Astrid Albers. Nordlichter
Rede zur Ausstellungseröffnung
Galerie Profil, Weimar, 1. September 2018, 18.00 Uhr
Liebe Astrid Albers, liebe Elke Gatz-Hengst, sehr geehrte Damen und Herren,
beinahe fassungslos stand ich gestern vor den Exponaten der neuen Ausstellung "Nordlichter" von Astrid Albers. Fassungslos vor Faszination angesichts der Farbigkeit der Acrylmalerei. Natürlich hatte ich vorher Abbildungen der Werke gesehen. Ich kannte einiges von der homepage der Künstlerin im Netz. Aber daß Fotos auf dem Computerbildschirm strahlen, ist man ja gewohnt, und es ist ja auch kein Kunststück. Die Wiedergabe wird dort schließlich tatsächlich durch Licht erzeugt.
Als ich gestern die Galerie betrat, sah ich, daß die Bilder tatsächlich leuchtende Farben zeigen. Besonders ein leuchtendes Blau. "Ohne blau geht gar nichts", sagt Astrid Albers - und man sieht sofort, daß das stimmt. Blau dominiert die meisten Werke - zum Teil verstärkt und unterstrichen durch ein komplementäres Orange.
Blau, haben wir irgendwann mal gelernt, symbolisiert zugleich die Ferne wie die Anziehung. Das klingt vielleicht zunächst paradox, wird aber verständlich, wenn man sich die Erklärungen der Farbforscher genauer ansieht. Wir müssen uns dazu überhaupt nicht aus Weimar wegbewegen. Wir betrachten nämlich einfach nur kurz Goethes Farbenlehre und die des Bauhauses - was wiederum zusammenhängt.
Beginnen wir also bei Goethe. In seiner Anfang 1808 abgeschlossenen Farbenlehre bestimmt er bekanntlich Gelb und Blau als "Urfarben" und belegt sie als "Urkontraste" mit den Attributen der Aktivität, des Hellen, der Wärme, der Nähe und der Abstoßung (Gelb), bzw. der Passivität, des Dunklen, der Kälte, der Ferne und der Anziehung (Blau). Die Forschungsliteratur untersetzt diese Zuschreibung mit dem Hinweis auf die "transkulturelle Urerfahrung" der Unermeßlichkeit angesichts eines tiefblauen Himmels oder auch des weiten Meereshorizonts.
Goethes Ordnung der Farben wird in der Bauhauslehre wieder aufgegriffen und um die Formenzuordnung von Dreieck (gelb) und Kreis (blau) erweitert. Wassily Kandinsky wichtigster Farbtheoretiker des Bauhauses nimmt Goethes Farbcharakteristiken auf und ordnet den Farben Gelb und Blau die Gegensatzpaare von Wärme und Kälte sowie exzentrischer und konzentrischer Bewegung zu. Dem Gelb als "typisch irdischer Farbe" setzt er das Blau als "typisch himmlische Farbe" entgegen und schreibt ihm die Wirkung zu, im Menschen "die Sehnsucht nach Reinem und Übersinnlichem" zu wecken.
In der Kunst des 20. Jahrhunderts hat Yves Klein (1928-1962) die Farbwirkung des Ultramarinblau in seinen Bildern und Plastiken am weitesten ausgereizt. Er entdeckte 1956 die Möglichkeit, mit Hilfe des Petroleumextraktes Rhodopas das Ultramarin-Pigment in so reiner Form in Malerfarbe zu verwandeln, daß sich die ungewöhnliche Leuchtkraft dieses Blautons erhält. Dieses Blau hat allerdings nichts mehr mit der Zuordnung zum Dunklen zu tun, von der die Goethesche Farbenlehre spricht. Vielmehr zieht dieses Ultramarinblau seine Wirkung aus der Umwandlung von UV-Strahlen in sichtbares Licht, so daß ein tatsächliches Leuchten von der bemalten Leinwand ausgeht. (Diesen Hinweis verdanke ich übrigens der Lektüre eines Aufsatzes von Professor Schawelka - auch Weimar.)
Das ist es! Das hat mich gestern unmittelbar ergriffen, als ich den Raum hier betrat: Blau - blau - blau - und es hat weder etwas mit Kälte noch etwas mit dem Dunklen zu tun. Ein leuchtendes Blau, das anzieht - ich war fast in Gefahr, meine Nase in die "Nordlichter" zu stecken - gut, daß die baulichen Gegebenheiten mich daran gehindert haben. Ein Blau, das uns die dargestellten - ja, was ist es eigentlich? - Landschaften ganz nahe bringt, ja sie uns förmlich zu Leibe rücken läßt. Ein Blau, das in konzentrischen Kreisen (Kandinsky) Wirbel erzeugt, die alle anderen Farben einbeziehen in einen wahnsinnigen Tanz der gestaltlosen Formen. Eine Welt kurz vor dem nächsten Urknall.
Ein Blau aber auch, daß uns ruhige Flußlandschaften assoziieren läßt, ein Ufer hier, ein Ufer dort, Hügel im Hintergrund, Wiesen im Vordergrund, begrünte Felder vor Sandsteingebirge. Alles in pastosem und üppigem Farbauftrag, der den Bildern eine zusätzliche formale, ja geradezu haptische Struktur verleiht.
Was sind das für Landschaften? Die Titel geben wenig Auskunft und scheinen nachträglich von der Künstlerin vergeben worden zu sein - von ihr aus ebenfalls assoziiert. "Nordlichter" heißt die Serie der acht Arbeiten, "Erinnerung", "Weite Reisen", "Im blauen Raum", "Zeit des Übergangs" die größeren Werke. Die Malereien entwickeln sich zunächst ohne Programm. Die Farben werden impulsiv in einem ersten Schwung ins Bild gebracht. Ich stelle mir vor, das ist ein ungeheurer Kraftaufwand vor der leeren Leinwand. Amorphe Gestalten bestimmen die Fläche, bevor Astrid Albers sie mit viel Ruhe und Zeitabstand überarbeitet. Sie läßt die Arbeiten immer wieder liegen. Durch gezielte künstlerische Eingriffe, weitere Farbtupfer und Spachtelauftrag wachsen die Bilder dann eher, als daß sie gemacht würden, und sie entstehen gleichsam in einem Abgleich der Formen auf der Leinwand mit Erinnertem und Assoziiertem der Künstlerin. Astrid Albers arbeitet so lange an einem Bild, bis sie erkennt, was es zum Ausdruck bringen wollte. So kommt es zu Namen, die Assoziationen wecken können und Richtungen der Deutung und des Verständnisses vorgeben, nicht aber programmatische Titel der Bildes sein möchten.
Zweifellos ist die Landschaft ein wichtiges Thema in der heutigen Kunst von Astrid Albers. Jedenfalls sehe ich das beispielsweise in den "Nordlichtern", obwohl der Titel ein Himmelsphänomen bezeichnet, das mit dem Magnetfeld der Erde zusammenhängt. Interessanterweise hatte Astrid Albers dieses Phänomen gar nicht im Hinterkopf, als die den Bildtitel der Serie vergab. Im Vordergrund stand das Stichwort "Norden", als Teil dessen sie sich von ihrer Herkunft her nach wie vor auch fühlt. Hier kommt wieder die Erinnerungstiefe ins Spiel. Künstlerische Arbeiten reichen immer weit zurück. In jedes Werk fließt das ganze Leben eines Künstlers oder einer Künstlerin ein.
Aber noch einmal: Was für Landschaften sind das, die Astrid Albers Werke uns assoziieren lassen - und was von diesen Landschaften zeigen uns ihre Bilder? Einfache Abbildungen sind es zweifellos nicht. Zu groß trotz allem die Verfremdung und die Abstraktion der Formen. Was also sehen wir?
Bei Werner Haftmann habe ich eine wunderschöne Analyse der modernen Landschaftsmalerei gefunden - in einer schon älteren Rede, gehalten zu einer der frühen documenta-Eröffnungen in Kassel. Dennoch mag ich das Zitat und finde es nach wie vor treffend, um den Zugang auch heutiger Künstler zum Thema Landschaft besser zu verstehen. Haftmann schreibt:
"Tatsächlich war das Bild der Dinge für lange Zeit allein tragfähig genug, um alle Gewichte des Menschen als Ausdruck auf sich zu nehmen. Was aber, wenn an den Dingen selbst und an ihrer anschaulichen Substanz andere, bisher verborgene Komplexe sichtbar werden, neue Fragen an sie gestellt werden, wenn ihre Leibhaftigkeit durch intuitive Zweifel und intellektuelles Wissen nicht mehr so zweifelsfrei existiert? [...] Wenn also [...] das schauende Interesse an den standhaften Hauptworten - Fluß, Baum, Blume - sich auf die dahinter verborgenen dynamischen Tätigkeitsworte - strömen, wachsen, blühen - verlagert? Durch die Veränderung unseres Wirklichkeitsverhältnisses sind aber diese Verschiebungen eingetreten. [...] Da ist nicht mehr das blühende Feld, sondern die Kraft jenes Blühens, die zum Ausdruck will. Das ist nicht mehr das Abbild der Lagune, sondern der Glanz, der über ihr liegt, und zugleich das Glück des Daseins oder auch die Trauer einer Erinnerung, die jener Glanz heraufrief - ihr Bild [das Bild der Lagune]."
Das hat mir sehr gut gefallen und ich finde, was Haftmann beschreibt, genau hier in dieser Ausstellung wieder: Dargestellt ist nicht - und kann es auch gar nicht sein - eine wiedererkennbare Flußlandschaft, wie die Weimarer Malerschule sie uns zu Dutzenden hinterlassen hat (gerade ist im Stadtmuseum ein Beispiel zu sehen - genau bezeichnete und bezeichenbare Orte). Die Orte, die Astrid Albers uns zeigt, können nicht bezeichnet werden. Denn was wir sehen, ist bildgewordene Erinnerung, vielleicht auch Sehnsucht oder eine nach vorn blickende Utopie. Einzelne Elemente und Details einer Landschaft setzen sich hier zu einem neuen Ganzen zusammen. Die Bilder von Astrid Albers sind konstruiert wie der locus amoenus in einem Bild von Watteau - aber sie suchen nicht die sichtbare Kulisse, sondern eben genau dieses "Dahinter" der Wirklichkeit. Sie spüren dem verborgenen Geheimnis eines Ortes nach und suchen nach seiner verborgenen Identität. Sie zeigen die Macht dessen, was einfach da ist und einfach so ist - in vielen Jahrtausenden geworden wie ein Flußbett, das sich im Laufe der Zeit seinen Weg gebahnt hat. Ich sehe nicht bloß eine Landschaft, sondern darstellt ist die Ruhe in ihr. Die Ruhe des Flusses, der sich ständig erneuert und doch immer derselbe bleibt. Vielleicht auch die Unüberwindlichkeit eines Flusses. Dieses Motiv des Wassers, das den Bildgrund teilt, ist bei Astrid Albers recht häufig, und ich denke, es könnte damit auch das Wesen der Unüberwindlichkeit gemeint sein, eine unüberwindliche Grenze zwischen zwei eigentlich so nahen und benachbarten Welten, wie gegenüberliegende Flußufer es sind. Wenn das stimmt, wären die Bilder noch sehr viel weiter ausdeutbar.
Wir sehen jedenfalls die Kraft des Windes oder eines Strudels in den Wirbelbildern - und wir sehen tatsächlich nur sie, denn die Formen sind vollkommen abstrakt, wenn nicht amorph. Wir sehen ruhige Felder, vielleicht Wasserfälle, vielleicht Küsten, in der Bilderserie "Verwandlungen". Hier treten uns dann auch Blautöne gegenüber, die dann doch wieder mit dem Attribut "Kälte" belegt werden könnten: Kühle Blautöne, kühles Violett oder Altrosa, kühles Veroneser Grün. Dazwischen weiße und schwarze Flächen wie Abteilungen der Farben. Ein völlig anderer Duktus in diesen neueren Arbeiten aus dem Jahr 2018.
Auch die Aquarelle sind aus diesem Jahr: Die Aquarelle "Tropics" und "Auf und davon". Hier greift Astrid Albers auf Techniken zurück, die wir vor neun Jahren in ihrer Ausstellung "Freigeister" hier kennenlernen konnten (am 5. September 2009 war die Eröffnung). Das Bütten wird unsichtbar, aber wirkungsvoll eingeritzt, um dem Fluß der Aquarellfarbe die gewünschte Richtung zu geben. Da tauchen plötzlich die altgewohnten Farben wieder auf: viel Rot, Blau und Grün begegnet uns in recht dezidierten Formen von Blättern und Früchten. "Auf und davon!" Die pralle Lebensfreude und Unternehmungslust spricht aus dem Titel wie aus den Bildern. Die Erinnerung wird abgeschüttelt und ein neues Kapitel im Buch des Lebens aufgeschlagen. "Tropics" statt "Nordlichter". Dolce Vita! Ab in den Süden! Eine ganz neue Astrid Albers begegnet uns und wir sind gespannt auf die Werke, die noch kommen werden.
Vielen Dank!
Dr. Cornelie Becker-Lamers, Weimar