Helmut Schmidt-Kirstein. Holzschnitte und Lithographien – Albert Wigand. Zeichnungen und Collagen – Harald Metzkes. Gemälde (zum 70. Geburtstag)

Rede zur Ausstellungseröffnung

Galerie Finkbein, Gotha, Sonntag, 17. Januar 1999, 11 Uhr

Sehr geehrte Damen und Herren,

es ist eine sehr vielfältige Ausstellung, zu deren Eröffnung die Galerie Finkbein Sie heute eingeladen hat: Drei Künstler – Albert Wigand, Helmut Schmidt-Kirstein und Harald Metzkes – sind vertreten, und zumindest von einem – nämlich dem vielseitigen Dresdener Maler Helmut Schmidt-Kirstein – sind Arbeiten so unterschiedlicher Schaffensperioden zusammengetragen, daß sich schon allein im vorderen Raum die Kunst unseres ganzen Jahrhunderts vom expressionistischen Naturidyll über die handfest-abbildhafte Tuschezeichnung und den ungegenständlichen Holzschnitt bis zur ausdrucksvollen Portraitzeichnung vor unseren Augen entfaltet: Fast 60 Lebens- und intensive Arbeitsjahre liegen zwischen dem blauen „Bergsee“ und dem „Mädchen mit der Chiantiflasche“.

Aber gehen wir der Reihe nach vor und beginnen mit einigen Worten zu Albert Wigand, dessen Arbeiten Sie im unteren Stockwerk gesehen haben.

Wigands Arbeit als Künstler war von Beginn seines Schaffens an überschattet. 1890 geboren, nahm er die Schwermut des Fin de Siècle mit in die Epoche der Moderne hinüber. Ihn, der relativ spät zur Kunst kam und spät erste Ausstellungen seiner Werke erlebte, trafen die gravierenden gesellschaftlichen Probleme der 20er Jahre – Armut und eine lange Zeit der Arbeitslosigkeit – härter als viele seiner Kollegen. Eine Förderung durch den Leiter des Marburger Universitätsmuseums, Albrecht Kippenberger, bahnte sich in dieser Zeit an und wurde durch die Unentschlossenheit Wigands selber ausgetrocknet. Die Zeichnungen, die aus dieser Zeit hätten überliefert werden können, sind vernichtet oder verschollen.

Die Zeichnung, die Wigand zur Kunst brachte, blieb das hauptsächliche Ausdrucksmittel eines Malers, der viel zu viel Lebenszeit damit zubringen mußte, als Arbeiter in Gas- oder Wasserwerken, als Schaufensterdekorateur oder Laternenwächter einen kargen Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Muße und Mut zur großen, freien Komposition fehlten.

So sind es vor allem Zeichnungen – zum Teil beinahe unbeholfen mit Filzstift ausgeführt, aber auch Pastelle mit isolierten, gegeneinander verschobenen Köpfen –, die die heutige Ausstellung Ihnen zeigen kann. Sie stammen aus den 70er Jahren und damit aus einer Zeit nach dem Tod seiner Frau, die Albert Wigand in der Heilanstalt Dösen verbrachte. Der sichere Strich, mit dem noch die Filzstiftzeichnungen etwa das dortige Intérieur einfangen, geben noch schwaches Zeugnis von den stimmungsvollen, nach dem Zweiten Weltkrieg eher dokumentarischen Dorf- und Landschaftsansichten, die Wigand bis in die 50er Jahre hinein schuf.

Die Auswahl von Papiercollagen Wigands, die Sie ebenfalls im unteren Raum sehen, zeugen von einem kunstgeschichtlich orientierten Schaffen des hochbetagten Künstlers, das sich dem Zwang der offiziellen DDR-Doktrin zu Gegenständlichkeit und politischer Aussage in aller Stille und Selbstverständlichkeit entzog.

Kommen wir zu Helmut Schmidt-Kirstein, der hier oben im vorderen Raumteil ausgestellt ist. 1909 wurde er als Fritz Helmut Schmidt in Aue/ Erzgebirge geboren, fügte später den Namen der mütterlichen Vorfahren seinem Geburtsnamen an und signierte von früh an häufig auch nur noch mit ‘Kirstein’. Als er vor knapp vierzehn Jahren, um Ostern 1985 in Dresden starb, verlor – nach den Worten des bedeutenden Dresdner Kunstkritikers Fritz Löffler – die DDR einen ihrer größten Maler der alten Generation.

Schon wenige Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, in der ersten Folge des Jahrbuchs der Künste in einem Aufsatz über die „Dresdener Malergeneration seit der Jahrhundertwende“ hatte Fritz Löffler Schmidt-Kirsteins Werk „überströmende Sinnlichkeit“ bescheinigt. Von großem Einfluß für den jungen Schmidt-Kirstein war zunächst die expressionistische Farbenpracht in den Arbeiten Emil Noldes gewesen. Die Bekanntschaft mit den Malern Nolde, Kirchner, Heckel und Dix und ihrem Werk anläßlich einer Pechsteinausstellung, die Gurlitt 1926 in Zwickau veranstaltete, nennt Schmidt-Kirstein selber später sein „ganz großes Erlebnis der Malerei“. Eine Frucht dieses Erlebnisses zeigt unsere Ausstellung in dem Bergsee in den Alpen, einem Aquarell von 1927. Schmidt-Kistein ist damals gerade 18 Jahre alt.

Einen ganz anderen Schmidt-Kirstein zeigt die Tuschezeichnung der Dresdner Hofkirche, einer wunderschön in der Manier des 17./ 18. Jahrhunderts ausgeführte Architekturstudie, die uns aufgrund ihrer Zeitzeugenschaft in so besonderer Weise berühren muß: Seit seiner Zerstörung zu Ende des Zweiten Weltkriegs ist Dresden nicht mehr nur eine Stadt, sondern eine Chiffre: eine Chiffre für eine letzte große sinnlose Zerstörung, notwendig, um die noch weitaus größeren Zerstörungen, Sinnlosigkeiten, Ungerechtigkeiten und Schrecken des Krieges zu beenden. Mitten im Krieg, 1942, gemalt, schafft Schmidt-Kirstein durch den Einsatz von Tusche und Feder gerade in der Traditionalität dieses Abbildes der Dredner Hofkirche, daß das Bild die Atmosphäre einer besseren alten Zeit atmet, die von den Möglichkeiten solcher Zerstörungen noch nichts wissen mußte.

Einen wieder ganz anderen Schmidt-Kirstein zeigen die Lithographien und Holzschnitte der 50er und 60er Jahre, die wir hier im Schwanensee oder dem eher zu ahnenden als zu erkennenden Mädchen im Regen ausgestellt finden. Hier wird der Blick des Betrachters geschärft für die ornamentale Schönheit ungegenständlicher Formen. Der Brennende Dornbusch etwa bearbeitet sein assotiativ hoch aufgeladenes Motiv allein mit der natürlichen Maserung des Holzes, das, in roter Farbe aufgedruckt, tatsächlich züngelnde Flammen darstellen kann.

Besondere Freude machen mir aber schließlich die ausdruckvollen Kreidelithographien der Frauenköpfe aus den 80er Jahren, die wir hier an der rechten Seite sehen. Die Liebe und Verehrung für das Werk Picassos, den Schmidt-Kirstein als einen seiner „Heiligen“ bezeichnet hat, kommt hier im Spätwerk zum Zuge. Mit raschen, überaus exakten und darum so ausdrucksvollen Strichen setzt Schmidt-Kirstein hier eine Gesichtsrundung, die Armbeugen und eine Haarfrisur um und fängt mit dem Blick der Frauen mit wenigen Handgriffen eine ganze Situation in ihrer Stimmung ein. Man betrachte nur das Bild dieses völlig zerstrubbelten Mädchens mit Chiantiflasche, das ich besonders mag: Man braucht ihr nur in die Augen zu schauen, um zu wissen, daß besagte Chiantiflasche mit Sicherheit leer ist.

Kommen wir nun aber zum eigentlichen Jubilar der heutigen Ausstellung, zu Harald Metzkes. 1929 in Bautzen geboren, studiert er zwischen 1949 und 53 an der Hochschule für Bildende Künste Dresden und siedelt sich Ende der 50er Jahre in Berlin an. Im Alter von 34 Jahren, 1963, erlebt er die erste Personalausstellung seiner Werke durch Lothar Lang in Berlin-Weißensee. 1977, 1989 und 1990 richten die Staatlichen Museen zu Berlin, die Akademie der Künste Berlin und die Staatliche Kunsthalle Berlin Retrospektiven mit Arbeiten Metzkes aus. Er ist, noch nicht 50jährig, zur lebenden Legende geworden und bleibt es über die Wende hinaus.

Anläßlich seines 70. Geburtstages in diesem Januar hat die Galerie Finkbein Bilder des Malers aus den 80er und 90er Jahren beschaffen können, die einen wesentlichen Aspekt des Werkes Metzkes wiederspiegeln: Die Jahrmarkt- und Zirkuswelt. Schon als Kind war Harald Metzkes durch Zirkusbesuche, die er mit seinen Großeltern in Berlin erlebte, tief beeindruckt. Die Basis war geschaffen, um den Bildern Beckmanns, Chagalls, Heckels, Kirchners und Picassos, denen Metzkes später begegnet, eine grundsätzliche Möglichkeit der Spiegelung des Lebens in den Bildern der Zirkusbühne und des Jahrmarktes abzulesen. Eine mehrmonatige Studienreise nach China 1957 ermöglicht es ihm, im chinesischen Zirkus eine weitere, wieder ganz neue Welt der Lebensbespiegelung und -darstellung kennenzulernen.

So könnte man den Großteil der hier zu sehenden Bilder unter dem Stichwort „Marktszenen“ zusammenfassen in dem weitesten Sinne, als Markt zum einen Jahrmarkt bedeutet: den Jahrmarkt mit seinen Artisten, Gauklern, Taschenspielern und Zauberkünstlern. Da haben wir hier etwa die Spielkarten und dort das Kartenspiel, hier eine lebendige Zirkusszene. Markt bedeutet aber natürlich auch Begegnung der Menschen und Kulturen in Handel und Kommerz. Bei Metzkes finden wir das in dem Bild Passage in die moderne Welt übertragen. Eine lebendige Einkaufspassage ist hier dargestellt. Dem Bild fehlt jede mögliche Gesellschafts- und Konsumkritik, die heute so gerne in Stadtdarstellungen und besonders in der Darstellung von Einkaufsszenarien mitschwingt. Nein, Metzkes hebt hier das lebendige Treiben, die Möglichkeit von Begegnung und Kommunikation hervor und zeigt uns ein positives Bild vom Leben in der Stadt, das sich der langen Tradition der Großstadtmüdigkeit in der Kunst entgegenstellt.

Ich wünsche Ihnen viel Freude in dieser vielseitigen Ausstellung: „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen, und jeder geht zufrieden aus dem Haus“, heißt es im Vorspiel auf dem Theater des Faust. So denke ich, wird jeder heute sein Lieblingsstück der Ausstellung finden. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen angenehme Stunden in der Galerie und einen friedlich-zufriedenen Tagesausklang!

Danke für Ihre Aufmerksamkeit!

Cornelie Becker-Lamers