Beate Debus. Kopf. Skulptur - Relief - Zeichnung

Rede zur Ausstellungseröffnung

Galerie Profil, Weimar, Lange Nacht der Museen, Samstag, 21. Mai 2011

Sehr geehrte Damen und Herren,

Beate Debus und das Thema Kopf. – Man liest es und stutzt. Beate Debus: Ist das nicht die Bildhauerin mit den großen, schlanken Holzskulpturen, die in abstrahierendem Materialfluss immer wieder den Raum des menschlichen Körpers auszuloten scheinen – Bewegungen von Armen und Beinen, gedrehtem Rumpf, belasteten Schultern – aber eben Bewegungen immer von einem Spannungspunkt in der Skulptur aus – eben immer gerade ohne Kopf?

Genau, das ist Beate Debus, wie wir sie morgen im Park des Dorotheenhofes wieder neu kennen lernen werden. In der Tat treffen wir dort auf keine Skulptur mit Kopf. Es ist, als hätte die Künstlerin nach frühen figürlichen Torsi und Paardarstellungen den Kopf einer Skulptur immer ausgespart – um sich diesem komplexesten und in der Kunstgeschichte so vielfach schon nachgebildeten und nachempfundenen Teil des menschlichen Körpers nun gesondert und mit ungeteilter Aufmerksamkeit zu widmen.

Köpfe finden wir als Götzenbilder und Idole schon in prähistorischer Zeit. Die individualisierte Portrait-Darstellung berühmter Persönlichkeiten – Aristoteles, Caesar Augustus etc. – tritt diesen Skulpturen in der Antike zur Seite. Es folgt eine Flut von Herrscher-Konterfeien durch die Jahrhunderte. Wer immer Rang und Namen und das nötige Kleingeld hatte, ließ sich im gemalten oder eben auch gegossenen oder in Stein gehauenen Abbild verewigen. Relevant war es, insbesondere in der Antike, für den Ahnenkult, den man, die einzelnen Köpfe abschreitend, pflegte. Daraus folgt, daß die Büsten möglichst portraithaft individualisiert und hinreichend unterschiedlich zu erscheinen hatten. Die idealisierende Nachbildung des Menschen war das Ziel dieser Bildhauerkunst.

Der mimetische, nachahmende Zugriff gilt, wenn auch nicht uneingeschränkt idealisierend, grosso modo bis ins Werk des 1917 verstorbenen Auguste Rodin (*1840). [Vgl. etwa seine nicht im herkömmlichen Sinne idealisierende Büste des Bildhauers Jules Dalou, aber auch die nicht auf dem Sockel, sondern auf der Plinthe stehenden, verzweifelten Bürger von Calais]. Den Schritt zur Abstraktion in der Darstellung insbesondere des menschlichen Kopfes vollzog der gut eine Generation jüngere Constantin Brancusi (1876-1957) etwa zeitgleich mit dem nur wenig jüngeren Picasso (1881-1973). Von der kubisch in Stein gehauenen „Kuss“-Darstellung Brancusis geht ein neuer künstlerischer Schaffenstrieb wie eine Lawine aus. Künstler wie Picasso, Julio González, Naum Gabo, Oskar Schlemmer oder Hans Uhlmann schreiten in den folgenden zwei-drei Jahrzehnten den Raum der Abstraktion und Verfremdung im Grunde vollständig aus: Von der Kombination von Eisenplatten über einfache oder komplexe Drahtgeflechte bis hin zur gänzlichen Geometrisierung der Gesichts- und Kopfdarstellung unter dem Einfluss der Bauhaus-Ästhetik werden Kopf und Gesicht auf ihre Grundformen reduziert. Das jeweils treffendste Schema der Darstellung wird gesucht – oder, um es mit einem Ausdruck der damaligen Kunstwelt zu formulieren: Man sucht nach der „Maske“ als dem Allgemeingültigen des menschlichen Gesichtes oder Kopfes (Picasso). Denn auch der Einfluss außereuropäischer Kulturen und ihrer Kunst kann für diese Zeit gar nicht tiefgreifend genug eingeschätzt werden. Picasso belagerte förmlich über Wochen das Völkerkundemuseum Paris, weil ihn der Anblick der dort präsentierten afrikanischen Totemmasken nicht loslassen wollte. In der Überindividualität und Sakralität der Ahnenmaske schien der menschliche Wesenskern greifbar, den die Kunst sichtbar machen wollte.

Das ist der Horizont, den Beate Debus beim Betrachter aber auch bei sich selber immer mit reflektieren mußte, wenn sie sich in ihrer künstlerischen Arbeit in den vergangenen zwei Jahren mit dem Thema des menschlichen Kopfes auseinandergesetzt hat. Aus ihren großen abstrahierten Körpertorsi kennen wir das ständige Ringen um die Darstellbarkeit von Bewegungsabläufen. Dieser Gesichtspunkt lässt Debus auch in ihrer Arbeit am Kopf nicht los. Von hier aus werden die Bewegungen schließlich gesteuert, die sich im körperlichen Agieren realen Raum verschaffen. Aber wie stellt man diesen Ursprung körperlicher Bewegung dar? Die Bewegung des Kopfes ist einerseits die Mimik. In der Suche nach Gefühlsregungen im Gesichtsausdruck wären wir bei der Arbeit am Portrait. Eine Darstellung individualisierender Züge läge nahe, die jedoch die Darstellbarkeit des Allgemeinen durchkreuzt.

Beate Debus sucht etwas anderes. Sie will in der Darstellung des Allgemein-Menschlichen bleiben. Ihre Kunst soll die Bewegungen des Geistes ebenso raumgreifend sichtbar machen, wie dies bei den Bewegungen der übrigen Körperteile möglich ist. So kommt es zu der Idee der ellipsoiden Wölbungen, aus denen der Stirnbereich der Köpfe wie zusammengesetzt erscheint. Ein Gedanke oder ein Impuls scheint nach außen zu drängen und die Grenzen des Körpers zu verschieben. Die Rundung der Teilformen steht in interessantem Kontrast zu den kubistischen Kanten, die die großen Körperskulpturen von Beate Debus bestimmen. Wir werden das morgen im Dorotheenhof wieder sehen. Die ellipsoiden Rundungen evozieren eben auch die Assoziation der Form der beiden Gehirnhälften, während die eckigen Bewegungen der Körperskulpturen an unser Skelett mit den starren Knochen und verbindenden Gelenken erinnern.

Die Wölbungen also – Sichtbarmachung von Bewegung im Kopf. Eben diese Suche nach der Veranschaulichung von innerer Bewegung weist aber auch den Augen eine besondere Bedeutung zu: Die Augen sind es, über die innere Erregung und Gefühle sich dem Gegenüber mitteilen. Nicht nur bei Kassandra, die als Seherin natürlich vor allem aus Augen besteht, nicht nur bei Kassandra sind die Augen in den Büsten und Zeichnungen in auffälliger Weise markiert: Wie eine venezianische Maske schiebt sich in den Darstellungen ein schwarzes Band über die Augenpartie der Gesichter. BlickverschobenAusblickVerblicktBlickbewegtBlickkontakt – Tiefer Blick – die Reihe der Werktitel zeigt, wie sich die künstlerische Intention Beate Debus auf die Rolle des Blicks konzentrierte. Wie „Schiffchen“, so sagt die Künstlerin selber, wie Schiffchen sind die Augen gestaltet, die die Grenzen des Individuellen sprengen und zu nie gesehenen Ufern aufbrechen.

In ihrer zum Teil an berühmte Werke Picassos erinnernden Anordnung – Profildarstellung mit vollständigem Augenpaar oder sowohl quer als auch längs des Gesichts verlaufende Augenpaare (hier nicht ausgestellt) – fallen die Augen ebenfalls aus ihren anatomisch abgesteckten Grenzen. Einigen Gesichtern fallen im Wortsinne die Augen aus dem Kopf. Die Kommunikation mit dem menschlichen Gegenüber zeigt die geprägte Mischtechnik Blickkontakt besonders gut. Die schwarze Farbe schafft hier eine Verbindung des linken Kopfes mit dem ins rechte Haupt verlagerten Auge. Es ist ein „eindringlicher“ Blick, dessen Zeugen wir hier werden, „eindringlich“ im wahrsten Sinne des Wortes.

Wir haben die Rolle der Farben schon nebenbei angesprochen. Wir kennen die kontrastierende Färbung in schwarz/ weiß von den Skulpturen Beate Debus. Der Kontrast, den das Flämmen und Schlämmen hervorbringt – also das Anbrennen des einen Teils, das Weißen mit Schlämmkreide eines anderen Teils der Skulptur – ist vielleicht das hervorstechendste Merkmal in der Arbeit von Beate Debus – das, was als Typisches schon nach der ersten Begegnung mit ihren Werken sofort im Gedächtnis haften bleibt. Beate Debus greift auch in den Kopfdarstellungen die Kontrastfarben – oder –unfarben – auf. Bezeichnen die naturbelassenen oder geweißten Abschnitte ihrer Torsi jeweils das Haltgebende, Haftende, aus dem das Geschwärzte in die Bewegung hinausdrängt, so sind auch in den Köpfen die Partien geschwärzt, in denen die Bewegung zum Ausdruck kommt: Die Augen. Die Maske zum Kreuz ergänzend, kann die Einfärbung der übrigen Gesichtsöffnungen – Nase und Mund – sowie der Linie zum „Dritten Auge“ hinzutreten. (Eine symbolische Bedeutung des Kreuzes ist über das Statische und Geometrische hinaus hier nicht mitgedacht.)

Lassen Sie mich noch einige Worte zum Formalen verlieren: Auch die Zeichnungen von Beate Debus sind – wie wir das von ihr kennen – in den Raum hinein gedacht. Durch Prägungen, Sie sehen es, werden auch die Zeichnungen leicht dreidimensional. Ich habe mich nach dem Prozedere erkundigt: Beate Debus schneidet hierfür eigenhändig feste Kunststoffplatten in den gebogenen Linien, die sie für ein Werk jeweils braucht. Die geprägten Teile sind eigentlich eine Art Maske unter dem Gesicht, eine Maske, die die Zeichnung von Grund auf vorstrukturiert.

Mit einigen Stichworten zur Biographie der Künstlerin möchte ich schließen: Beate Debus wurde 1957 in Eisenach geboren und begann schon mit 16 Jahren ihre Ausbildung zur Holzbildhauerin – ein ganz stringenter Lebensweg, wie man ihn selten findet! Es schloss sich ein Studium der Holzgestaltung in Schneeberg an, wo sie die Schülerin von Hans Brockhage wurde. Bereits seit 1980 ist sie als freischaffende Künstlerin von Thüringen aus tätig und hat in dieser Zeit zahlreiche Ausstellungen bestritten, Stipendien und Förderungen erhalten und wurde durch Auszeichnungen wie etwa den Kunstpreis der ART THÜR im Jahre 2000 geehrt.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen eine schöne Lange Nacht der Museen in Weimar!

Dr. Cornelie Becker-Lamers, Weimar