„Astrid Albers. Jürgen Sage. Freigeister. Aquarelle “

Rede zur Ausstellungseröffnung

Galerie Profil, Weimar, 5. September 2009, 18.00 Uhr

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Arbeiten eines Künstlerpaares stellt die Galerie Profil uns heute vor. Ein Künstlerpaar. – Nun, vielleicht muß man ja, um es an der Seite eines Künstlers auf die Dauer auszuhalten, sowieso selber Künstler sein. Nur so kann man einen künstlerischen Lebens- und Arbeitsrhythmus und die Wertigkeiten, die den Alltagsdingen im Vergleich zur jeweils gerade entstehenden Kunst zugestanden werden, auf Dauer ertragen, ohne verrückt zu werden. Oder? Oder ist es gerade so, daß Künstler nichts Gleiches, Gleichrangiges, Gleichwertiges an ihrer Seite ertragen können? Bekannt ist die tragische Ehe von Gustav und Alma Mahler, in der Alma nur heimlich komponieren durfte, da Gustav befand, sie lebe in seiner Musik. – Nun, so tragisch ging es nicht immer zu und nicht immer zu Ende. Die Ausstellung „Künstlerpaare“, die das Kölner Wallraf-Richartz-Museum im vergangenen Jahr zeigte (man 13 hatte aus 170 Künstlerpaaren ausgewählt), machte nicht nur auf die problematischen Künstlerbeziehungen wie Werefkin – Jawlensky aufmerksam, sondern auch auf die gegenseitige Inspiration etwa von Wassily Kandinsky und Gabriele Münter, von Hans Arp und Sophie Täuber-Arp, von Hannah Höch und Raoul Hausmann, von Otto Modersohn und Paula Modersohn-Becker. In jedem Fall aber fiel auf, daß, wie groß auch immer die gegenseitige Inspiration in der Künstlerbeziehung sein konnte, doch jede und jeder alleine sein Oeuvre schuf.

Das ist bei Astrid Albers und Jürgen Sage seit gut 10 Jahren anders. Kennengelernt haben sich die gebürtige Holsteinerin und der gebürtige Berliner als Schüler von Heinz Trökes, bei dem beide in den 70er Jahren an der Berliner Kunsthochschule Freie Malerei studierten, Jürgen Sage zuletzt als Trökes’ Meisterschüler. Neben den gemeinsamen Arbeitsaufenthalten in der Toskana wirkten beide in den 80er und 90er Jahren auch getrennt. Astrid Albers etwa erhielt Aufträge zur Internationalen Bauausstellung oder zur Fassadengestaltung in Berlin, Jürgen Sage stattete das Goethe-Institut Budapest aus sowie die Botschaftsresidenzen Seoul, Alma Ata, Ottawa und Kinshasa.

Was aber die Galerie Profil ab heute zeigt, sind ausschließlich tatsächlich gemeinsam entstandene Bilder. Die Leinwand wird aufgebaut – einer grundiert – die andere setzt mit großem Schwung die ersten Formen auf die Fläche – nun ist wieder der erste dran, mit präzisen Strichen den Formen eine vorläufige Interpretation zu verpassen, die dann in weiteren Arbeitsschritten immer wieder überarbeitet wird, bis das Bild fertig ist. In der Presse wurde dieses Verfahren mit einer musikalischen Improvisation verglichen: Der grundsätzliche Gestus, sozusagen die Tonarten, werden abgesprochen. Wie das Werk aber letztendlich ausfallen wird, ist vor jeder Session völlig ungewiß. Weil diese Abläufe für die Bildende Kunst vielleicht schwerer vorstellbar sind als in der Musik, hat Kasper Sage, der gemeinsame Sohn, ein dokumentarisches Video gedreht, in dem das Künstlerpaar Albers – Sage bei der Arbeit zu beobachten ist. Elke Gatz-Hengst wird den Film am Donnerstag, 24. September hier in der Galerie zeigen, sie hat ja via email bereits dazu eingeladen.

Aber wenden wir uns nun endlich den hier ausgestellten Bildern selber zu. Wir haben es hier in der Galerie Profil nicht mit Ölbildern auf Leinwand zu tun, sondern mit Aquarellen. Doch die Bilder sind trickreich hergestellt: Die Aquarelle entstehen auf Büttenpapier – an den Rändern sind z.T. die Wasserzeichen noch gut zu sehen. Die fertigen Bilder werden dann auf Leinwände aufgezogen und mit einem Firnis versehen, der sie so gut vor der Verschmutzung schützt, daß die Bilder ohne Glasabdeckung und damit ohne den „beliebten“ Nebeneffekt der Spiegelung durch das Glas auskommen.

Fröhliche Bilder sind es, die Elke Gatz-Hengst uns zeigt: Bilder voller Leben und Farbe, voller wilder, opponierender Formen und komplementärer Kontraste. „Freigeister“, wie die beiden Künstler 2006 selbst formulierten: „Freigeister, die das bunte Treiben bevölkern als echte Frohnaturen oder solche, die ihre Ausgelassenheit erst in Gesellschaft mit den anderen zum Ausdruck bringen. Alles passiert an Sonn- und Feiertagen. Grau ist nicht eingeladen.“ Die fröhliche Ausstrahlung der Bilder ist Programm. Auf den Betrachter wirken hier Effekte, die mit dem Pinsel allein gar nicht zu erzielen sind. Es brauchte weitere und verfeinerte Techniken, um Farben und Formen zu den Gestalten werden zu lassen, die den eigenartigen Reiz dieser ausdrucksstarken Bilder ausmachen.

Denn was fällt an den Aquarellen auf? Das Verlaufen der Farben ist offenbar sehr gezielt gesteuert. Es ist unterbrochen. Typische Aquarell-Effekte laufen an scharfen Kanten auf, in denen hauchfeine Ritzungen des Papiers die sich ausbreitende Farbe aufhalten. So wirken die Bilder vielfach wie Collagen, wie Musterblätter ausgeschnittener Formen.

Dann: In der „Freigeister“-Serie schließen farbige Flächen derart weiße Flächen ein, daß die Zuordnung von Vordergrund und Hintergrund innerhalb der Figuren unsicher wird: Als Binnenform löst sich das Weiß aus seiner passiven Funktion als Hintergrund und wird zur eigenständigen, formgestaltenden Farbfläche.

Durch das Ziehen über die Farbe entstehen lineare Strukturen, die ebenfalls den Farbverlauf unterbrechen. Z.T. erwecken sie den Eindruck eines durchgerubbelten Blattes oder einer Feder. Bei der großen Arbeit „Netzflüchter“ scheint das immer wieder zerschnittene Netz den programmatischen Titel umzusetzen: Wenn Sie genau hinschauen, sehen Sie, daß sich in der aus 35 verschieden großen Einzelbildern zusammengesetzten Fläche auffällige Farben einige Male wiederholen und Farbkombinationen wieder auftauchen: Ein Bild oder mehrere Bilder wurden offenbar zerschnitten und neu zusammengesetzt. Eine genaue Fortführung der Linien aber wird einem nicht gelingen, ich habe das vorgestern eine ganze Weile versucht: Dem großen Puzzle fehlen Teile, der Flüchtende hat das Netz zerrissen und es lässt sich auch nicht wieder komplett zusammensetzen.

Nun haben wir zwar über das „making-of“ der Aquarelle gesprochen. Aber wie sie ihre Wirkung erzielen, wissen wir immer noch nicht: Denn trotz der Lebendigkeit ihrer aus wuselnden Einzelstücken zusammengesetzten Formen geht von den Bildern ja keine Unruhe aus. Obwohl sie, wie die Künstler sagen, „zusammengesetzt [sind] aus Schwingungen, die oft nur vage den Körper zusammenhalten“, wirken die Bilder in sich geschlossen. Wie kommt das?

Ist es die Einbettung der bunten Farbigkeit in einen breiten, weiß gelassenen Rand? Durch den Rand nämlich haben die Formen genug Platz, um sich im Bildraum selbst zur vollen Entfaltung zu bringen. Dies verleiht ihnen eine Selbstgenügsamkeit, die den geschlossenen Bildeindruck begünstigt. Oder ist es die Farbgebung, die häufig Pastelltöne in die Fläche einbezieht? Sind es die vielen hellen Farben und weißen Flächen, ohne die kaum ein Bild der beiden auskommt? Sind es die Komplementärkontraste, die die unterschiedlichen Wirkungen warmer und kalter, dunkler und heller Farben in leuchtenden Tönen zum Ausgleich bringen (denn daß Albers und Sage sich mit Farbwirkung auskennen – davon können wir ausgehen: Hat ihr Lehrer Heinz Trökes doch zunächst bei keinem Geringeren als Johannes Itten studiert, also bei dem großen Experimentator in Sachen gegenseitiger Beeinflussung benachbarter Farben!)

Oder kommt die selbstgenügsame Ausstrahlung durch die stets organischen Formen zustande? Denn zerfetzt oder nicht: Durch das Ziehen oder Verlaufenlassen der Farben begegnen wir ja in jedem Fall organischen Formen, ovalen Bögen, gemalten Schwingungen, kaum oder wirklich gar keinen aggressiven Bildelementen. Oder sind es die großen Umrisse, die die vielen unklaren, kleinen Teilstücke oftmals zu großen, figurativ dann eindeutigen Bildinhalten zusammenwachsen lassen? Das Figurative ist ja gewollt, ja es ist sogar Programm: „Paare“, „Land und Leute“, Singles“, „Freigeister“, das sind die Titel der Bilder-Serien, aus deren thematisch ähnlichen Aufgabenstellungen das Gesamtwerk von Astrid Albers und Jürgen Sage wächst. Und noch in der 33teiligen Serie „Blau gewinnt“ ist ja das Blau in seinem Profilierungskampf gegen andere Farben im Bildraum als Personifizierung eines Charakters zu verstehen.

Nehmen wir also die Paare, die Singles, das Schiff oder den fliegenden Drachen, den die Phantasie des Betrachters in dieses „Freigeister“-Exemplar hineinsehen kann: Die figurative Gestaltung kommt einer letztendlich beruhigenden Bildausstrahlung entgegen.

Oder geht die positive Bildwirkung einfach nur vom Prinzip des seriellen Arbeitens von Astrid Albers und Jürgen Sage aus, von einem Arbeiten also, das jedem noch so zerklüfteten Formwesen in dessen Dopplung und Vervielfältigung eine immer eindeutigere, weil irgendwann wiedererkennbare Identität verleiht? „Blau gewinnt“, die schon erwähnte Serie aus 33 Einzelwerken, die in drei Reihen à 11 Werken gemeinsam gehängt werden, variiert das einmal gestellte Thema „Blau“ in seinem Kontrast zu Gelb und Rot immer wieder in verwandten Figuren. Die „Paar“-Serie, die „Single“-Serie, die „Freigeister“ – immer wieder stoßen wir bei Astrid Albers und Jürgen Sage auf Serien von Bildern, die mit ihrem einheitlichen Thema auch der Ausdrucksform der Einzelwerke eine klare Richtung gibt.

„Filmissimi“ schließlich, die Arbeiten, die zunächst der zusammenhängenden Abfolge der Einzelbilder eines Films nachempfunden sind (sehen Sie hier das noch von Jürgen Sage allein geschaffene Werk aus dem Jahr 1996). Die Idee des filmischen, also erzählerischen Zusammenhangs der Einzelbilder trägt den Betrachter dann auch durch die „Filmissimi“-Werke hindurch, in denen verschiedenste Einzelbilder, sogar in unterschiedlichen Techniken hergestellt, zu einem quasi-Filmabschnitt hintereinander gereiht sind: Die Anordnung führt uns ein Verständnismodell dieser Serien vor Augen, wir lesen sie als „Filmstills“, als Szenenbilder, und beginnen, die Szenen mit Leben, mit Erzählungen und die Bildreihe mit möglichen Zusammenhängen zu erfüllen. Die gemeinsame Anordnung der kleinen Ausschnitte in einem Bild autorisiert den Betrachter, sie untereinander in Beziehung zu setzen.

Sehr geehrte Damen und Herren, nun habe ich verschiedenste Elemente erwogen, die insgesamt zu einer unverwechselbaren Handschrift in der Kunst von Astrid Albers und Jürgen Sage führen. Alles, was ich entfaltet habe, und sicherlich noch einiges weitere, was ich vergessen habe, trägt in irgendeiner Form zur Anziehungskraft, zur Attraktivität der ab heute gezeigten Werke bei. Letztlich wird aber jeder und jede selbst entscheiden müssen, was ihn oder sie in den Bann dieser Bilderserien zieht.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen noch einen interessanten Abend und danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Dr. Cornelie Becker-Lamers, M.A., Weimar