"Barbara Burck. Land & Meer"

Rede zur Eröffnung der Ausstellung

Markthotel Jena, Freitag, 24. November 2017, 19 Uhr

Liebe Marina Zollmann, liebe Barbara Burck, meine sehr geehrten Damen und Herren,

"Waldboden ist rosa".

Schriebe ein Schüler diese Worte zu wiederholten Malen in das Protokoll einer Biologie-Exkursion, würde die Lehrerin vermutlich irgendwann die Eltern einbestellen. Waldboden ist schließlich braun. Und dennoch gehört das Bild "Novemberwald" zu denjenigen, die verkauft waren, kaum daß sie hier im Markthotel Jena an der Wand hingen - vorgestern abend. Ja, es ist sogar ein Bild, um das sich zwei Familien bemühten und darum rangen. Irgendetwas also muß hier auf den ersten Blick stimmen, mit dieser Farbwahl, obwohl oder gerade weil sie uns bei genauerem Nachdenken als verfremdet erscheint. "Der Waldboden ist rosa". Schriebe eine Schülerin den Satz in einem Gedicht, der Deutschlehrer wäre begeistert.

Offenbar ist es nicht der naturalistische, sondern ein lyrischer Zugang zur Welt, der uns in den Bildern Barbara Burcks begegnet. Wir sehen scheinbar Landschaftsdarstellungen, aber sie heißen nicht "Gegend bei Bad Sowieso" sondern "Frühling 1" und "Frühling 2", sie heißen "Herbst" und "Wintersonne", heißen "Abendlicht" und "Novemberwald" oder auch, ebenfalls zweimal, "Vor dem Gewitter". Die Titel verraten den Schaffensantrieb und die Intention der Künstlerin: Nicht die Landschaften sind in Wahrheit abgebildet, sondern Stimmungen, "Seelenlandschaften", wie Barbara Burck selber sagt. In den expressiven, wilden Strichen der Frühlingsbilder begegnet uns die überschäumende Fülle der Kirschblüte. Inhalt der Darstellung ist der frische Duft der Frühlingsluft, die aufkeimende Hoffnung in den jungen Pflanzentrieben und die freudige Erleichterung über das Zurückkehren der Wärme im sich ankündigenden Sommer. Das milchige Weiß, in das der "Novemberwald" getaucht ist, läßt uns die Nebeltropfen auf den Wangen spüren.

Die Dorf- und Landschaftsansichten, die wir ab heute hier sehen, sind die Frucht langer Wanderungen durch Thüringen, entstanden u.a. für eine Ausstellung in Rudolstadt. Kleingölitz beispielsweise, das zwei Bildern den Titel gibt, ist als kleines Dorf ein Ortsteil von Bad Blankenburg. Wir haben aber an der Art der Bilder und der Titelgebung gesehen, daß es Barbara Burck nicht um einen dokumentarischen Zugriff auf Thüringer Dörfer geht. Ein "Barbara-Burck-Wanderweg" analog dem Feininger-Radweg dürfte deshalb auf sich warten lassen. Wie immer in ihren Bildern, hat sie zwar fotografiert und gezeichnet, aber die Gemälde entstehen - oder wachsen - im Atelier, in vielen Schichten, mit vielen Pausen, in denen die Bilder liegenbleiben und die Künstlerin immer wieder draufschaut. So entstehen die unverwechselbaren, vielschichtigen und tiefen Farbwirkungen, das Sujet wird reduziert, kombiniert und komprimiert, bis das Typische eines "Blickes ins Tal" oder einer jahreszeitlichen Stimmung ins Bild gesetzt ist, bis das Gefühl der Weite sich im Betrachter einstellt, bis der Farbklang im Bildraum stimmt.

In den Werken von Barbara Burck entstehen die Formen durch Farben, die als Teile des Lichts, als der geheime Schatz des Lichtes in Szene gesetzt werden. Barbara Burck wurde in Berlin geboren und wuchs in Rostock auf - die Serien der Strandbilder erhalten daher immer auch ein biografisches Moment. Zwischen 1979 und 1986 war sie während ihres Studiums der Malerei an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst Schülerin, zuletzt Meisterschülerin von Bernhard Heisig, der sie in diesem ihrem besonderen Umgang mit Farbe gefördert haben dürfte. Bernhard Heisig, das kann man vielleicht an dieser Stelle erwähnen, war wiederholt Rektor der Leipziger Hochschule, auch im Präsidium des Verbandes Bildender Künstler der DDR und bereits weit vor der Wende auch in der Bundesrepublik bekannt. Das waren wenige, denn hüben wie drüben trug man damals sein gepflegtes Vorurteil über die Kunst des jeweils anderen Deutschland vor sich her. Über Heisig aber schrieb Eduard Beaucamp in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Heisig nahm 1977 an der documenta 6 in Kassel teil und reiste noch öfter zu Kunstausstellungen in die Bundesrepublik.

Seinen Lehrplan baute er auf dem Figürlichen auf, denn in der Figur, so war er überzeugt, spielt sich das Drama des Lebens ab. Und so türmen sich in seinen großformatigen Bildern die Gesichter, Motive und Symbole bis zur gegenseitigen Verdrängung und, so wird es immer wieder beschrieben, treten durch den expressiven Farbauftrag dem Betrachter buchstäblich aus dem Bildraum heraus entgegen.

Über den expressiven Farbauftrag bei Barbara Burck habe ich schon gesprochen - am Beispiel der Bilder "Frühling 1" und "Frühling 2". In den Strandbildern fällt dasselbe auf - doch im Gegensatz zum Werk Bernhard Heisigs scheint uns der Bildgegenstand bei Barbara Burck nicht entgegenzukommen, sondern uns in die Bilder hineinzuziehen. Das habe ich immer wieder als Reaktion von Betrachtern gehört: "Ich schaue das Bild an und bin direkt im Wald." Beim Betrachten der Strandbilder identifiziert man sich unmittelbar mit der Figur und meint, den wassergesättigten weichen Sand zwischen den Zehen, die Spritzer salzigen Wassers auf der Haut und den Wind in den Haaren zu spüren.

Neben der Behandlung der Farbe befördert die Art der Figurendarstellung das Hineingezogenwerden des Betrachters ins Bild. In der "Frau am Wasser" sehen wir eine klassische Rückenfigur. Die Frau schaut uns nicht an, tritt uns also nicht als Subjekt gegenüber. Bildinhalt ist deshalb augenscheinlich nicht die psychische Verfaßtheit, das Alter oder Erleben dieser Figur, sondern das, was sie sieht. Die Rückenfigur provoziert die Identifikation des Betrachters mit dem dargestellten Menschen. Nicht die Figur bindet unsere Aufmerksamkeit, sondern sie lenkt sie auf das, was sie selber vor sich sieht. In der Regel sind das Landschaften oder das Meer. Ganz berühmt oder sogar paradigmatisch für diese Art der Bildgestaltung sind Werke Caspar David Friedrichs, etwa sein "Wanderer über dem Nebelmeer" oder auch sein "Mönch am Meer". Vergleichbar aber tatsächlich nur die Art der Figurenbehandlung, nicht die Bildaussage, die bei Caspar David Friedrich romantisch bis verzweifelt, bei Barbara Burck hingegen welt- und lebensbejahend ausfällt.

Aber tatsächlich: Kaum eine der Figuren in den Bildern Barbara Burcks schaut den Betrachter an. Ich kenne ein Selbstportrait von ihr, in dem die Begegnung der Blicke zwischen Betrachter und Figur die Bildwirkung ausmachen. Ansonsten sind Figuren aufeinander bezogen wie das "Paar im Wasser", die Dargestellten kehren uns den Rücken zu wie das "Mädchen am Wasser" oder wenden den Kopf ab.

Das Nicht-aus-dem-Bild-Hinausschauen der Figur trifft auch auf "Rot und Schwarz" zu, ein Bild, das ebenfalls viele Betrachterinnen sofort fasziniert hat. Wir sehen eine Frau, die offenbar mitten in der Stadt auf einem großen Platz steht. Das deuten die Tauben an - ein Signal für Großstadt, Marktplatz, viele Menschen. Wo viele Menschen sind, sind Tauben. Die Frau aber steht ganz in sich gekehrt, ganz in Gedanken, ihre Geldbörse in der Hand, und ist mit ihrer Handtasche beschäftigt - sucht oder verstaut etwas darin. Eine typische, typisierte Situation, wie wir sie von den Bildern Barbara Burcks her kennen, eine Situation der Intimität und völligen Privatheit mitten auf einem freien Platz in der Großstadt - im Schutze der Anonymität der Großstadt.

Vielleicht könnte es uns gelingen, die Situation von außen zu sehen und uns nicht mit der Frau zu identifizieren - wäre da nicht der Schatten. Der Schatten, der von links ins Bild fällt. Sie sehen, die Sonne steht links, die Figuren und Tiere werfen die Schatten nach rechts. Wer weiß, wer oder was da einen Schatten von links ins Bild wirft? Die Frau weiß es nicht, daß jemand hinter ihr steht. Sie ist ganz in Gedanken versunken und beschäftigt sich mit ihrer Handtasche. Auch wir wissen es nicht - wir können niemanden sehen. Die Malerin weiß es, die Malerin als gewissermaßen allwissende Erzählerin der Situation weiß, da steht jemand, ich muß seinen Schatten malen und er fällt bis in den Bildraum hinein. Der Betrachter ist nicht auf dem Wissensstand der Malerin, wir sind auf dem Wissensstand der Figur und eingebunden in deren Gedankenverlorenheit. Wir haben Teil an der subjektiven Intimität der Situation, nicht am objektiven Blick von außen. Wir als Betrachter stecken mit im Bild drin und kommen nicht heraus.

Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Erkunden der Bilder von Barbara Burck. Haben Sie vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Dr. Cornelie Becker-Lamers, Weimar