verschobenen Gesichtszüge der Kleinskulpturen verweisen auf die innere Erregung, die der Ursprung der äußerlich wahrnehmbaren Aktivität ist.

Auf der Suche nach dem Ursprung von Bewegung gelangt Beate Debus nicht nur zu den gedanklichen Vorgängen im Kopf, sondern auch ins Innere der Körper. In einer Betonung von vertikalem und horizontalem Stamm schält sich aus einem Torso eine Kreuzesform heraus, die auf das innere Gerüst des menschlichen Körpers verweist: Wirbelsäule und Schultern.

Wie in den "Köpfen" die auffallende Wölbung einer Stirn auf die nach außen drängenden Gedanken verweist, so zeigen die Kreuzes-Torsi zum Teil eine innere Bewegung, die den Körper förmlich zerreißt. Sichtbar wird ein Kreuz, bei dem in der Schwebe bleibt, ob es den Körper wie ein Keil auseinandertreibt oder ihn als Stütze von innen zusammenhält. Mal scheint das Kreuz hinter Rippen hervor und wird zum tragenden Element der Figur. Mal kann es, zum Winkel verkürzt, aber auch den Körper sprengen, zum 'T' verkürzt wie ein Joch den Körper gerade nicht stützen, sondern als Last niederdrücken.

Auch diese Werkreihe bildet Debus in Wandreliefs und Zeichnungen vor. Auch hier gliedert wieder eine Zweifarbigkeit von schwarz und weiß die Vielschichtigkeit der Gesamtgestalt - gut zu sehen in den Wandreliefs. In der Regel ist das Kreuz, der Keil, der Winkel das schwarz Abgesetzte. Das Rot kann in dieser Werkreihe - durchaus mit dem Verweis auf die Farbe des Blutes, sprich der Verletzlichkeit - allerdings hinzutreten.

Grundlegend für das Erscheinen des Kreuzes in seiner Ambivalenz - Verbindung oder Keil, Stütze oder Joch - ist die Janusköpfigkeit der Öffnung selbst. Die Doppeldeutigkeit des Raumes in ihren Skulpturen betont Beate Debus in etlichen Gesprächen über ihre Kunst. Das Wesentliche an ihren abstrakten Figuren ist tatsächlich der freie Raum: der Abstand zur Wand, bei den freistehenden Skulpturen der Innenraum, der eigene Raum, den die Körper für sich beanspruchen.

Denn der freie Raum ist ja die Voraussetzung von Bewegung: der freie Raum, der es möglich macht, Abstand zu halten oder aufeinander zuzugehen. Die Schaffung eben dieses Raumes aber wird von der Künstlerin immer auch als Verletzung reflektiert, nämlich als Verletzung des geschlossenen Baumstamms, aus dem sie ihre Skulpturen herausschält. Platz und Öffnung zu schaffen, stört oder verletzt einen geschlossenen Raum.

In jüngster Zeit wendet sich Beate Debus Landschaften zu. Der künstlerische Schaffenstrieb geht scheinbar ganz weg von der menschlichen Gestalt, ganz weg vom Raum schaffen und Raum erobern - hin zur offenen Weite. Das heißt aber nicht, daß nicht doch auch bekannte Themen in diese Motive mit hinübergenommen würden. Hatten die "Köpfe" bereits nach der Sichtbarmachung des Unsichtbaren gesucht - nämlich der Sichtbarmachung des Gedankens als Ursprung der Bewegung -, so geht die nach wie vor im Entstehen begriffene Serie von Landschaftsdarstellungen diesen Weg weiter. Wieder bestimmen zunächst Zeichnungen, Gouachen, Collagen, Prägedrucke und Reliefs die Suche nach dem passenden künstlerischen Ausdruck: Nach der Sichtbarmachung des Lichts auf den Feldern, nach der Sichtbarmachung des Windes, also der Bewegung der Luft als Ursprung der Bewegung von Bäumen und Sträuchern. Nach der Sichtbarmachung des Regens und der Stimmungen nach dem Wetterfrontendurchzug. Die Werke sollen die Landschaften jedoch nicht imitieren, nicht nur korrespondieren mit dem Vorhandenen. Sondern sie sollen uns Stimmungen und Zeitverläufe nachempfinden lassen. Dazu muß die Bildende Künstlerin versuchen, das Typische eines Naturphänomens zu erfassen und mit den Mitteln der Bildenden Kunst in ihr eigenes Medium zu übertragen. Nichts geringeres ist hier die selbstgestellte Aufgabe - eigentlich immer die Aufgabe der Kunst.

Was ist das Typische etwa an einem Regenschauer? Beate Debus läßt uns erkennen: Es ist der Rhythmus der Tropfen. Die in ihrem Werk schon bekannten Verfahren kommen auch nun in der Darstellung wieder zum Tragen: In der Kontrastierung von rauher und glatter Oberfläche etwa, von Rasterung und geschliffenen Teilen markiert die Künstlerin auch in der Landschaftsserie wieder die 'Paare' der Begegnung. Den ruhenden Hügel und die ausgesendeten Strahlen - seien sie aus Wasser, seien sie aus Licht ("Lichtregen"). Die bauchigen Wolken, die sich auf runde Berge herabsenken. Ähren oder Sträucher, die in mehr oder weniger geordneten Rhythmen aus dem lehmigen Boden empor und dem Himmel entgegenwachsen. Und schließlich die Äste der Bäume, die in ihrer Zweifarbigkeit den Umarmungen der Menschen ähneln: Raum greifend und Raum schaffend.

Ich wünsche Ihnen einen interessanten Abend und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Dr. Cornelie Becker-Lamers, Weimar