Utopie und Erfahrung
Ein fiktiver Dialog zwischen Bauhaus-Meistern und Schülern des Lyonel-Feininger-Gymnasiums Mellingen zur Abiturfeier 2009
Abiturfeier des Feininger-Gymnasiums Mellingen, Mehrzweckhalle Großschwabhausen am Freitag, 19. Juni 2009
Musik: Bach-Menuett
Feininger-Schauspieler spielt mit, setzt sich mit der Geige zu der Gruppe, steht dann auf:
FEININGER: Was für herrliche Musik! Sie läßt Erinnerungen in mir aufsteigen. Ich weiß noch: so etwas hörte ich auch im Haus meiner Eltern, in New York. Was bin ich froh, nun schon so lange hier in Thüringen zu sein, wo diese Musik entstanden ist. Ich liebe dieses Land, dieses Weimar - die Dörfer rundherum. Was gäbe ich drum, wenn ich endlich die Geldsorgen los wäre und Julia mit unseren drei Jungs auch nach Weimar ziehen könnte!
Gropius kommt hereingestürmt.
GROPIUS: Feininger! Sei gegrüßt! Ich habe eine gute Nachricht: Das Bauhaus kann gegründet werden! Mein Manifest hat Anklang gefunden. Die Weimarer Kunstgewerbeschule wird in Staatliches Bauhaus umbenannt und von mir geleitet werden! Wir haben gewonnen! Du wirst mein erster Meister sein!
FEININGER: Gropius! Wie mich das freut! - Aber Meister? Was bedeutet Meister? Kunst kann man doch nicht unterrichten - ich kann nichts lehren! Ich kann nur den Anlagen der jungen Menschen eine gewisse Richtung geben. Ein Künstler entsteht in jahrzehntelangem Ringen!
GROPIUS: Da magst du recht haben. Wir wollen den Schwerpunkt aufs Handwerk legen. Denn - gibt es überhaupt einen Unterschied zwischen Künstler und Handwerker? Der Künstler ist doch nur eine Steigerung des Handwerkers! Und das Handwerk - das können wir lehren! Der Unterricht soll streng sein. Und alle Handwerke sollen zusammenwirken - sich unterordnen dem einen großen Ziel: dem Bau, in dem äußere Hülle, Innengestaltung und Einrichtung aufeinander abgestimmt sind.
Musik: Bauhauskanon
Itten ist eingetreten.
ITTEN: In der neuen Schule brauchen wir unbedingt ein Propädeutikum.
GROPIUS: Hallo, Itten! Du willst einen Vorkurs für alle Lehrlinge?
ITTEN: So ist es! Das ist unerlässlich, um alle Sinne der jungen Menschen zu schulen!
FEININGER: Was willst du dort lehren?
ITTEN: Ich will die jungen Leute lehren, ihren eigenen Empfindungen zu trauen und ein sicheres Gespür auszubilden für Ästhetik in jeder Hinsicht: optisch, haptisch, akustisch.
GROPIUS: Wie soll das gehen?
ITTEN: Sie werden Phantasieobjekte bauen, aus gefundenen Materialien.
FEININGER: (versteht. begeistert): Ah! Das habe ich in Paris gesehen - Duchamps macht so etwas.
ITTEN: Sie werden Farben und Formen zuzuordnen lernen, sie werden mit verbundenen Augen Materialien ertasten, sie werden MENSCHEN werden, Menschen mit all ihren Sinnen, geistige Wesen... (wird immer pathetischer)
GROPIUS: Halt ein! Halt ein! Es muß sich auch alles rechnen! Ich möchte, daß Entwürfe für die Industrie entstehen, daß Aufträge einkommen und die Schule sich bald selber trägt. Dei staatlichen Zuschüsse sind immer ungewiß: Du weißt, die Reparationszahlungen drücken schwer auf unsere junge Republik.
ITTEN: Industrie? Aber Gropius! Du wirst doch unsere jungen Menschen nicht in Schemata pressen wollen? Jeder muß sich ganz entfalten können.
GROPIUS: Es muß beides gehen - persönliche Entfaltung und Außenwirkung unserer Schule. Wir werden es leisten! Ihr sollt sehen!
Schlemmer ist eingetreten.
SCHLEMMER: Wie könnte ein solcher Spagat gelingen?
GROPIUS: Wir werden zusammen wohnen, lieber Schlemmer, zusammen leben und arbeiten - und feiern! Wir werden alles gemeinsam tun - Meister, Lehrlinge und Gesellen. Das wird uns verbinden - und persönliche Entfaltung und gemeinsames Streben werden kein Gegensatz mehr sein!
Musik: "Ein Freund, ein guter Freund"
Die zwei "heutigen" Jugendlichen treten ein.
GROPIUS: Hallo! Da haben wir ja schon zwei junge Lehrlinge! Wer seid ihr denn?
Lisa: Wir absolvieren das Gymnasium in Mellingen. Es trägt Ihren Namen, Herr Feininger.
FEININGER: (verbeugt sich leicht) Das freut mich zu hören! Mellingen habe ich immer besonders geliebt.
SCHLEMMER: In der Tat - Wie oft hast du die Kirche dort gezeichnet? Ich habe bald nicht mehr mitgezählt!
Hans: Ja! Wir halten Sie in hohen Ehren!
Lisa: Jedenfalls theoretisch ...
Hans: Wir gestalten unglaublich viel nach Ihren Prinzipien. Das ganze Treppenhaus hängt immer voll schöner Schülerarbeiten.
SCHLEMMER: Und der Bau? Paßt denn auch bei euch das Innere zum Äußeren?
Lisa: Äh ...(sieht Hans hilfesuchend an)
Hans: Das ist ein bisschen schwierig.
Lisa (emphatisch herausplatzend): Ach, Herr Schlemmer! Könnten Sie doch unser Treppenhaus gestalten - wie einst den Van-de-Velde-Bau in Weimar!
Hans (ebenso): Und die Außenfassade - Wie Sie es zu Ende Ihres Lebens, in Kriegszeiten, tun mussten.
SCHLEMMER: Erinnere mich nicht an die Zeit meines Arbeitsverbots durch die Nazis! Ein schlechtes Thema! Tja und außerdem: Ich lebe nun leider nicht mehr. Aber ihr werdet doch tüchtige Männer haben, die eure Schule gestalten können?
Lisa: Ach ja, die Leute wären wohl da ... Aber das liebe Geld ...
GROPIUS: Siehst du, Itten - es bleibt sich immer gleich! Die Finanzen müssen stimmen, sonst ist die Kunst mit ihrem Latein am Ende!
Hans: Vielleicht sollten wir etwas singen und das Geld einspielen? Irgendeinen Klassiker, den jeder kennt, da geben die Leute am liebsten! (zum Chor gewandt) Legt los, Freunde!
Musik: "Kleine Nachtmusik"
Klee tritt ein.
GROPIUS: Na endlich, mein lieber Klee! Da bist du ja! Alle warten schon auf dich.
KLEE: Tja, mein Vater stammte ja aus Thüringen - aber ich brauchte eine Weile, bis ich von Bern über München jetzt wieder bei euch bin. - Aber sagt: Was höre ich hier für schöne Musik? Das erinnert mich an meine Jugend, als ich noch mehr Geige spielte als jetzt.
FEININGER: Ja, Klee, den guten alten Mozart werden wir auch noch oft zusammen spielen.
SCHLEMMER: Mozart! Er wird wohl nie aussterben! Mein triadisches Ballett werde ich auch mit Mozartarien unterlegen.
GROPIUS: Das triadische Ballett?
SCHLEMMER: Ja. Wenn ich bei euch für die Bühne am Bauhaus zuständig bin, oben in Belvedere, dann will ich nicht nur das Bühnenbild gestalten.
FEININGER: Sondern?
SCHLEMMER: Ich werde die Bewegung des Menschen zerlegen und neu zusammensetzen.
KLEE: Ich verstehe! Diese Kunst wird die Welt erst sichtbar machen.
SCHLEMMER: Die Bewegung im Raum werde ich studieren und den Menschen ebenso auf geometrische Grundformen zurückführen - wie ihr es mit den Gegenständen tut.
Lisa: Ah ja! Jede neue Zeit braucht ihre Menschen...
Hans: ... und ihre Musik!
Musik: "Wind of change"
KLEE: Soso, ihr hört also nicht nur Mozart, ihr jungen Leute?
Lisa: Nö, eigentlich eher weniger...
Hans: Viele von uns lieben diese Musik.
Musik: "Beautiful"
KLEE: Wie dem auch sei: Alle Musik taugt zur Erinnerung. Laßt uns uns gemeinsam an unsere Träume von einer besseren, gemeinsamen Zukunft erinnern.
FEININGER: Aber Klee! Erinnerung allein reicht nicht (zu Hans und Lisa gewandt) Ihr träumt eure Träume heute!
GROPIUS: Aber durch unsere Erfahrungen können wir vieles mitteilen! Laßt sie uns nicht gering schätzen!
Lisa (zu den Bauhäuslern): Ja! Erzählt uns! Laßt uns teilhaben an euren Erinnerungen!
SCHLEMMER (zu Lisa und Hans): Sprecht mit uns! Laßt uns teilhaben an euren Träumen!
Hans (in die Runde): Laßt uns zuhören...
GROPIUS (ins Publikum): ... einander...
ITTEN (ebenso): ... und uns selbst!
Musik: "Erinnerung"
© Cornelie Becker-Lamers, Weimar, 2009