Beate Debus. Corpus

Rede zur Ausstellungeröffnung

Vertretung des Freistaates Thüringen beim Bund, Berlin, 7. November 2012, 19 Uhr

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich sehr, daß ich heute abend über Beate Debus zu Ihnen sprechen darf, denn Beate Debus gehört zweifellos zu Thüringens bekanntesten und profiliertesten Künstlerinnen. Entgegen dem äußeren Anschein - sie ist noch jung und tatkräftig - blickt Beate Debus auf eine fast vierzigjährige Erfahrung als Holzbildhauerin zurück. Fast 40 Jahre - das verdankt sich einem außergewöhnlich stringenten Lebensweg, der Beate Debus bereits als Jugendliche zur Holzbildhauerei führte, zunächst in einer Lehre, der sich ein Studium an der hierfür einschlägigen Hochschule der DDR in Schneeberg anschloß. Seit über 30 Jahren - seit 1980 - ist Beate Debus als freischaffende Künstlerin tätig - auch diese Zeitspanne spricht bereits für sich.

Erlauben Sie mir daher, zunächst eine Schneise zu schlagen in das zurückliegende Schaffen der Künstlerin und eine Entwicklungslinie aufzuzeigen, die uns die heutigen Exponate besser sehen, besser verstehen und besser einzuordnen helfen wird.

Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht für Beate Debus der Mensch, der menschliche Körper. Das ist von Beginn ihres Schaffens an so und bis heute ist dieses Erkenntnisinteresse unverändert. Was sich hingegen enorm wandelt, ist der künstlerische Zugriff auf dieses Grundthema. Bis in die 90er Jahre hinein bestimmen erkennbar weibliche Torsi bzw. die Schaffung zweier aufeinander bezogener menschlicher Gestalten die Kunst von Beate Debus. Schon das Frühwerk ist vom Kubismus inspiriert.

Ab Mitte der 90er Jahre wird die Darstellung immer abstrakter und löst sich von der Figürlichkeit. Ins Zentrum der Arbeit rückt nun mehr und mehr das Ausloten von Bewegungen zweier Körper. Freiraum und Schutz, Schwäche und Standhaftigkeit, Kleinmut und Übermut, Überschwang und Balance sind existentielle Gegensatzpaare, die nun in der Kunst Beate Debus' zum Ausdruck kommen. Titel wie "Aufbäumen" oder "Aushalten" verweisen hierauf. Und indem Beate Debus die eine Seite eines Gegensatzpaares in einer bestimmten Skulptur benennt, verweist die Skulptur ex negativo zugleich auf die vollständige Dichotomie. Denn ein "Aufbäumen" ist ja nur auf Basis einer festgegründeten Stabilität möglich, ein "Aushalten" nur auf der Grundlage geerdeter Balance, "Berührung" ist nur zwischen zwei Körpern oder zumindest zwei Teilen denkbar, "Unterbrechung" nur vor dem Hintergrund von Kontinuität. "Raumsprung" und "Aushalten" hier im Vorraum sind Wandreliefs noch ganz im Geist dieser Schaffensphase.

Darstellerisch fußt die Werkaussage bei Beate Debus von dieser Schaffensphase an auf der Zweifarbigkeit der Skulpturen. Das ist wirklich ganz zentral. Es ist das, was an Debus' Werk sofort ins Auge fällt und wohl auch das, was in der Regel sicherlich als typisch für dieses Werk im Gedächtnis bleibt. Die in jedem Fall aus einem einzigen Baumstamm per Kettensäge ausgesägten Gestalten werden zunächst geschwärzt - das passiert mittels Flämmen des Holzes - und hernach die hellen Teile wieder abgeschliffen und mit Schlämmkreide geweißt. Motiviert wird diese Farbgebung durch das Ringen um die Darstellbarkeit von Bewegung, der Darstellbarkeit von räumlicher Interaktion zweier Körper, Darstellbarkeit von handlungsmotivierenden Gegensatzpaaren in einer einzigen Skulptur. Denn die Farbgebung gliedert die Arbeiten und hilft dem Betrachter bei der Zweiteilung und Zuordnung der ineinander verschlungenen Teile eines Werkes.

Die Kunst von Beate Debus kreist um die Darstellbarkeit von Bewegung. Immer wieder begegnet uns das Wort Tanz - auch in der heutigen Ausstellung in den Zeichnungen "Kreuztanz", "Apokalyptischer Tanz" und im Vorraum der "Tanzende Corpus". Was bedeutet das, das Wort "Tanz"? Die Bewegungen bleiben spielerisch, Gesten, Berührungen und Haltungen gleiten nie ins Gewaltsame, sondern lassen den Körpern immer Eigenständigkeit und Würde. Das ist wiederum eine wichtige Beobachtung schon am älteren Werk von Beate Debus, die wir auch für die ganz aktuellen Arbeiten im Hinterkopf behalten - ebenso wie die Beobachtung, dass die Skulpturen von Beate Debus wohl immer von einem Spannungspunkt aus konzipiert und verschiedentlich verwoben sind. Sie zeigen aber grundsätzlich keinen Kopf.

Das Thema Kopf nahm sich Beate Debus in den vergangenen drei Jahren gesondert vor. Die künstlerische Suche ist bei den Köpfen nun nicht mehr nur auf die Bewegung aus, sondern will Gefühlsregungen und Gedanken als Grundlage der körperlichen Bewegung deutlich machen. Es geht also nicht um Büsten und individualisierende Darstellung, auch nicht um Totemmasken, die die Künstler der klassischen Moderne so aufgewühlt hatten. Beate Debus geht es um die Bewegung des Geistes, die in ihren Köpfen ebenso raumgreifend sichtbar gemacht wird wie Bewegungen der Körper. So treffen wir auf große ellipsoide Wölbungen, die die Stirn einer Kopfskulptur zusammensetzen. Ein Gedanke oder ein Impuls scheint hier nach außen zu drängen und die Grenzen des Körpers zu verschieben. Auch in den Kopfdarstellungen bleibt die kontrastreiche Farbgebung in schwarz und weiß in Zeichnungen und Skulpturen erhalten, wobei es bei den Köpfen die Augenpartie ist, die, in der Regel in schwarz gehalten, besonders hervorgehoben und gestaltet wird.

An dieser Stelle treffen wir bei den Köpfen auf ein weiteres wichtiges Merkmal, dass auch für die hier zu sehenden Arbeiten ganz grundlegend ist: die Kreuzform, die der Zeichnung eines Kopfes hinterlegt sein kann. Augenpartie sowie die Linie drittes Auge - Nase - Mund sind bei den Köpfen zum Teil deutlich zum Kreuz verbunden. In den Köpfen bleibt die Kreuzform allerdings auf die Funktion des Statischen und Geometrischen beschränkt, ist gestalterisch als Konterpart zu den Wölbungen der Stirn und der Wangen eingesetzt. Eine symbolische Bedeutung des Kreuzes über seine graphische Funktion hinaus ist in den Köpfen nicht angelegt.

Das wird 2012 anders, und damit kommen wir endlich zu den Werken dieser Ausstellung. Wir haben als durchgängiges Erkenntnisinteresse und Prinzipien der Gestaltung bei Beate Debus kennen gelernt:

  1. die künstlerische Suche nach der Darstellbarkeit von Bewegung
  2. die Ausführung von Dualismen oder Dichotomien in den Bewegungen ihrer Figuren
  3. die Lesbarmachung der widerstreitenden Prinzipien durch die Zweifarbigkeit der Skulpturen
  4. die spielerische Auffassung von Bewegung, die den Teilen der Skulptur den Eindruck der Selbstbestimmtheit und Würde beläßt
  5. die graphische Form des Kreuzes, die als statisches und haltgebendes Element einer Figur zugrundegelegt werden kann.

Betrachten wir vor diesem Hintergrund die Werke der heutigen Ausstellung, so sehen wir, dass Bewegung nicht mehr als Interaktion zweier Figuren aufgefasst wird, sondern in den einzelnen Körper hineingewandert ist. Als Farbe ist dem Weiß das Rot zur Seite getreten, das ikonographisch immer auch auf Blut, also auf das Leben wie auf die Verletzlichkeit der Körper verweist. Wir sehen aufbrechende oder aufgebrochene Körper, deren Rippen den Brustkorb wie die Finger einer Hand zusammenhalten zu wollen scheinen. Betrachten Sie das Wandrelief "corpus 1" im Vorraum, so sehen Sie, dass anstelle einer Wirbelsäule ein schwarzer Winkel wie ein Richtscheit zwischen die Rippen eines Torso geschoben ist. Die Darstellung ist so abstrahiert, dass die Rippen in der Tat sogar als Finger, der Brustkorb als zwei Hände lesbar werden, die nach einem Werkzeug greifen. Die hier ausgestellten Skulpturen verdeutlichen jedoch, dass dies nicht gemeint ist. Dargestellt ist wieder und wieder der menschliche Körper, nunmehr vereinzelt, der von innerer Bewegung förmlich auseinandergerissen zu werden droht. Wie in Debus' Kopfskulpturen die auffallende Wölbung einer Stirn auf die nach außen drängenden Gedanken verweist, so zeigen die Torsi aus dem Jahr 2012 eine innere Bewegung, die die Grenzen des Körpers sprengt - ihn sprichwörtlich "zerreißt". Die Rippen sind auf Finger reduziert, häufig als ungleiches Paar von 5 und 6 oder 4 und 5 Rippen oder Fingern. Sie hängen wie an einer Hand zusammen oder sind, wenn sich die Verbindung untereinander vollständig aufgelöst hat, durch eine farblich abgehobene Fläche gehalten (sehen Sie etwa das Wandrelief "Corpus aufbrechend" im Nebenraum).

Auf den Zeichnungen besonders hervorgehoben, aber auch in den Skulpturen gut zu sehen ist das Kreuz, das den Rippenbogen stützt. Es scheint in Rötelfarbe hinter den Rippen hervor oder ist, als T oder sogar zum Winkel verkürzt, ein tragendes Element der Figuren. Wie weit die Abstraktion des Kreuzes geht, zeigt die Zeichnung "Kreuzdynamik", die auf der Einladungskarte abgebildet ist. Auch dieser Winkel ist vom Betrachter zum Kreuz zu ergänzen. Der T-Strich oder die Schulterpartie dieses formalen Elements kann - wie in "Corpus aufbrechend" - auch als Joch erscheinen, der die Rippenbogen nicht hält und stabilisiert, sondern als asymmetrische und fremde Last auf den Torso drückt.

Hier nun ist der Punkt, an der wir die Betrachtung der Kunstwerke allein vor dem Hintergrund der Werkentwicklung von Beate Debus verlassen und einen Blick in die Kunstgeschichte werfen müssen. Und da steht ikonographisch hinter dem leidenden Körper immer auch die Darstellung des Corpus Christi. (Hier übrigens die Verwendung des Wortes Corpus immer mit männlichem Artikel; corpus ist ja eigentlich neutrum, das corpus - Plural daher auch corpora, nicht corpi - aber im Falle des Corpus Christi heißt es "der" Corpus.) Wie gesagt - im Wort Corpus wie in der Darstellung des leidenden Körpers ist die Christusfigur ikonographisch mit im Hintergrund. Die Künstlerin kann also gar nicht anders, als diese Darstellungstradition mit abzurufen, dazu ist die Kunstgeschichte viel zu voll von Bildern des körperlichen Martyriums bzw. konkret des leidenden Christus. "Ecce homo" - siehe, der Mensch - steht ja interessanterweise auch nie als Bildunterschrift einer Paradiesdarstellung, sondern "Ecce homo" ist immer der leidende Christus als Grundtypus des leidenden Körpers, des leidenden, verletzlichen Menschen.

Auf Christus haben wir neben dieser allgemeinen Ikonographie und Wortwahl mehrere Hinweise in den Werken von Beate Debus. Da sind die schon erwähnten Kreuze - "Kreuzdynamik" - "Kreuztanz" -, die den menschlichen Körper auf seine Struktur als Kreuz hin durchsichtig machen: Wirbelsäule und Schultern bilden tatsächlich ein Kreuz und man hat von dieser vertikalen und horizontalen Anlage des menschlichen Körpers lange Zeit die Ausrichtung des Menschen zum Göttlichen und zum Mitmenschen hin abgelesen. Das Durchscheinen des Kreuzes in der Darstellung der Körper ist unübersehbar. Das Transparentwerden des Körpers auf das Kreuz im übertragenen Sinne, also auf das Leiden des Körpers hin, sehe ich hier ebenso. Berühmte Gemälde wie "Die zerbrochene Säule" der mexikanischen Malerin Frida Kahlo (1944) tauchen als motivischer Hintergrund auf. Sie wissen, Frida Kahlo litt zeitlebens an den Folgen eines Verkehrsunfalls, der ihr im Alter von 18 Jahren Wirbelsäule und Becken zerschmettert hat. Auf dem Bild "Die zerbrochene Säule" malt sich Frida Kahlo selbst, die Haut mit Nägeln gespickt und die Mitte geöffnet und leer, so daß man eine mehrfach gebrochene metallische Wirbelsäule sehen muß. Hier scheint mir motivisch anzuklingen, was ich auch in den neueren Werken von Beate Debus sehe, nämlich das vollständige Aufbrechen des Körpers und das Durchsichtigwerden des Körpers auf seine Verletzlichkeit oder fundamentale bestehende Verletzung hin.

Wir haben einen weiteren Hinweis auf den Corpus Christi in den Reliefs versteckt, und zwar in der Wandskulptur "Corpus 3" im Vorraum. Sie sehen dort, dass die Rippen nicht nur zu Fingern einer Hand, sondern durch eine beidseitige Verjüngung zur Gestalt eines Fisches werden. (Fischskelett auf der Kleidung eine Weile Mode) Ein Fisch wurde schon vor fast 2000 Jahren zum Erkennungszeichen der frühen Christen, was mit dem griechischen Wort für Fisch zusammenhängt.

"Passio Christi conforta me" heißt es in einem uralten Gebet, "Leiden Christi, tröste mich", aber confortare oder comfortare meint nicht nur trösten, da steckt das Wort "fortis", "stark" darin. Trost macht den andern wieder stark, und die Darstellung des Leidens und damit auch der Leidensfähigkeit des Menschen kann ein Anstoß sein, das eigene Leiden zu reflektieren, einzuordnen und zu relativieren, kann trösten, indem es stark macht angesichts dessen, was ein Mensch doch letztlich alles tragen kann.

Vielen Dank!

Dr. Cornelie Becker-Lamers, Weimar